Zweitliga-Relegation:"Diese Mannschaft ist keine Mannschaft"

Lesezeit: 3 min

Allein vor dem tobenden Arminia-Fanblock: Fabian Klos beim Versuch der Deeskalation während der 0:4-Niederlage gegen Wehen. (Foto: Andreas Volz/Jan Huebner/Imago)

Der drohende Niedergang von Arminia Bielefeld wird von schweren Krawallen begleitet. Kapitän Fabian Klos versucht verzweifelt, auf die randalierenden Fans einzuwirken - und geht mit dem Team ins Gericht.

Von Ulrich Hartmann

Wenn sich Fußballprofis abfällig über die eigene Mannschaft äußern, werden sie von ihrem Verein üblicherweise mit einer Geldstrafe belegt. Interne Nestbeschmutzer sind verpönt. Bei Arminia Bielefeld aber ist am Wochenende etwas Seltsames passiert. Der Kapitän Fabian Klos hatte seiner Mannschaft "Charakter" abgesprochen, er hatte gesagt, er könne sich nicht schützend vor diese Mannschaft stellen, denn: "Diese Mannschaft ist gar keine Mannschaft." Für derlei harsche Kritik hat Klos von seinem Verein keine Geldstrafe bekommen, sondern ein ausdrückliches Lob. Die Arminia schreibt im Internet: "Unser Rekordspieler war ein Muster an Vorbild, in dem, was er tat, in dem, was er sagte und in dem, was er mit seinen Emotionen nach außen trug; unser Dank gilt Fabi für sein Auftreten im Dialog mit Fans, Schiedsrichtern, Gegnern und Öffentlichkeit."

Am Freitagabend hatte der 35-Jährige seine wohl dunkelste Fußballstunde erlebt. Anlass für alarmierenden Zustände im Bielefelder Fanblock und für mehrere Weinkrämpfe von Klos war eine 0:4-Niederlage seines Zweitligisten Arminia im Relegationshinspiel beim Drittligisten SV Wehen Wiesbaden. Noch dramatischer als der sich abzeichnende freie Fall des ostwestfälischen Traditionsklubs von der Bundesliga in die dritte Liga war, dass der Privatsender Sat1 und der Bezahlsender Sky den Niedergang und die Kapitulation des Deutschen Sport-Clubs (DSC) Arminia Bielefeld live ins ganze Land übertrugen.

Von der 78. Spielminute an hatte Klos, statt Fußball zu spielen, eigentlich nur noch damit zu tun, die ausflippenden, knapp 2000 Arminia-Fans in ihrem Block hinter dem Tor zu beruhigen. Sie zündeten Feuerfontänen, schossen Raketen in die Luft, warfen qualmende Rauchtöpfe aufs Spielfeld und versuchten, ein Durchgangstor zum Spielfeld aufzubrechen. Das gelang ihnen nicht. Diese Fans waren offenbar nach vielen chaotischen Jahren der Arminia völlig am Ende mit ihren Nerven und wurden von Fatalismus regelrecht überwältigt. Ihnen schien alles egal zu sein. Es wirkte sogar so, als sehnten sie herbei, dass das Spiel abgebrochen, das Rückspiel abgesetzt und ihr Klub stante pede zum Absteiger erklärt würde.

"Es geht um das Bild, das der Verein abgibt"

Während das Spiel von der 83. Minute an bei 0:4 für 21 Minuten unterbrochen war und Spieler samt Schiedsrichtern in den Katakomben verharrten, stand Klos allein auf dem Feld vor dem Arminia-Fanblock und versuchte als verzweifelter und immer wieder weinender Dompteur, die randalierenden Fans zu bändigen. Er tat das vermutlich nicht mal primär, um die Fortsetzung des Spiels zu gewährleisten, sondern um das Gesicht seines Vereins zu wahren. "Es geht um das Bild, das der Verein abgibt", sagte er später, "und das ist mein Verein!" Der gebürtige Gifhorner spielt seit zwölf Jahren für Bielefeld.

Der weinende Dompteur: Fabian Klos, seit zwölf Jahren in Bielefeld. (Foto: Thomas F. Starke/Getty Images)

Die Arminia hat in ihrer Verfassung wohl keine allzu gute Chance, das Ergebnis am Dienstag im eigenen Stadion noch zu drehen. "Das Ding ist durch", sagt selbst Klos - es wäre bereits der zweite Abstieg binnen zwölf Monaten. Schlimmer ist, dass der 1905 gegründete Verein emotional an einem der tiefsten Punkte seiner Historie angekommen ist. "Wir müssen jetzt alles hinterfragen", sagte Klos in der Stunde null.

Der Stürmer hat mit diesem Verein alles erlebt, was man als Fußballprofi erleben kann. Er ist mit Bielefeld drei Mal auf- und zwei Mal abgestiegen, hat zwei Jahre in der Bundesliga, drei Jahre in der dritten Liga und sieben Jahre in der zweiten Liga gespielt; die Arminia war in dieser Zeit chronisch fast pleite, wurde dann von einem Bündnis regionaler Unternehmen gerettet. Der Abstieg aus der Bundesliga ist für diesen mit bescheidenen Mitteln agierenden Klub eigentlich kein riesiges Drama, auch nicht, dass die besten Spieler fortgingen - aber der freie Fall auch in der zweiten Liga, der war dramatisch.

Der DFB-Kontrollausschuss hat Ermittlungen eingeleitet, der Arminia droht eine heftige Strafe

Drei Trainer (Uli Forte, Daniel Scherning, Uwe Koschinat) binnen elf Monaten haben es nicht geschafft, den verbliebenen und neuen Spielern wettbewerbsfähigen Fußball beizubringen. "Anfangs unter Uwe Koschinat sind noch alle irgendwie mitgeschwommen", sagt Klos über den im März angetretenen Trainer, "aber in den letzten zwei Wochen musste man dieser Mannschaft den Charakter absprechen." Schon als sie mit einem Sieg in Magdeburg den Klassenverbleib hätten sichern können, ging sie 0:4 unter. Jetzt wieder. "Diese Mannschaft ist keine Mannschaft", sagte Klos also, "und ich kann jetzt gar nicht alles sagen, was ich denke." Es stehe noch ein Spiel aus. Und er sei schließlich der Kapitän. "Auf die Fans", sagte Klos, "kann ich gar nicht richtig sauer sein." Auch Koschinat nahm den Anhang in Schutz: "Irgendwann läuft ein Fass eben über."

Am Samstag hat der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bunds Ermittlungen eingeleitet. Der Arminia droht eine heftige Strafe. Weil bis zum Rückspiel am Dienstag (20.45 Uhr, Sat1) kaum Zeit bleibt, ist ein Geisterspiel eher nicht zu befürchten. Bis Sonntag wurden bereits knapp 24 000 Karten abgesetzt. Die Mannschaft hat wieder trainiert, und die Stimmung im Klub ist höchst angespannt. Es wird spannend, welche Leistung die Mannschaft nach der Eskalation und Klos' Kritik überhaupt noch zeigen kann.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusRelegation
:Freie Bahn für den VfB

Ein Abend von bemerkenswerter Eindeutigkeit: Der VfB Stuttgart schießt drei Tore gegen den HSV und hat Chancen für drei weitere Spiele. Die Hamburger leisten sich einen Blackout zur Unzeit - und haben im Rückspiel eigentlich nur noch eine Hoffnung.

Von Thomas Hürner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: