Polen vor dem EM-Eröffnungsspiel:Debatten um Kaninchen oder Fuchs

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Viele polnische Nationalspieler verdienen ihr Geld im Ausland, manch einer spricht nicht einmal die Landessprache - bei den Fans kommt das schlecht an. Auf dem Weg ins Turnier begleitet die Mannschaft eine politische Diskussion über echte und eingebürgerte Nationalspieler. Und es gibt wichtige sportliche Fragen.

Thomas Hummel, Warschau

Ludovic Obraniak sprach ein paar einfache Sätze, dennoch verfing er sich in grammatikalischen Fehlern. "Ich bin nun zwei Jahre hier, und heute fühle ich wie ein Pole. Ich mag Polen, ich mag die Polen", sagte er sinngemäß. Als er fertig war mit seiner Einlassung, klatschten die polnischen Journalisten spontanen Beifall.

Mittelfeldspieler Ludovic Obraniak: Darf dank Großvater für Polen antreten. (Foto: REUTERS)

Ludovic Obraniak wurde 1984 in Frankreich geboren, spielt im offensiven Mittelfeld für Girondins Bordeaux. Weil sein Großvater Pole war, bekam er 2009 im Schnellverfahren einen Pass und spielt für die Nationalelf. Er gilt vor dem Eröffnungsspiel der Heim-EM gegen Griechenland als Hoffnungsträger neben den Dortmundern Robert Lewandowski, Jakub Blaszczykowski und Lukasz Piszczek sowie Torwart Wojciech Szczesny vom FC Arsenal. Politisch aber bewegt die Polen die Frage, ob er überhaupt das rot-weiße Trikot tragen darf.

Obraniak spricht praktisch kein Polnisch und gehört nach Ansicht der politischen Rechten zu der Gattung der "gefärbten Füchse". Diese sind in Polen eine Redewendung für eine billige Kopie: ein Kaninchenpelz, der wie ein teurer Fuchspelz aussehen soll. Darunter fallen im Kader auch der ebenfalls in Frankreich geborene Verteidiger Damien Perquis sowie die in Deutschland aufgewachsenen Eugen Polanski (FSV Mainz) und Sebastian Boenisch (Werder Bremen).

Kritik von rechts

Jan Tomaszewski, Torwart der WM-Mannschaft 1974, heute Politiker mit nationaler Färbung, sagte: "Das ist keine typische polnische Mannschaft mehr, sondern der Mülleimer Europas." Und: "Diese Leute nehmen unseren wahren Polen den Platz weg." Das war dann sogar seiner nationalkonservativen Partei PiS zu viel, sie schloss Tomaszewski für einen Monat aus der Parlamentsfraktion aus.

Tomaszewskis Haltung findet in der Gesellschaft keine Mehrheit, doch die Debatte verfolgt die Nationalmannschaft unerbittlich. Am Montag zitierte ein französisches Magazin Obraniak mit den Worten, er fühle sich in der Mannschaft nicht integriert und wisse, dass ihn nicht alle Polen willkommen heißen.

Fußball-EM - Fünf Fakten zu Polen
:Rasieren verboten

Zwei höchst unbeliebte Maskottchen, ein Bartwuchs-Wettbewerb unter echten Männern und ein Meister-Stürmer zum Schnäppchenpreis: Fünf Fakten, die Sie über die polnische Mannschaft vor dem EM-Auftaktspiel noch nicht wissen.

Das verletzte die empfindsame polnische Seele, der anschließende Aufruhr war groß. Und so schickte ihn der Verband prompt am Dienstag vor die Medien, um ein paar warme Worte ins Land zu senden: "Im Team herrscht eine gute Atmosphäre, wir sind glücklich."

Abwehrspieler Damien Perquis: "Mein Herz ist auch polnisch." (Foto: dpa)

Perquis erklärte sich ebenfalls: "Meine Großmutter hat mir polnisches Blut mitgegeben, mein Herz ist auch polnisch." Die Debatte um Blut und Herz bewirkt, dass die polnische EM-Mission noch stärker unter Druck steht, als das bei einer Veranstaltung im eigenen Land ohnehin der Fall ist. Zudem gilt das sportliche Fortkommen als sehr ungewiss, die Unwucht im Kader ist groß wie bei keinem anderen Teilnehmer.

Trainer Franciszek Smuda beklagt seit Amtsantritt 2009 den Mangel an guten Fußballern in der heimischen Ekstraklasa, von Meister Slask Breslau nominierte er keinen Spieler. Stattdessen kam er mit Unterstützung des Verbandspräsidenten Grzegorz Lato auf den Kniff mit den Einbürgerungen. Beliebt haben sich die beiden dadurch nicht gemacht. Scheitert die Mannschaft, könnte ein brutaler Kehraus im Verband folgen. Denn die Polen erwarten den Einzug ins Viertelfinale, mindestens.

Gesichter aus Dortmund

Die Gruppengegner Griechenland, Russland und Tschechien versprechen einen leichten Weg, weshalb viele schon von einem Viertelfinale gegen den großen Nachbarn Deutschland träumen. Die starken Auftritte der drei Polen bei Borussia Dortmund haben eine kleine Euphorie entfacht, wer durch Warschau fährt, dem blickt von jeder zweiten Hauswand Lewandowski, Blaszczykowski oder Piszczek entgegen. Sie sind die Gesichter der EM.

Dabei lauten die Fragen: Ziehen die Dortmunder ihre mindertalentierten Mitspieler hoch, oder kommt es umgekehrt? Und in welcher Sprache werden die Spieler auf dem Platz miteinander kommunizieren?

© SZ vom 08.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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