Reifendebatte in der Formel 1:Heikle Hauptdarsteller aus Gummi

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Eine Mischung, die nicht allen passt: Das Reifenthema beherrscht weiter die Formel 1.  (Foto: REUTERS)

Langsam fahren, um der Schnellste zu sein: Die Formel 1 im Jahr 2013 ist ein bisschen merkwürdig und das liegt auch an den neuen Reifen. Die Debatte dreht sich um die Zahl der Boxenstopps, um die Autos von Red Bull und um den Unterhaltungswert für die Zuschauer.

Von Michael Neudecker, Barcelona

Paul Hembery arbeitet jetzt seit 21 Jahren in der Reifenbranche, er hat schon viele Reifen kommen und gehen sehen. Hembery ist Brite, er gibt sich gerne gelassen, britisch beherrscht, und seine demonstrative Ruhe ist durchaus eine günstige Eigenschaft: Es sind gerade schwere Zeiten für die Reifenbranche, und Paul Hembery ist ihr Gesicht in der Welt. Er ist der Motorsportdirektor der Reifenfirma Pirelli, die nun im dritten Jahr die Reifen für die Formel 1 herstellt.

Er ist der Mann, der Sonntagabend erklären muss, warum alles schon wieder so gekommen ist. Die Szene ist dann meistens so, wie sie an diesem Sonntagabend im Fahrerlager von Barcelona war: Paul Hembery sitzt im schwarzen Pirelli-Motorhome, er trägt das graue Hemd seines Arbeitgebers und dazu eine dunkle Hose, vor ihm stehen Reporter aus England, Deutschland und anderswo, sie fragen, warum heute mal wieder so viele Gummifetzen geflogen seien, wie es nun weitergehe, ja: wo das alles bloß noch hinführen werde mit diesen Reifen?

Die Reifen sind die Hauptdarsteller des Formel-1-Jahrgangs 2013, es könnte lustig sein, hätte das alles nicht eine so reale Konsequenz für die ganze Sportart.

In Barcelona sagte Hembery: Er finde das "ziemlich bizarr, wir machen das gleiche wie die letzten zwei Jahre auch", er verstehe nicht, "warum ihr alle so aufgeregt seid". Die Reifen, ein reines Medienthema, hochgeschrieben und hochkommentiert von eifrig um die Nachricht des Tages ringenden Zeitungen, Fernseh- und Radiostationen? Wenn es doch so einfach wäre.

Das Reifenthema ist eines, das die Branche selbst vorgibt, und zwar gerne ungefragt. Mit Sätzen wie jenen des Mercedes-Aufsichtsratsvorsitzenden Niki Lauda, der in seiner Eigenschaft als TV-Experte (oder anders herum?) sagt: "Ich ärgere mich maßlos über dieses Spiel der Reifen, das irgendwann mal absurd wird. Das ist ein Witz für die Zuschauer, für alle."

Oder mit der Einschätzung des Weltmeisters Sebastian Vettel, der findet: Der für Barcelona neu gemischte Hartreifen sei "ein Griff ins Klo". Schließlich auch mit der Feststellung von Ferrari-Fahrer Fernando Alonso, der nach seinem Sieg in Barcelona sagte: Es sei derzeit für die Zuschauer "unmöglich, einem Rennen zu folgen".

In Barcelona dauert das Rennen 66 Runden, und weil die Reifen weniger lang hielten als geplant, mussten die meisten Autos vier Mal an die Box statt zwei oder drei Mal. Zusammengerechnet absolvierten die 22 Autos in Barcelona 79 Boxenstopps, "das ist zu viel", sagt auch Paul Hembery. Formel 1 ist mehr als alle anderen Sportarten ein Materialsport, das ist so, seit die Rennserie existiert.

Die Kunst des Siegers liegt seit je her darin, alle Materialkomponenten mit fahrerischem Geschick derart in Einklang zu bringen, dass das Auto schneller ist als die Autos der anderen. Daran hat sich nichts geändert, das Problem ist nur: Wenn eine Materialkomponente eine solches Gewicht hat wie nun die Reifen, ist das mit der Balance so eine Sache.

Die Kunst des Siegers liegt jetzt darin, zwar schneller zu sein als die Konkurrenz, aber nicht zu schnell, denn "wenn du hundert Prozent fährst, machst du die Reifen kaputt", sagt Alonso. Es gehe darum, sagt Toto Wolff, der Motorsportdirektor von Mercedes, die Renngeschwindigkeit "so weit hinunter zu managen, dass wir langsam genug sind, um die Reifen zu schonen". Langsam fahren, um der Schnellste zu sein: Die Formel 1 im Jahr 2013 ist ein bisschen merkwürdig.

Gerade Mercedes wird von der Reifenproblematik arg geschunden, Nico Rosberg und Lewis Hamilton schafften es in Barcelona erstmals aus eigener Kraft in die erste Startreihe - und wurden Sechster (Rosberg) und Zwölfter (Hamilton). "Der Reifen hält nicht aus, was wir ihm abverlangen", sagt Wolff. Er ist auch gefragt worden, was das für den Zustand der Sportart bedeute, aber Wolff wollte darauf nicht eingehen. Er vertritt ja einen großen Konzern, und große Konzerne möchten nicht, dass ihre leitenden Angestellten wirken, als suchten sie nach Ausreden.

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"Wir müssen uns selber hinterfragen", hat Wolff also geantwortet, das "wir" hat er dabei betont. Natürlich würde er sich auch wünschen, "dass wir 60 Runden volles Rohr fahren und der Schnellste gewinnt", hat er noch hinzugefügt, "aber so ist es eben nicht, und damit müssen wir umgehen".

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Die Frage aber bleibt: Was bedeutet das für den Rennsport, wenn langsam fahren zum Kriterium wird? Wenn die Wichtigkeit des Materials die Rolle des Menschen so auffallend übersteigt? Oder - ist die Unberechenbarkeit des Materials nicht auch ein Grund für die Unberechenbarkeit des Rennausgangs?

Im vergangenen Jahr gab es zahlreiche verschiedene Sieger, die Formel 1 war spannend wie lange nicht mehr. In diesem Jahr ist es kaum anders, nach fünf Rennen ist der Titelkampf offen wie selten: Es führt Sebastian Vettel, 89 Punkte, vor Kimi Räikkönen, 85 Punkte, und Fernando Alonso, 72 Punkte. War nicht die Unberechenbarkeit der Auftrag an Pirelli, als die Formel 1 sich 2011 für den Einheitsreifen entschied? Ist die Show nicht gut, irgendwie?

Paul Hembery sagt, man werde noch diese Woche entscheiden, ob die Reifen demnächst verändert werden. Allzu große Veränderungen aber wird es nicht geben, denn Hembery sagt auch: Von einem Reifen, der ewig hält, "würde nur ein Team profitieren, und zwar Red Bull".

Vettels Team baut nachweislich die schnellsten Rennautos der Branche, "und wenn wir einen anderen Reifen bauen, dann sagt ihr, dass wir die WM an Red Bull vergeben haben". Vettel war jetzt drei Mal hintereinander Weltmeister, und dauernde Dominanz langweilt, das ist eine der wichtigsten Grundregeln der Sportvermarktung.

In zwei Wochen schlägt der Zirkus seine Zelte in Monaco auf, sie haben dort den engsten Kurs der Formel 1, eine Strecke, auf der Überholen kaum möglich ist. In Monaco gewinnt oft der, der am Start vorne steht, und deshalb sei Mercedes, der Qualifying-Weltmeister dieser Saison, Favorit in Monaco, sagten die Fahrer und Teamchefs noch, bevor sie Barcelona verließen. Bei manchen klang das wie der Ausdruck einer Hoffnung: auf die Rückkehr zur Berechenbarkeit, für einen Augenblick zumindest.

© SZ vom 14.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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