Keine Mannschaft hat im vergangenen Bundesligajahr so sehr mit dem Abstieg kokettiert wie die Berliner Hertha. Doch nach einer Saison, die zu großen Teilen wie eine ausdrückliche Bewerbung für einen Eintritt in die zweite Liga wirkte, hat es der Hauptstadtklub am Montag doch noch geschafft: Durch einen 2:0-Sieg beim Hamburger SV machte Hertha BSC die 0:1-Niederlage aus dem Hinspiel vom vergangenen Donnerstag wett - und verwehrte dem HSV die Rückkehr in die Beletage des deutschen Fußballs. Der Hamburger SV, der bis 2018 den Ruf des "Dinos" der Bundesliga genoss, muss ein fünftes Jahr in der zweiten Liga spielen.
Hertha-Trainer Felix Magath sah seine Mission damit erfüllt. "Das Projekt ist schon beendet", sagte der 68-Jährige bei Sky. "Meine Aufgabe war, den Klassenerhalt zu schaffen. Das ist mit dem Schlusspfiff so gewesen." Sport-Geschäftsführer Fredi Bobic hatte Magath zuvor als "Retter in der richtigen Situation" gerühmt. "Die Mannschaft, die heute aufgestellt war, war top", sagte der ehemalige Profi. Bobic hatte Magath Mitte März geholt, dessen Vertrag wurde bis zum Saisonende abgeschlossen.
Hertha hat die Ruhe, dem HSV fehlt sie
Auf der finalen Etappe seiner Mission sah sich Magath mit großem Widerstand konfrontiert. Es sollte so laut werden wie noch nie in der Geschichte des Volksparkstadions, hatte der Stadionsprecher den 57 000 Zuschauern zugerufen, und sie taten alles, um mit dem Anpfiff seinen Anforderungen Genüge zu tun. Jedoch: Nach den engagiertesten vier Spielminuten der Hertha seit langer, langer Zeit war in weiten Teilen des Volksparkstadions doch wieder Stille angesagt. Denn nach einer Ecke von Marvin Plattenhardt traf Herthas Kapitän Dedryck Boyata aus sieben Metern per Kopf ins Tor der Hamburger. 1:0 für die Gäste!
Die Führung verschaffte den Berlinern Ruhe und eine gesunde emotionale Distanz zu einer Partie, in der es auch um den Ruf eines jeden einzelnen der Profis ging. Den Hamburgern fehlte sie. Der Druck werde auf den Spielern des HSV lasten, sie hätten nach dem 1:0-Hinspielsieg vom Donnerstag im Berliner Olympiastadion etwas zu verlieren, hatte Magath am Vorabend gesagt. Nun stand er, die Hände zumeist hinterm Rücken zusammengelegt, in seiner Coaching-Zone und sah, wie sich seine Prognose bewahrheitete. Oder: Wie seine Mannschaft sich Spielvorteile sicherte aufgrund der Veteranenschaft von Spielern wie Stevan Jovetic, Prince Boateng, Lucas Tousart, Ishak Belfodil, Dedryck Boyata oder auch Santi Ascacíbar, der in der Relegation 2019 mit dem VfB Stuttgart abgestiegen war. "Wir waren alle hungrig, und dann sind wir alle rausgegangen und haben gegessen", sagte Boateng später.
Sie agierten, als seien die Anhänger des HSV, die dann doch wieder Stimmung machten. Allein: ein weiteres Tor fiel nicht. Bei der besten Chance der weiteren Partie, einem Schuss von Tousart aus 14 Metern, war HSV-Torwart Daniel Heuer Fernandes zur Stelle. Die Hamburger hingegen? Hatten im Grunde nur durch eine direkt aufs Tor gezielte Ecke von Sonny Kittel so etwas wie eine Torgelegenheit.
Linksfuß Plattenhardt zirkelt den Ball in den linken Winkel
Das änderte sich nach der Halbzeitpause. Ludovit Reis, der im Hinspiel in Berlin das Hamburger Siegtor erzielt hatte, und Moritz Heyer versuchten sich in den ersten Minuten der zweiten Halbzeit mit Distanzschüssen. Sie markierten den Beginn eines Schlagabtausches, denn die Hertha antwortete durch einen gefährlichen Schuss aus spitzem Winkel von Linksverteidiger Plattenhardt auf den ersten Pfosten; Heuer Fernandes tauchte ab.
Nach gut einer Stunde war es aber ausgerechnet der Torwart der Hamburger, der mit einem kapitalen Schnitzer das zweite Tor der Berliner heraufbeschwor. Nach dem zweiten wunderbaren Dribbling von Ishak Belfodil auf der rechten Angriffsseite hatte Schiedsrichter Deniz Aytekin auf Freistoß entschieden, in der Verlängerung der Sechzehnmeterlinie. Und von dort zirkelte Linksfuß Plattenhardt den Ball über den zu weit vor dem Tor postierten Heuer in den linken Winkel. Ganz im Stile des britischen Kunstschussmeisters David Beckham (62.).
Den Hamburgern blieb danach nur noch, in den eigenen Reihen nach einem Helden zu suchen. Doch Herthas zweiter Treffer entwickelte eine paralysierende Wirkung auf den HSV. In einem Spiegelbild des Hinspiels gelang es diesmal dem HSV als Heimteam zu keiner Phase, das Publikum als zwölften Mann ins Spiel zu bringen.
Auf den Tribünen machte sich Stille breit, die mitunter umschlug in Verärgerung. Jeder Rückpass wurde mit Pfiffen quittiert. Und kaum ein Angriffsversuch wurde zu Ende gebracht, weil Herthas Defensive stand. Die Gefahr von Kontern war latent und wurde nur sporadisch real: So etwa in der in der 74. Minute, als Jovetic das dritte Tor der Berliner in seinen Füßen trug, allein aufs Tor der Hamburger zulief. Diesmal aber war Heuer Fernandes mit der Brust zur Stelle.
Erst als die Nachspielzeit angezeigt wird, sind die HSV-Anhänger wieder da
Der Rest der Partie war vor allem davon geprägt, dass Herthas Trainer Magath den Betonmischer bediente. Jede Auswechslung war ein neuerliches Signal an sein Team, den Vorsprung über die Zeit zu retten; sein Kollege Tim Walter quittierte es mit dem verzweifelten Versuch, jede Offensivkraft, die auf der Bank saß, aufs Feld zu werfen. In der 80. Minute kam der HSV zu einer vergleichsweise brauchbaren Torgelegenheit durch den eingewechselten Vagnoman, aber Suat Serdar bekam das Bein dazwischen.
Die Minuten verrannen, und mit jeder Sekunde, die verging, wurde das Scheitern des Hamburger SV deutlicher, der Anhang der Berliner lauter. Erst als die sechsminütige Nachspielzeit angezeigt wurde, waren die Hamburger Anhänger wieder da. Mit einem Schrei der Verzweiflung, der auf dem Rasen aber keine Erwiderung fand. Ideenlos wankte der HSV dem Ende der Partie entgegen. In der Nachspielzeit sah Herthas Tousart noch wegen Zeitspiel Gelb-Rot. Aber es änderte nichts. Der HSV muss weiter auf die Rückkehr in eine Liga warten, die er als seine angestammte Heimat begreift.