In gewisser Weise konnte Mikel Arteta nur verlieren. Egal, wie er die Hintergründe zur überraschenden Abwesenheit seines Kapitäns Pierre-Emerick Aubameyang im Heimspiel gegen den FC Southampton auch vermittelt hätte, seine Erklärung wäre stets mit einem Nachteil verbunden gewesen. Wenn sich der Trainer des FC Arsenal auf die drängenden Nachfragen eine Ausrede zum Schutz seines Torjägers hätte einfallen lassen, hätte er die Unwahrheit sagen müssen. Aus Gründen der Transparenz jedoch alle Interna zum fehlenden Aubameyang auszuplaudern, hätte wiederum seinen Spieler bloßgestellt. Und so wählte Arteta einen (letztlich wohl unvermeidlichen) Mittelweg, indem er nichts Halbes und nichts Ganzes sagte.
"Leider" sei Aubameyang wegen eines "Disziplinarverstoßes" nicht im Kader, sagte Arteta und ergänzte, dass die Situation "nicht einfach" sei. Weitaus tiefer ließ dann sein Folgesatz blicken, dass sich das Team bislang "sehr konsequent" an alle Vorgaben gehalten habe, die der Klub ihm auferlegt hat - was umgekehrt bedeutete, dass dies bei Aubameyang nicht der Fall war. Das Sportportal The Athletic meldete während der Partie am Samstag, dass Aubameyang nach der Niederlage beim FC Everton am vorigen Montag zu spät von einer wegen persönlichen Gründen genehmigten Auslandsreise zurückgekehrt sei. An diesem Dienstag folgte dann ein offizielles Klub-Statement, das den Vorgang noch einmal bestätigte: Aubameyang sei wegen seiner "Disziplinlosigkeit" nicht länger Kapitän, hieß es.
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Dieser Zwischenfall zog Komplikationen mit den bestehenden Einreiseverordnungen des Landes sowie den Coronavirus-Regularien der Premier League nach sich - es war nicht der erste dieser Art bei Aubameyang. Zuletzt strich ihn Arteta im März aus der Startelf, weil er zu spät zum Treffpunkt des Ligaduells mit Stadtrivale Tottenham Hotspur erschienen war. Und in der vergangenen Hinrunde verpasste der gabunische Nationalspieler einen Corona-Test vor einem Europapokalspiel und brach dann im Februar abermals die Regeln, als er sich während des Lockdowns ein Tattoo stechen ließ.
Auch ohne den Kapitän gelingt Arsenal ein souveränes 3:0
Der Klub mahnte ihn mit einer öffentlichen Stellungnahme ab, die ihn an seine "Verantwortung" erinnern sollte. Aufgrund dieser unrühmlichen Liste an Vorkommnissen hat sich der bisweilen ebenso genialische wie kaum zu kontrollierende Aubameyang inzwischen selbst entbehrlich gemacht.
Trotz seiner kurzfristigen Nicht-Nominierung spielte Arsenal ein souveränes 3:0 über das abstiegsbedrohte Southampton heraus und hält dadurch weiter Anschluss an den vierten Tabellenplatz. Dieser würde die Londoner erstmals seit der Saison 2016/17 wieder zur Teilnahme an der Champions League berechtigen. Aubameyangs freie Mittelstürmerposition übernahm sein Angriffskonkurrent Alexandre Lacazette, der prompt das Führungstor erzielte (21.), bevor Spielmacher Martin Ødegaard (27.) und Innenverteidiger Gabriel (62.) nachlegten. Weitaus mehr als die Partie selbst brachten Trainer Arteta später die Nachfragen auf der Pressekonferenz zu Aubameyang ins Schwitzen.
Stimmt es, dass Aubameyang wegen seiner verspäteten Ankunft aus dem Kader genommen wurde? Es sei ein "Disziplinarverstoß" gewesen, wiederholte Arteta patzig, was die wenig zimperliche Inselpresse nicht davon abhielt, sechs weitere Male nachzuhaken. Hätte er prinzipiell eingesetzt werden können? Er sei "sehr erfreut" über den Sieg, sagte Arteta. - Ob Aubameyang weiter Kapitän des Teams bleibe? "Lasst uns übers Spiel reden, Leute!" - Ist er für das Ligaheimspiel am Mittwoch gegen West Ham wieder eine Option? "Ich habe bereits erklärt, warum er nicht dabei war." Am Dienstag stellte sich heraus: Aubameyang ist für diese Partie suspendiert worden.
Vor einem Jahr wurde Aubameyangs Vertrag zu üppigen Bezügen verlängert - seitdem sind seine Leistungen dürftiger geworden
Seit seinem Winterwechsel 2018, als er für 63,75 Millionen Euro von Borussia Dortmund kam, hat sich zwischen Arsenal und Aubameyang eine stark ambivalente Beziehung entwickelt. Zwar hat der Stürmer mit außergewöhnlichen 92 Toren in 163 Pflichtspielen den Abwärtstrend des Klubs einigermaßen aufgehalten und dem Verein mit jeweils zwei Toren im Halbfinale und Finale maßgeblich zum Sieg im FA-Cup 2020 verholfen. Dafür sahen die Londoner über einige seiner Flausen hinweg.
Die Beziehung spitzte sich letztlich vor einem Jahr zu, als Arsenal den Vertrag mit ihm über den Sommer 2021 hinaus langfristig verlängern wollte. Allerdings zögerte der inzwischen 32-Jährige seine Zusage hinaus, um den Preis in die Höhe zu treiben. Aus Sorge vor einem ablösefreien Wechsel willigte Arsenal schließlich ein, ihm ein Arbeitspapier bis 2023 auszuhändigen - zu einem horrenden Wochensalär von angeblich mehr als einer Viertelmillion Pfund.
Seitdem gelangen dem treffsicheren Aubameyang jedoch bloß noch überschaubare 14 Tore in 43 Ligaspielen. Neben leichten Blessuren fehlte er im Frühjahr fast einen Monat lang wegen einer Malaria-Erkrankung. Sein dürftiger Leistungsnachweis löst bei Arsenal nun die Sorge aus, dass er seinen lukrativen Kontrakt ähnlich bequem aussitzen könnte, wie das einst Mesut Özil vorgeworfen wurde, bis der ein halbes Jahr vor Vertragsende zu Fenerbahce Istanbul weiterzog.
Im Rahmen des Spiels war von Pierre-Emerick Aubameyang selbst nichts zu hören. Stattdessen aber etwas zu sehen: Sein Tätowierer hatte ein Foto von ihm ins Internet gestellt, das ihn bei einem Besuch in dessen Tattoo-Studio zeigte.