Premier League:"Ich habe nie Probleme mit Schiedsrichtern - außer mit Ihnen"

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Standpauke von Jürgen Klopp: Liverpools Trainer (links) echauffiert sich lautstark, und Schiedsrichter Paul Tierney hört zu. (Foto: Frank Augstein/dpa)

Die Premier League kann Jürgen Klopp dankbar sein: Liverpools Trainer legt sich mit dem Referee an - und sorgt in Corona-Krisenzeiten damit für dringend benötigte sportliche Nachrichten.

Von Sven Haist, London

Die Premier League kämpft um ihren Ruf, denn das Bild, das der englische Ligaverbund gerade abgibt, ist ziemlich stümperhaft. Das Entscheidungsgremium um den mächtigen Premier-League-Geschäftsführer Richard Masters hat viel zu lange gewartet, die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus zu verschärfen und den Druck auf den ungeimpften Teil der Profis (rund ein Viertel aller Spieler) zu erhöhen. Nun steigen die Corona-Infektionszahlen unter den Spielern und Angestellten der Klubs rasant, was allein in der Vorwoche zu zehn Spielabsagen führte.

Eine Empörungswelle zieht nun durchs Land. Vertragspartner wie Sponsoren und TV-Stationen fordern ihre Rechte ein; auch Vereine fühlen sich benachteiligt. Fans monieren, sie hätten teilweise viel zu spät von den Spielabsagen erfahren - nämlich als sich einige von ihnen bereits auf den Auswärtsfahrten befanden. Die Debatten drücken aufs Selbstverständnis des englischen Fußballs, der sich bekanntlich als das Nonplusultra sieht. Wie gut, dass es am Sonntag mal wieder um den puren Sport ging, weil das Spitzenspiel zwischen Tottenham Hotspur und dem FC Liverpool anstand.

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Und auf Jürgen Klopp, Liverpools deutschen Coach, konnte sich die Premier League wieder einmal verlassen, weil er etwas liefert, was die Liga dringend braucht: ein anderes Thema als Corona.

Seit Klopp vor sechs Jahren seine Arbeit als Trainer in Liverpool aufgenommen hat, gelten die Spiele seines Vereins als das attraktivste Produkt - und diesem Renommee wurde Klopp mit seinem Team erneut gerecht. Liverpool bot zusammen mit Tottenham beim abwechslungsreichen 2:2 eine Vorstellung, die erst mal alle anderen Diskussionen innerhalb der Liga übertönt hat. Vier Tore, drei strittige Szenen, eine rote Karte und zwei Schiedsrichterschelten.

Schon in der Halbzeitpause stellte Klopp den Schiedsrichter im Kabinengang zur Rede

Direkt nach Abpfiff stürmte Klopp mit sarkastischem Lachen auf den Unparteiischen Paul Tierney zu und hielt ihm eine Standpauke, die sich aufgrund ihrer Lautstärke über die Kameramikrofone verifizieren ließ. "Ich habe nie Probleme mit Schiedsrichtern - außer mit Ihnen", polterte Klopp und warf Tierney vor, selbst "nie" Fußball gespielt zu haben. In der Pressekonferenz ging Klopp, der nach verlorenen Spielen eigentlich notorisch die Schiedsrichterleistungen beanstandet, weiter in die Vollen, indem er klagte, dass er "keine Ahnung" habe, welches "Problem" der Unparteiische mit ihm habe.

Aus seiner Perspektive hätte Tottenhams Torjäger Harry Kane für sein gesundheitsgefährdendes (und nur mit der gelben Karte geahndetes) Foul an Andrew Robertson mit einem Platzverweis bestraft und Liverpools Diogo Jota ebenfalls in der ersten Halbzeit ein Elfmeter zugesprochen werden müssen. Stattdessen erhielt Klopp für seine wort- und gestenreichen Beschwerden am Seitenrand eine Verwarnung.

