Eiskunstlauf:Kalligrafie auf dem Eis

Lesezeit: 3 min

Die Kunst ist, das Komplizierte leicht aussehen zu lassen: Kaori Sakamoto aus Japan gewinnt den dritten WM-Titel. (Foto: Minas Panagiotakis/Getty)

Die Japanerin Kaori Sakamoto sichert sich den dritten WM-Titel in Serie - als erste Eiskunstläuferin seit mehr als 50 Jahren. Bei den Männern gewinnt Ilia Malinin, das 19-jährige Sprungwunder aus den USA.

Von Barbara Klimke

Als die dreimalige Eiskunstlauf-Weltmeisterin Kaori Sakamoto in Montreal vom Podium stieg, da zeigte sich, dass auch eine fabelhafte Eisschnellläuferin in ihr steckt. Auf der Ehrenrunde, in die japanische Fahne gehüllt, stellte sie fest, dass die Kollegin Isabeau Levito, 17, kein derartiges Tuch zur Hand hatte. Sakamoto jagte los, wetzte auf scharfen Kanten quer über die Eisfläche, lieh auf der anderen Tribünenseite eine Stars-and-Stripes-Flagge aus und legte sie der US-Silbermedaillengewinnerin fürsorglich um die Schulter. Im Moment des Triumphs an die Bedürfnisse der ärgsten Rivalinnen zu denken, das kommt im frostigen Hochleistungsgewerbe nicht alle Tage vor.

Kaori Sakamoto, 23, aus Kobe ist in jeder Hinsicht die herausragende Solistin dieses Championats gewesen. Drei WM-Titel in Serie zu gewinnen, war zuletzt Peggy Fleming aus den USA vor mehr als einem halben Jahrhundert gelungen (1966 bis 1968). Sakamoto beherrscht die Kunst, das Komplizierte tänzerisch leicht aussehen zu lassen, ihre Programme fließen dahin wie die Tusche einer Kalligrafie, jede Landung auf einer Kufe ist schon der Beginn einer neuen schwungvollen Linie. Sie begann ihre Kür "Feeling Good", mit der sie sich noch von Platz vier auf Rang eins verbesserte, mit einem Doppel-Axel, gefolgt von sieben Dreifachsprüngen inklusive Kombination, alle weniger hoch als vornehmlich weit: weniger gehüpft als geflogen.

Sakamotos Olympiakür hatte einen programmatischen Titel: "I am a Woman"

Die Weltmeisterin hatte keinen Vierfachsprung im Programm, so wenig wie die übrigen 23 Athletinnen in der Kür; die deutsche Meisterin Kristina Isaev aus Oberstdorf hatte es wegen eines bedauerlichen Fehlers in der Kurzkür nichts Finale geschafft. Seit die Läuferinnen aus Russland, die Spezialistinnen für diese Kraftakte auf Kufen, wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine von den internationalen Wettbewerben ausgeschlossen wurden, sind auch die Vierfachrotationen in der Luft, die vor allem Leichtgewichte meistern können, verschwunden. So ist am Wochenende in Kanada im Wettbewerb der Frauen eher die Kunst im Eiskunstlauf zelebriert worden als die Athletik, was sich in Zukunft aber wieder ändern kann. Die zweitplatzierte Isabeau Levito beispielsweise tanzte ein Ballett mit ebenfalls sechs Dreifachsprüngen zur Musik von "The White Crow", dem Film über das Leben von Rudolf Nurejew.

SZ PlusMeinungFall Kamila Walijewa
:Ein Opfer des russischen Sportregimes

Die minderjährige Eiskunstläuferin Kamila Walijewa hat die Konsequenzen ihres Dopingfalls ganz allein zu tragen: vier Jahre Sperre. Ihre Trainerin? Die Ärzte und Funktionäre? Sind im Sport offenbar weiterhin herzlich willkommen.

Kommentar von Barbara Klimke

Im Falle Kaori Sakamotos lässt sich der internationale Durchbruch auf die Olympischen Winterspiele 2022 datieren, als sie die Bronzemedaille gewann. Allerdings ging ihre beeindruckende Kür an jenem Abend unter im Tumult um die 15-jährige Russin Kamila Walijewa, die nach Bekanntwerden ihres Dopingbefunds weinend, vernichtend geschlagen und nervlich zerrüttet übers Eis gestolpert war. Der reife, elegante Vortrag Sakamotos, damals 21, mit dem programmatischen Titel "I am a Woman" zu einem Song von Imany wirkte schon in Peking wie ein Kommentar zu den Vorfällen um die Eislauf-Wunderkinder. Zwei Monate später in Montpellier, in Abwesenheit der russischen Athleten, wurde sie erstmals Weltmeisterin.

Der Weltverband ISU beschloss daraufhin, das Mindestalter für die Seniorenklasse im Eiskunstlauf schrittweise bis Olympia 2026 auf 17 anzuheben. Was nicht bedeutet, dass der Drill der Eislaufkinder damit bereits beendet wäre: In Moskau hat kürzlich das Team um die zwölfjährige Margarita Basiliuk ein Sprungturnier gewonnen, sie zeigte eine Kombination aus Vierfach-Salchow, Euler, Vierfach-Salchow. Eine Weltpremiere, kommentierte das Fachmagazin Pirouette, denn das beherrschte bis dato "niemand, auch kein Mann". Sakamoto ist sich bewusst, dass sie derzeit wohl kaum gegen die besten Russinnen bestehen könnte, wie sie in Montreal sagte: Sie werde das Niveau ihrer technischen Elemente steigern müssen, um bei Olympia 2026 zu bestehen.

Der Herr der Sprünge: Weltmeister Ilia Malinin aus den USA präsentiert dem Publikum unter anderem einen Vierfachaxel. (Foto: MInas Panagiotakis/Getty)

Bei der WM waren die Vierfachsprünge eine reine Männerdomäne. Und tatsächlich haben die Athleten, allen voran der erst 19 Jahre alte Ilia Malinin aus Fairfax/Virginia, die Spirale der Höchstschwierigkeiten weiter nach oben geschraubt. Der zweimalige US-Meister, vorwiegend von seinen Eltern trainiert, präsentierte dem begeisterten Publikum sechs saubere Vierfachsprünge - darunter der Vierfach-Axel, das schwerste Element, weil es sogar viereinhalb Umdrehungen in der Luft erfordert. Malinin wurde von den Juroren mit einer Kür-Rekordpunktzahl sowie WM-Gold belohnt, er hatte einen enormen Vorsprung auf Yuma Kagiyama aus Japan. Der Europameister, Adam Siao Him Fa aus Frankreich, nach einem komplett missratenen Kurzprogramm nur auf Rang 19 geführt, machte einen phänomenalen Sprung auf Platz drei. Zum Ende der Kür zauberte er sogar noch einen nicht erlaubten Rückwärtssalto aufs Eis. Den Punkteabzug dafür nahm er Kauf. Was an Kapriolen nächste Saison zu erwarten ist? "Abwarten!", sagte Malinin und lächelte vielsagend.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Eiskunstlauf-WM
:"Sie ist eine Inspiration für alle anderen"

Die Paarläufer Minerva Hase und Nikita Wolodin gewinnen WM-Bronze. Eindruck macht aber vor allem Titelgewinnerin Deanna Stellato-Dudek - als älteste Weltmeisterin der Eiskunstlauf-Geschichte.

Von Barbara Klimke

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: