SC Freiburg:An die Spitze gewackelt

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Spitzenreiter-Freude: SC-Trainer Christian Streich herzt Kapitän Christian Günter. (Foto: Marco Steinbrenner/Kirchner-Media/imago)

Nach 22 Jahren steht der SC Freiburg wieder an der Spitze der Bundesliga. Beim 3:2-Sieg in Leverkusen offenbart das Team einige Schwächen, aber dafür greift ein simpler Trick - und zwar mehrmals.

Von Milan Pavlovic, Leverkusen

Es dauerte keine sechs Minuten, bis Callum Hudson-Odoi die raue Gangart der Bundesliga kennengelernt hatte. Der prominente neue Leihspieler vom FC Chelsea war in der 60. Minute eingewechselt worden und suchte noch nach der richtigen Position auf dem Feld, als er nichtsahnend rüde von der Seite abgeräumt wurde. Es war ein Foul, das gut und gerne mit einer gelben Karte hätte belegt werden können, aber die hätte sich Schiedsrichter Sascha Stegemann selbst zeigen müssen, der das Foul beging, weil er die Laufwege des 21-Jährigen offenbar noch genauso wenig kannte wie dessen neue Teamkollegen von Bayer Leverkusen.

Es war nur ein kleiner Unfall, gewiss, aber Hudson-Odoi auf dem Boden - das hatte sogleich Symbolkraft. Denn bald danach musste der schnelle Engländer sein erstes Interview als Verlierer geben. Er sprach bei Sky von "sloppy goals", Tore durch Schlampereien, für die seine Mannschaft brutal bestraft wurde beim 2:3 (1:0) gegen den neuen Tabellenführer.

Richtig, der SC Freiburg ist Bundesliga-Tabellenführer, für mindestens eine Woche, erstmals seit 22 Jahren. Maximilian Eggestein schaute ehrlich ungläubig, als man ihm das sagte - damit, versicherte er, habe er sich noch gar nicht beschäftigt. "Es gibt Schlimmeres, als Tabellenführer zu sein in der Bundesliga", sagte Freiburgs Kapitän Christian Günter, "ich habe schon schlechtere Nachrichten gehört."

Andere haben das vielleicht schon. Es war jedenfalls vergnüglich, den SC-Trainer Christian Streich bei seinem Medienmarathon zu verfolgen, er ist ja bekannt als notorischer Tiefstapler und Glas-ist-halbleer-Typ. Nach dem Sprung auf Platz eins versuchte Streich - stets um Aufrichtigkeit bemüht - einen Spagat aus etwas, das Freude ähnelte und den Zweifeln, die er nie loswird. Er schere sich wenig um die Tabellenführung ("Das interessiert mich so was von nicht"), sagte er, aber er gebe viel auf die Ausbeute, die sein Team dorthin gebracht hat: "Wenn du zwölf Punkte nach fünf Spielen hast, dann musst du schon etwas richtig gemacht haben."

Es bleibt dabei: Zwölf Punkte sind beim SC erst mal zwölf Punkte gegen den Abstieg

Das wird so ziemlich jeder Freund der Bundesliga bestätigen. Der SC Freiburg genießt so viele Sympathien für seinen kontinuierlichen Aufstieg, dass man sich kaum zu sagen traut, dass es oft nicht sonderlich unterhaltsam ist, die Spiele der Freiburger anzusehen. Mit höchster Geschicklichkeit und Geschwindigkeit werden da die Räume verengt, und es bedarf gewaltiger Anstrengungen, hinter die beiden defensiven SC-Riegel zu kommen. Insofern war es verblüffend, wie Leverkusen den Freiburger Stil in der Defensive eine Halbzeit lang nicht bloß kopierte, sondern optimierte. Die Gäste fanden partout keine Lücken im gegnerischen Verbund, und Freiburgs Notfallplan 1b - Standards durch Vincenzo Grifo - fiel nicht ins Gewicht, weil Leverkusen tunlichst Fouls in gefährlichen Zonen vermied.

Grifos Nachmittag war aber ein perfektes Beispiel für die Freiburger Saison. Er erlebte nicht gerade die beste erste Halbzeit seiner Karriere, denn in der 16.Minute wurde aufgedeckt, dass Defensivarbeit nicht unbedingt seine Spezialität ist: Ein starker Antritt reichte dem Leverkusener Innenverteidiger Kossonou, um Grifo abzuhängen und die rechte Seite für sich frei zu haben. Fünf Sekunden später stand es 1:0 für Bayer durch Kerem Demirbay, und danach sprengte Leverkusen mehrmals auffällig die Freiburger Ketten. Die einzige gute Nachricht für die Gäste war der knappe Halbzeitrückstand.

Wie schnell jedoch eine überlegen erspielte Halbzeitführung dahin sein kann, demonstrierten die Teams dann gleich nach Wiederanpfiff: Ecke Grifo, wuchtiger Kopfball Ginter, 1:1 (47.). Und weil der Bayer-Verteidiger Tapsoba nur drei Minuten später den Ball im eigenen Strafraum herschenkte und der Freiburger Gregoritsch vollendete (1:2/49.), war der Spielverlauf schnell auf den Kopf gestellt.

Es seien, wie seit Wochen, "gute und nicht so gute Momente dabei gewesen", resümierte Streich, "ein paar Spiele in dieser Saison hätten auch anders ausgehen können". Zum Beispiel das am Samstag, in dem Leverkusen nach dem Rückstand bald nur noch mit einer Zweierkette verteidigte, und Hudson-Odoi, zwei Minuten vor dem Zusammenprall mit Schiedsrichter Stegemann, seinen ersten Assist leistete, indem er Patrik Schick den Ball kopfgerecht zukommen ließ (2:2/64.). Die Schlussoffensive konnte beginnen.

Wackelte Freiburg? Ja. Fiel es? Im Gegenteil. Erneut griff Notfallplan 1b: Ecke Grifo, Kopfballverlängerung Höfler, Abschluss Doan, 2:3 (70.). Die Gäste machten quasi aus zwei Chancen drei Tore, das nennt man entweder glücklich oder hochgradig effizient. "Wir waren in einigen wenigen Szenen nicht resolut genug", klagte Bayer-Trainer Gerardo Seoane, der zwar von seinen Vorgesetzten geschützt wurde, aber nach dieser vierten Niederlage im fünften Spiel mit dem Malus leben muss, den schlechtesten Saisonstart der Werkself seit 40 Jahren zu verantworten.

Anders sieht es bei Freiburg aus. Das Punktepolster sei immens wichtig, um sorgenfrei die Europa League (ab Donnerstag) anzugehen, erklärte Rückkehrer Matthias Ginter. Beim SC hat niemand die Spielzeiten vergessen, in denen man durch den internationalen Luxus national aus dem Tritt kam, einmal folgte sogar ein Abstieg in Liga zwei. "Wenn man als Freiburg im Europacup spielt", erläuterte der Trainer, "geht es darum, nicht abzusteigen. Wenn wir das schaffen, war es ein gutes Jahr. Wir sind deshalb sehr glücklich über diesen Start, aktuell läuft es für uns ergebnistechnisch", erklärte der Coach. "Aber" - denn bei Streich gibt es fast immer ein Aber - "ich weiß die Partien einzuordnen."

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