N'Golo Kanté ist der vielleicht höflichste Fußballer im Profigeschäft. Es gibt zahlreiche Anekdoten, die den Ballfänger des FC Chelsea als einen unprätentiösen, zuvorkommenden Zeitgenossen beschreiben. Für einen Sieg gegen den FC Arsenal soll er sich bei einem Gunners-Fan sogar einmal entschuldigt haben.
Bei Chelseas Besuch an der Anfield Road konnte in einem Moment der Eindruck entstehen, der Franzose wolle auch dem FC Liverpool einen Gefallen tun. Dem Klub von Jürgen Klopp ergeht es zurzeit nicht gut, er erlebt die schlimmste Phase unter dem deutschen Trainer. Vielleicht ging Kanté deswegen mit gehobenen Armen, als wolle er sich entschuldigen, in den Zweikampf mit Liverpools Roberto Firmino. Der brasilianische Stürmer flankte an Kantés rechte Hand. Und da die Szene sich im Strafraum abspielte, hätte es ein vortreffliches Gastgeschenk von Kanté werden können. Denn ein Strafstoß hätte die kriselnden Liverpool wieder zurückbringen können ins Spiel gegen das von Thomas Tuchel trainierte Chelsea.
Premier League:Klopps dunkle Serie setzt sich fort
Der Liverpool-Trainer verliert auch das Derby gegen Everton. Chelsea-Coach Thomas Tuchel kritisiert Callum Hudson-Odoi harsch. Lazio gewinnt vor dem Champions-League-Spiel gegen Bayern.
Doch Schiedsrichter Martin Atkinson und der Videoassistent verwehrten einen Strafstoß und so nahm das Übel für Jürgen Klopp seinen Lauf. Denn das 0:1 durch Chelseas Mason Mount konnten die "Reds" nicht mehr aufholen. Und so reihte Klopps Elf die fünfte Heimniederlage in Serie aneinander - das gab es in der Vereinsgeschichte noch nie. "Es ist ein schwerer Schlag", sagte Klopp beim TV-Sender Sky, gab sich aber auch kämpferisch. "Es ist noch nicht vorbei. Wir müssen Fußballspiele gewinnen." Der Meister ist auf Platz sieben abgerutscht, die Champions-League-Qualifikation ist in ernsthafter Gefahr.
Mount spielt stark auf für Chelsea
Chelsea mit Kanté sind dagegen auch im zehnten Spiel unter Tuchel ungeschlagen und mit dem Sieg auf den so wichtigen vierten Platz geklettert, der zur Teilnahme an der Champions League berechtigt. Vier Zähler beträgt der Vorsprung vor Liverpool. "Es ist ein Sechs-Punkte-Spiel, weil die anderen verloren haben", freute sich Tuchel. "Das Rennen läuft, es sind immer noch elf Spiele zu absolvieren. Wir gehen einen Schritt nach dem anderen. Wir können uns niemals ausruhen und nie feiern, dafür ist keine Zeit." Chelsea trifft am Montag auf Everton, den nächsten Konkurrenten um Platz vier.
Der erneut stark aufspielende Mason Mount hatte Chelseas Sieg gesichert. Er war kurz vor der der Halbzeitpause von links in den Strafraum gedribbbelt und hatte den Siegtreffer mit einem Flachschuss erzielt (42.). "Die individuelle Qualität von Mason Mount in diesem Moment hat den Unterschied gemacht", resümierte Klopp. "Es war ein enges, intensives Spiel. Beide Teams haben viel investiert. Das ist es im Prinzip."
Vor Mounts Treffer war Stürmer Timo Werner nach 24 Minuten das vermeintliche 1:0 für Chelsea geschossen. Doch das Tor des 24-Jährigen zählte nach Rücksprache mit dem Videoschiedsrichter nicht, weil Werner maximal um zwei Millimeter im Abseits gestanden hatte. Es war die auffälligste Szene des deutschen Nationalspielers, der mit seinen Sprints die wacklige Liverpooler Defensive ein ums andere Mal ins Wanken brachte. "Man muss anders verteidigen, das haben wir nicht gut gemacht", sagte Kloppt enttäuscht. "Leider können wir nicht behaupten, dass das nur zu Hause so ist. Es hat nichts mit Anfield zu tun, es passiert allgemein zu oft. In den entscheidenden Momenten müssen wir uns verbessern. Da müssen wir unsere Qualität zeigen, und das tun wir nicht oft genug."
Klopp muss wegen zahlreicher Verletzungen schon fast die gesamte Saison in der Innenverteidigung improvisieren. Diesmal lief neben dem Ex-Schalker Ozan Kabak der nach einer rund einmonatigen Muskelverletzung gerade erst genesenen Fabinho auf, der im entscheidenden Zweikampf mit Mount auch gleich die nötige Spritzigkeit vermissen ließ. Einen Mangel in dieser Hinsicht machte Klopp bei Mo Salah schon nach 62 Minuten aus, als er den Stürmer auswechselte. Salah war zwar mit einigen gefährlichen Pässen auffällig, aber schoss nicht einmal aufs Tor. "Es sah so aus, als habe er die Intensität gespürt und ich wollte bei ihm nichts riskieren", erklärte Klopp. Die fehlende Frische wollte Klopp aber nicht auf den intensiven Spielstil zurückführen, den Liverpool seit seiner Amtsübernahme pflegt. "Die letzten zwei oder drei Jahre haben damit nichts zu tun. "
Während Liverpool Müdigkeit bekämpft, hat Tuchel bei Chelsea neue Energien freigesetzt. "Wir haben nie die Einstellung und den Willen verloren, es war ein verdienter Sieg und eine große Leistung", befand der deutsche Trainer. Damit dürfte er auch den höflichen Herrn Kanté gemeint haben.