Premier League:Das Virus legt die Liga lahm

Premier League: Einsamer Aston-Villa-Fan: In der Premier League sind insgesamt sechs Partien wegen Corona komplett abgesagt worden.

Einsamer Aston-Villa-Fan: In der Premier League sind insgesamt sechs Partien wegen Corona komplett abgesagt worden.

(Foto: Michael Steele/Getty Images)

Die Infektionszahlen in England schießen nach oben und treffen auch die Profis der Premier League. Sechs von zehn Partien müssen abgesagt werden - die Liga beruft eine Notfallsitzung ein.

Von Sven Haist, London

Sehr viel länger hätte die Premier League mit der Absage des Ligaspiels zwischen Aston Villa und dem FC Burnley am Samstag nicht mehr warten können. Erst knapp zweieinhalb Stunden vor Spielbeginn um 15 Uhr stimmte das Entscheidungsgremium des höchsten englischen Fußballbetriebs zu, die Partie "aufgrund weiterer positiver Corona-Fälle" zu verlegen, weil Aston Villa jetzt nicht mehr genügend Profis zur Verfügung stehen würden, um ein Team zu stellen.

Zu dieser Einschätzung hätte die Ligaorganisation freilich früher kommen können, nachdem Steven Gerrard, Trainer des Mittelklasseklubs aus Birmingham, bereits vorm Spiel beim Tabellenletzten Norwich City (2:0) am Dienstag vermeldete, dass sich zahlreiche Spieler und Mitarbeiter des Vereins mit Corona infiziert hätten und ein Training abgesagt werden musste. Stattdessen probierte die Premier League, wie so häufig, die Begegnung ohne Rücksicht auf Verluste durchzudrücken - bis Villa dem Ausschuss am Spieltag nach der nächsten Testreihe noch einmal eine erhöhte Anzahl an positiven Ergebnissen mitteilte.

Premier League: Enttäuschung statt Erlebnis: Fans von Aston Villa gehen betrübt nach Hause - die Partie gegen den FC Burnley wurde kurzfristig abgesagt, ebenso wie fünf andere Begegnungen des 18. Spieltags der Premier League.

Enttäuschung statt Erlebnis: Fans von Aston Villa gehen betrübt nach Hause - die Partie gegen den FC Burnley wurde kurzfristig abgesagt, ebenso wie fünf andere Begegnungen des 18. Spieltags der Premier League.

(Foto: Michael Steele/Getty Images)

Mit der kurzfristigen Stornierung tat sich der einmal mehr auf Zeit spielende Ligavorstand keinen Gefallen. Das schwer nachvollziehbare Vorgehen führte zu einem Aufschrei auf der Insel, weil neben beiden Klubs und deren Fans auch die übertragenden Fernsehsender in Mitleidenschaft gezogen wurden. Ungefähr 2000 Ticketinhaber aus Burnley hatten zu diesem Zeitpunkt bereits die dreistündige Anreise nach Mittelengland auf sich genommen. Für die Komplikationen entschuldigte sich die Premier League lediglich mit einem kühlen Satz bei den Fans.

Gleich gar keine Erwähnung fanden die entstandenen Unannehmlichkeiten für die Fernsehrechteinhaber. Die normalerweise 80 Minuten lange, reichweitenstarke Spieltagzusammenfassung der BBC am Samstagabend schrumpfte zur besten Sendezeit beispielsweise auf eine halbe Stunde. Auf Twitter witzelte der frühere Weltklasseangreifer Gary Lineker, der die BBC-Sendung "Match of the Day" moderiert, in Anlehnung an den Queen-Hit "Another One Bites The Dust", dass noch ein weiteres Spiel ("another game") flöten gegangen sei - und erfreute sich daran, dass es dadurch wenigstens keine Diskussionen unter den Zuschauern geben würde, welche Partie zuerst gezeigt werde. Übrig blieb ja am Samstag einzig Leeds United gegen den FC Arsenal (1:4).

Premier League: Ein Ordner checkt den Covid-Pass eines Fans vor dem Spiel zwischen Leeds und Arsenal - der einzigen Partie, die am Samstag stattfand.

Ein Ordner checkt den Covid-Pass eines Fans vor dem Spiel zwischen Leeds und Arsenal - der einzigen Partie, die am Samstag stattfand.

(Foto: Lindsey Parnaby/AFP)

Nach drei Corona-bedingten Absagen am vergangenen Spieltag hat die Premier League an diesem Wochenende nun sogar sechs der zehn Begegnungen aus dem Programm nehmen müssen. In den drei unterklassigen Profiligen konnten ebenso mehr als die Hälfte der Partien nicht wie geplant stattfinden. Dafür verantwortlich sind die rapide steigenden Corona-Infektionen im Vereinigten Königreich, von denen natürlich auch Spieler und Trainer betroffen sind, die nach einem positiven Test ihren Klubs für mindestens zehn Quarantänetage fehlen.

