Manchester United:Solskjaers gewagte Kalkulation

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Zuletzt über einen Monat ohne eigenes Tor in der Premier League geblieben: Cristiano Ronaldo trifft am Wochenende gegen Tottenham wieder für Manchester United. (Foto: Mike Hewitt/Getty Images)

Die Beziehung zwischen dem United-Trainer und Cristiano Ronaldo hat sich zu einer Art Schicksalsgemeinschaft entwickelt. Mit seiner Leistung gegen Tottenham rettet der Stürmer dem Coach den Job.

Von Sven Haist, London

Ein öffentliches Zerwürfnis mit Cristiano Ronaldo hätte Trainer Ole Gunnar Solskjaer zum Abschluss dieser turbulenten Woche bei Manchester United gerade noch gefehlt, nachdem er beinahe wegen des vorherigen Fiaskos gegen den Erzrivalen FC Liverpool (0:5) entlassen worden wäre. Fast unterwürfig nahm Solskjaer daher den geltungsbedürftigen Portugiesen an der Seitenlinie in Empfang, um ihm den heiklen Schritt seiner Auswechslung in der Schlussphase des Ligaspiels bei Tottenham Hotspur am Samstagabend zu erklären.

Mit respektvollem Applaus begleitete Solskjaer den Abgang des Mittelstürmers vom Platz und legte ihm herzlich den Arm um die Schultern. Diplomatisch lobte er Ronaldo im Zwiegespräch für sein Tor und sein Assist beim 3:0 gegen Tottenham und warb um Verständnis für die Entscheidung, ihn dabei vorzeitig aus dem Spiel genommen zu haben.

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Die hatte ja einzig zum Zweck, ihn zu schonen (und nicht zu verärgern), weil Ronaldo am Dienstag in der Champions League bei Atalanta Bergamo wieder gebraucht wird und dann auch, wenn nächsten Samstag Stadtnachbar City zu Gast ist. Nach einigen bangen Sekunden für Solskjaer gab Ronaldo letztlich sein Einverständnis und zog sich, ohne Schnute zu ziehen, auf die Ersatzbank zurück.

Die Ehrenrettung verschiebt die auf der Insel als unausweichlich angesehene Absetzung

Seit seiner Rückkehr nach Manchester im Sommer hat sich die Beziehung zwischen Solskjaer und Ronaldo, einst Mitspieler bei United, zu einer Art Schicksalsgemeinschaft entwickelt. Solskjaer scheint die Ausrichtung seines Teams den Bedürfnissen des Superstars anzupassen: in der gewagten Kalkulation, dessen Tore würden seine Sonderstellung rechtfertigen. Daraus hat sich die bemerkenswerte Statistik entwickelt, dass United in den bisher sieben Ligapartien mit Ronaldo jeweils nur gewonnen hat, wenn er selbst getroffen hat.

Nach den beiden erfolgreichen Partien zum Einstand blieb Ronaldo zuletzt über einen Monat ohne eigenes Tor in der Premier League - bis er nun gegen ein einfallsloses Tottenham mit einem sehenswerten Volleyschuss (39. Minute) und einem gleichermaßen sehenswerten Steckpass für Sturmpartner Edinson Cavani (64.) den ungefährdeten Sieg einleitete.

Der eine trifft und geht, der andere kommt und trifft: Cristiano Ronaldo (links) wird für Marcus Rashford ausgewechselt. (Foto: Frank Augstein/AP)

Die Ehrenrettung verschiebt seine auf der Insel als unausweichlich angesehene Absetzung und reduziert den Handlungszwang des Klubs. Stattdessen ist jetzt Tottenhams Klubchef Daniel Levy gefordert, auf die vehementen Forderungen der Fans nach einem Rauswurf des Trainers Nuno Espirito Santo zu reagieren ("We want Nuno out"). Dessen Spielweise wirkt wie eine Replik auf den destruktiven Stil seines portugiesischen Landsmanns und Vorgängers José Mourinho.

"Wir sind nicht auf dem richtigen Weg und verstehen die Kritik", sagte Santo. Wenn die Mannschaft keine Leistung bringe, würden die Zuschauer halt zeigen, dass sie nicht zufrieden seien. Nach monatelanger Trainersuche erhielt Santo vor Saisonbeginn den Zuschlag, obwohl er zu den Klienten des Beraters Jorge Mendes gehört, der Tottenham paradoxerweise schon Mourinho angedreht hatte.

Der Hauptvorwurf an Solskjaer: Es lasse sich selbst mit Wohlwollen kein übergeordnetes Konzept erkennen

In einer von den taktischen Formationen geprägten Begegnung setzte United erstmals nach knapp einem Jahr (seit dem Champions-League-Vorrunden-Aus bei RB Leipzig in der Vorsaison) wieder auf eine Dreierkette in der Abwehr. Durch den bewährten Rückzug in die eigene Hälfte nach Ballverlust korrigierte Solskjaer das misslungene Wagnis gegen Liverpool, seine Mannschaft früh attackieren zu lassen. Anstelle des üblichen Konterspiels, das mit den Routiniers Ronaldo, 36, und Cavani, 34, nur bedingt umsetzbar gewesen wäre, war der Plan diesmal, über die Außenspieler Aaron Wan-Bissaka und Luke Shaw die beiden Strafraumstürmer mit Flanken zu versorgen.

Auf diese Weise entstand prompt der vermeintlich entscheidende Führungstreffer. Jeder Spieler hätte seine Aufgabe "haargenau" erfüllt, bilanzierte Solskjaer erfreut. Unmittelbar nach Abpfiff bedankte er sich persönlich bei jedem Profi einzeln auf dem Platz für seinen Beitrag - und zeigte sich auch bei den Fans erkenntlich, die ihm als Vereinsidol massiv den Rücken gestärkt hatten.

Allerdings taugt die speziell auf Tottenham ausgerichtete Spielstrategie kaum als Vorlage für die nächsten Aufgaben. Der Guardian schrieb, dass es schon zu viele "trügerische Hoffnungen" gegeben habe, um zu sagen, die Wende sei geschafft. Mit einem Durchschnittalter von über 28 Jahren nominierte Solskjaer die älteste Startelf seiner knapp dreijährigen Amtszeit. Die Zusammenstellung bietet deshalb wohl keine echte Perspektive, um dauerhaft in dieser Anordnung erfolgsversprechend agieren zu können. Das ist ja stets der Hauptvorwurf an Solskjaer gewesen, dass sich selbst mit Wohlwollen kein übergeordnetes Konzept erkennen ließe.

Zwar betonte er zu Recht die Bedeutung der Erfahrung in einer solchen Situation und lobte den "alten Mann" Cavani, der das Team angeführt hätte, aber seine Personalwahl dürfte sich für die talentierten Jungprofis im Kader dennoch wie ein Misstrauensvotum angefühlt haben. Immerhin gelang Marcus Rashford noch das dritte Tor (86.) - nachdem der 24-Jährige zuvor für Cristiano Ronaldo eingewechselt worden war.

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