WM-Achtelfinale:Spanien scheitert an der Barrikade

Lesezeit: 3 min

Russlands Spieler feiern Torwart Igor Akinfejew nach dem gewonnen Elfmeterschießen gegen Spanien. (Foto: Getty Images)
  • Russland setzt sich im Elfmeterschießen gegen Spanien durch und erreicht das WM-Viertelfinale.
  • Torwart Igor Akinfejew hält zwei Elfmeter für den WM-Gastgeber.
  • Hier geht es zu allen Ergebnissen der WM.

Von Johannes Aumüller, Moskau

Igor Akinfejew rannte durch den Strafraum und warf sich auf den Bauch. Und alle, alle kamen zu ihm angerannt, die Spieler von der Mittellinie, die Ersatzspieler von der Ersatzbank, der Trainer- und Betreuerstab ein bisschen langsamer hinterher. Dann lagen sich die Mitglieder der russischen Nationalmannschaft in den Armen und feierten diesen unerwarteten Triumph gegen Spanien, mit dem sie ins Viertelfinale ihrer Heim-WM einzogen. Und vor allem feierten sie den Helden dieses Abends, ihren Torwart Igor Akinfejew.

4:3 im Elfmeterschießen, das war das kaum für möglich gehaltene Resultat. Erst hatten die Russen eine enorme Abwehrleistung gezeigt über 120 Minuten, in denen sie dank eines Strafstoßes und einiger Paraden ihres Torwartes zum 1:1 gegen die dominierenden Spanier gekommen waren. Danach war Akinfejew der entscheidende Mann des Elfmeterschießens: Zuerst parierte er den Schuss von Koke und dann mit einem sehenswerten Beinreflex den Schuss von Iago Aspas. Und weil vier russische Spieler getroffen hatten, reichten diese beiden Paraden für den Sieg.

Die russischen Spieler fanden nach dem Spiel kaum Worte, um ihren Torwart zu würdigen. "Er ist einfach ein Monster", sagte Angreifer Artjom Dsjuba, der während der regulären Spielzeit das 1:1 erzielt hatte: "Wir haben vor dem Spiel an zwei Dinge geglaubt: an das Wunder und an Akinfejew." Nur der Mann, dem an diesem Abend so umfassend gehuldigt wurde, gab sich zurückhaltend, als er in der Pressekonferenz saß, weil er natürlich auch zum "Spieler des Spiels" gewählt worden war. Igor Akinfejew selbst sagte: "Spieler des Spiels bin nicht ich, Spieler des Spiels sind das Team und die Zuschauer."

Ein riesiges Banner hatten die Fans vor dem Anpfiff enthüllt in den weiß-blau-roten Farben der russischen Trikolore, und darauf ein Spruch, der übersetzt etwa bedeutet: Ihr seid geboren, um das Märchen wahr werden zu lassen. Ihr seid geboren, um das Unmögliche möglich zu machen. Es war eine leichte Abwandlung der Zeile, mit der ein alter sowjetischer Marsch beginnt, die Hymne der Luftstreitkräfte.

Spanien hat den Ball, aber keinen Plan

120 Minuten später war dieses Märchen perfekt. "Wir haben zwei Jahre hart für diesen Moment gearbeitet und heute einen großartigen Job gemacht", sagte Trainer Stanislaw Tschertschessow.

Während der 120 Minuten war es ein sehr eintöniges Bild, das die beiden Mannschaften boten. Spanien hatte den Ball und passte und passte und passte. Und Russland zog sich weit zurück und rannte und rannte und rannte. Tschertschessow hatte eine besonders defensive Variante gewählt, ohne Denis Tscheryschew, den in der Vorrunde torgefährlichsten Spieler der Sbornaja (drei Treffer), dafür mit einer Fünferkette. Nur nach zwölf Minuten musste er befürchten, dass der Spielplan Makulatur sei. Bei einer Flanke konzentrierte sich Abwehr-Routinier Sergej Ignaschewitsch darauf, Gegenspieler Sergio Ramos wegzudrücken, doch der Ball flog ihm von hinten an die Wade, von dort ins eigene Tor - 0:1.