Die Impfquote unter den Spielern der englischen Liga ist gering

Zumal die Impfquote unter den Profis in der Premier League dem Vernehmen nach weit hinter der anderer europäischer Ligen zurückhängt. Während angeblich mehr als 90 Prozent der Profis in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien geimpft sind, lag der Anteil auf der Insel vor zwei Monaten bei lediglich 68 Prozent - und soll sich seitdem allenfalls marginal erhöht haben. Vor ein paar Tagen klagte Southamptons Trainer Ralph Hasenhüttl, dass die Zahl an ungeimpften Spielern "zu hoch" sei. Am Freitag und Samstag infizierten sich jeweils über 90 000 Menschen in Großbritannien mit dem Virus, ein Höchstwert, der mitunter auf die besonders schnelle Verbreitung der Omikron-Variante zurückzuführen ist. Dabei ist der englische Fußball insgesamt zu einem Opfer der eigenen Versäumnisse und der britischen Regierung um Premierminister Boris Johnson geworden.

Trotz der vor Wochen drohenden Infektionswelle entschied sich das Parlament für die riskante Strategie, die Allgemeinheit weitgehend allein zu lassen mit dem Virus. Auch in der Vorwoche, als die Corona-Zahlen nach oben schossen, hielt die Regierung an ihren laschen Einschränkungen fest. Ironischerweise galt die Premier League sogar erst als einer der Profiteure von den kaum vorhandenen Regelungen, weil die Klubs dadurch immer noch in vollen Stadien spielen dürfen. Der Umsatz am Spieltag beläuft sich schon durch die Zuschauereinnahmen für die Vereine auf einen Millionenbetrag.

Der Ligavorstand kann immer noch "von Fall zu Fall" entscheiden

Ähnlich wie den meisten Politikern fällt die nachlässige Handhabung der Situation der chronisch trägen Liga jedoch nun auf die Füße: Ohne wesentliche Vorkehrungen scheinen sich die Viren in so vielen Vereinen mittlerweile verbreitet zu haben, dass ein geregelter Spielbetrieb kaum aufrechtzuerhalten ist. Selbst die Corona-Bestimmungen der Premier League zu möglichen Spielverlegungen haben sich seit Saisonbeginn nicht verändert. Nach wie vor sind "außergewöhnliche Umstände" der Maßstab für etwaige Verschiebungen. Der Ligavorstand behält sich hierbei das Recht vor, jeweils "von Fall zu Fall" und auf Basis "einer Reihe an Faktoren" zu urteilen.

Diese in jede Richtung dehnbare Formulierung führt bereits zu Protesten sich gegenseitig misstrauender Vereine, die eine Stringenz und Überprüfbarkeit der Entscheidungen verlangen. Am Sonntag beschwerte sich Chelseas Trainer Thomas Tuchel, weil die Liga das Spiel bei den Wolverhampton Wanderers (0:0) nicht verlegen wollte - obwohl Chelsea laut Tuchel sieben Corona-Fälle beklagt, darunter Nationalspieler Timo Werner. "Es ist schwer zu verstehen. Ich dachte, wir haben ein starkes Argument mit der Sicherheit und Gesundheit der Spieler", sagte Tuchel der BBC.

Liverpool musste am Sonntag indes ohne die an Corona erkrankten Virgil van Dijk, Fabinho und Curtis Jones antreten - und kam bei Tottenham nur zu einem 2:2. "Wir spielen wieder am Mittwoch, am Sonntag und am Dienstag", sagte Trainer Jürgen Klopp, "das ist unmöglich. Wir können das nicht alles durchdrücken." Klopp schlug vor, als ersten Schritt die Halbfinals im Ligapokal nicht mit Hin- und Rückspiel auszutragen.

Eine Spielpause steht im Raum - doch Nachholtermine sind knapp

Für Montag hat die Premier League die Spielführer, Trainer und Klubchefs zu einer Notfallsitzung einbestellt. In dieser Besprechung soll vor allem über eine vorübergehende Spielpause ("firebreaker") beraten werden. Einige von Corona stark gezeichnete Vereine haben durchklingen lassen, dem Vorschlag nicht abgeneigt zu sein. Allerdings gehen auch hier die Interessen der Klubs auseinander, weil sich speziell für die international involvierten Spitzenvereine fast keine freien Termine bis Saisonende ergeben, an denen Partien nachgeholt werden können. Er sehe "keinen großen Nutzen" in einer Pause, erklärte Klopp, denn nach einer möglichen Unterbrechung wäre die Situation auf der Welt "immer noch" dieselbe. Ungeachtet dessen dürfte die Vereine eine solche Ruhephase teuer zu stehen kommen, weil die TV-Rechteinhaber wohl eine Entschädigung für die ausgefallenen Partien an Weihnachten einklagen würden, die meistens besonders gute Einschaltquoten hervorrufen.

Wie das Treffen mit den Klubs letztlich ausgeht, ist ungewiss. Fest steht, dass die Premier League diese Entscheidung eher nicht bis zwei Stunden vor Beginn des nächsten Spieltags, dem Boxing Day am zweiten Weihnachtsfeiertag, herauszögern kann.

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