Schon in der Halbzeitpause hatte Klopp den Schiedsrichter mit ausgebreiteten Armen im Kabinengang zur Rede gestellt. "Mister Tierney" habe ihm mitgeteilt, so Klopp, dass Jota "absichtlich" stehen geblieben sei, um gefoult zu werden. Dabei müsse ein Spieler vor dem Torabschluss abbremsen, weil laufen und schießen gleichzeitig nun mal schwer zu bewerkstelligen ist. Noch mehr in Rage versetzte Klopp die nicht gegebene rote Karte für Kane, der Robertson das Bein gebrochen hätte, wenn dieses Bein nicht "durch puren Zufall" zum Zeitpunkt des Tritts in der Luft gewesen wäre.

Gelb oder Rot? Harry Kane (rechts) grätscht, Andrew Robertson fliegt in hohem Bogen durchs Stadion. (Foto: David Klein/Reuters)

Eine Mitschuld sah Klopp auch beim Videoassistenten Chris Kavanagh ("Was hat er in dieser Situation gemacht?"), der im Gegensatz zur späteren Hinausstellung für Robertson (77./nach rüdem Einsteigen gegen Emerson) nicht eingegriffen hatte. Sein ebenfalls für Schiedsrichterkritik empfänglicher Trainerkollege Antonio Conte sah das freilich anders. Conte befand, es sei "nicht richtig", dass Klopp die Entscheidungen monierte - und stufte selbst den zweiten Liverpool-Treffer durch Robertson (69.) wegen "klaren Handspiels" als "unglaublich" irregulär ein. Fünf Minuten später konnte Tottenham durch Heung-min Son zwar noch den Rückstand egalisieren (74.), aber zum Siegtor reichte es in der Schlussphase trotz Überzahl nicht mehr.

Klopp appelliert an die Premier League: "Wir brauchen Hilfe!"

Mit drei Siegen und zwei Unentschieden bleiben die im Verfolgerfeld platzierten Londoner unter Conte, der dort Anfang November den entlassenen Nuno Espírito Santo ersetzte, in der Liga ungeschlagen. Die Bilanz des Italieners ist umso beachtlicher, weil Tottenham nach diversen Corona-Fällen im Team zuletzt zwei Wochen kein Spiel bestritten hatte und am Montag die Nachricht kam, dass man am grünen Tisch aus der Conference League ausscheiden muss. Das Gruppenspiel gegen Stade Rennes musste abgesagt werden und ein Nachholtermin war bis zum 31. Dezember nicht zu finden - und so wertete die Uefa die Partie 0:3 gegen Tottenham. Für Liverpool hingegen bedeutet der Punktverlust in der Liga einen Drei-Zähler-Rückstand auf den konstant gewinnenden Tabellenführer Manchester City.

Zusätzlich zu den Spielereignissen dürfte Klopp die Personallage seines Kaders die Laune verdorben haben. Obwohl laut Klopp jeder Spieler und Mitarbeiter am Trainingsgelände mindestens doppelt geimpft sei und "so bald wie möglich" eine Auffrischung erhalten werde, haben sich inzwischen vier Stammspieler mit dem Virus infiziert. Dazu kuriert Kapitän Jordan Henderson einen grippalen Infekt aus. Weil Liverpool derzeit offenbar fürchtet, weiteren Boden auf Meister City zu verlieren, versuchte Klopp seinen Einfluss auf der Insel geltend zu machen, indem er an die Premier League appellierte: "Wir brauchen Hilfe!" Gemeint war damit die Entzerrung des Spielkalenders über die Festtage, der für Liverpool drei Partien in sieben Tagen vorsieht - und das ohnehin geschwächte Team hart auf die Probe stellen könnte. Kürzlich, als Liverpool einen Lauf von acht Pflichtspielsiegen hinlegte, schien Klopp eine Spielpause noch mit Skepsis zu betrachten - jetzt sieht er die Angelegenheit anders.

Am Montagnachmittag tagte die Premier League und beriet mit den Vereinen über das weitere Vorgehen. Wie das Sportmagazin The Athletic vorab berichtete, sei es dort der Wunsch der Mehrheit gewesen, über die Feiertage wie geplant weiterzuspielen - und lediglich bei akuten Corona-Ausbrüchen einzelne Partien zu verschieben. Jürgen Klopp hat jetzt also auch über Weihnachten genügend Gelegenheiten, sich aufzuregen.

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