Aber eine knappe halbe Stunde später lief wieder alles nach Plan. Ein Eckball kam in die Mitte, Russlands Angreifer Dsjuba und Spaniens Abwehrspieler Gerard Pique stiegen hoch, beide blickten sie Richtung spanisches Tor, Dsjuba köpfelte - und der Ball sprang von hinten aus kurzer Distanz an Piques Arm. Der Spanier sah den Ball nicht, allerdings war sein Arm auch nach dem Schwungholen noch nach oben ausgestreckt. Dem Schiedsrichter Björn Kuipers reichte das, um Elfmeter zu pfeifen, Dsjuba verwandelte zum 1:1.

Also konnte es mit dem gewohnten Bild weitergehen. Spanien passte und passte und passte, und Russland zog sich weit zurück und verbarrikadierte das ganze Feld. Je länger das Spiel dauerte, umso ausgelaugter wirkte Russland, aber die Spanier mochten noch so lange den Ball haben, sie hatten zu selten einen Plan, diese russische Barrikade auszuspielen. Und wenn sie es ausnahmsweise schafften, dann stand Akinfejew bereit, der Torwart von ZSKA Moskau, der gefühlt schon seit Ewigkeiten zur Sbornaja gehört.

32 Jahre ist er inzwischen alt, schon früh hatte er in Russland, diesem Land mit der großen Torhüter-Tradition, viel Lob genießen dürfen, aber so richtig bestätigen konnte er es selten - bis er nun im Luschniki-Stadion das wohl beste Spiel seiner Karriere machte. Er war zur Stelle, als es Diego Costa kurz vor der Halbzeit aus spitzem Winkel versuchte; ebenso als Andres Iniesta in seinem letzten siehe Text links fünf Minuten vor dem Abpfiff abzog; und auch, als sich in der Verlängerung in Gestalt des eingewechselten Rodrigo Moreno endlich einmal ein Spanier durch die russische Barrikade dribbelte. Und dann natürlich im Elfmeterschießen mit seinen beiden Paraden. "Die Fans sehen jetzt, dass wir Russen genau wissen, wie man Fußball spielt", sagte Akinfejew.

Fußball-WM in Russland
:WM 2018: Alle Ergebnisse im Überblick

Frankreich ist zum zweiten Mal Fußball-Weltmeister: In einem teils kuriosen WM-Finale schlug die Équipe Tricolore Kroatien mit 4:2. Bester Spieler des Turniers wurde der Kroate Luka Modric, Torschützenkönig wurde Harry Kane aus England. Hier finden Sie alle Ergebnisse der Fußball-WM in Russland im Überblick.

Benjamin Pavard bei der WM
:Ausstiegsklausel für die große Karriere

Weltklasse-Verteidiger schießt Weltklasse-Tor: Den jungen Franzosen Benjamin Pavard aus Stuttgart finden wohl auch die Bayern interessant - VfB-Manager Reschke hat aber einen Plan.

Von Claudio Catuogno

Wobei, Fußball spielen, das war an diesem Abend eigentlich die falsche Bezeichnung. Die Russen rannten zwar viel und verriegelten den Strafraum, aber fußballerisch kam von ihnen quasi nichts. Gegen Ende der Verlängerung hatten sie Glück, als Ignaschewitsch im Strafraum Pique niederrang und Referee Kuipers kurz mit dem Videoassistenten kommunizierte. Aber wie alle knappen Entscheidungen des Abends ging auch diese pro Russland aus.

Elfmeter gab es keinen, dafür kurz danach Elfmeterschießen. Auf das Tor, hinter dem vor dem Spiel das Banner entrollt worden war.

© SZ vom 02.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: