Paris Saint-Germain gegen Bayern:Der Sheriff und die Diven

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Trainer Mauricio Pochettino (rechts) wurde quasi bei der Meisterfeier hinterbracht, dass er gehen muss. (Foto: Enric Fontcuberta/Imago/Agencia EFE)

Mauricio Pochettino führte Tottenham ins Finale der Champions League - nun verlangen die Eigentürmer aus Katar das Gleiche mit PSG. Doch der Argentinier kämpft noch mit der launischen Mannschaft.

Von Oliver Meiler, Paris/Rom

Über die Persönlichkeit des Argentiniers Mauricio Pochettino aus Murphy, Santa Fe, 49 Jahre alt, gibt es zwei Erzählungen, die so gar nicht zusammenpassen wollen. Wenigstens nicht nach gängigen Deutungsmustern, nicht auf den ersten Blick. Und Persönlichkeit ist in seiner Geschichte fast alles.

Der Trainer von Paris Saint-Germain, Gegner des FC Bayern im Viertelfinale der Champions League, trägt den Spitznamen "Sheriff", weil er seinen Spielern brutalste Trainingseinheiten abverlangt. Damit sie im Spiel dann auch neunzig Minuten lang laufen können; wie Derwische, hin und her, immer in Bewegung, pressen und rennen. "Er lässt dich leiden wie ein Hund", sagte sein Landsmann Pablo Osvaldo einmal, der unter ihm bei Espanyol Barcelona spielte. "Du hasst ihn dafür, wie du sonst niemanden jemals gehasst hast. Am Sonntag aber dankst du ihm, weil, nun ja, es funktioniert."

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Und Pochettino ist ein Esoteriker. Das Leben? "Ich glaube an die universelle Energie, alles ist verbunden im Leben, nichts ist Zufall, alles hängt zusammen", sagt er. Aus der Biografie "Brave New World: Inside Pochettino's Spurs" von Guillem Ballagué erfährt man auch, dass Pochettino immer ein paar frische Zitronen auf seinen Schreibtisch legt. Er glaubt offenbar, dass die Früchte alle schlechten Energien im Raum aufsaugen. Esoterik und Schinderei also, mit diesem Mix betreibt er sein "Man-Management", wie er die Führung des Personals nennt: "Der Spieler merkt sich immer nur das, was du ihm sagst, du musst mit ihm reden." Reden kann der Sheriff gut. Wo er hinkommt, lieben ihn die Spieler, er fängt sie alle ein mit seinem Charisma.

Dank der katarischen Besitzer von PSG gehört Pochettino zu den bestbezahlten Trainern - auch ohne Titel

Mauricio Pochettino hat den Ruf eines modernen Coaches. Die katarischen Besitzer von PSG, die ihn im Januar anstellten, um Thomas Tuchel zu ersetzen, bezahlen ihm ein Salär, mit dem er in die Top-Ten der besten Verdiener im Beruf aufsteigt. Obwohl er noch nie etwas gewonnen hat: keinen Titel, keine Trophäe, mit keinem seiner bisherigen Vereine. Es muss also ganz an der Persönlichkeit liegen.

Pochettino ist der Sohn eines Bauern. Murphy, keine 4000 Einwohner, liegt in Argentinien auf der legendären Ruta 33, 150 Kilometer von Rosario entfernt, landeinwärts. Danach kommt nur noch Pampa. Briten hatten den Ort gegründet, sie brachten die Eisenbahn ins Land. Mit 13 stellte sich Mauricio darauf ein, das Gymnasium für Landwirte zu absolvieren. Rosario Central war interessiert an seinem Talent als Innenverteidiger, das hatte sich herumgesprochen.

Dann aber kam ein Herr von den Newell's Old Boys vorbei, ebenfalls aus Rosario, mitten in der Nacht. "Wir schliefen alle, es war nach Mitternacht, als es klopfte", erzählte Pochettino einmal, und von solchen Anekdoten lebt schließlich jede große Geschichte. Vor der Tür: Marcelo Bielsa, den sie bald einmal "El Loco" nennen sollten, den Verrückten, Inspirator und Mentor vieler Trainer, heute bei Leeds United. Damals war Bielsa Coach der Jugend von Newell's. Der Bub wurde geweckt, er sollte dem Gast seine Beine zeigen. "Er hat Beine eines guten Fußballers", sagte Bielsa. Man war sich bald einig.

Zukunftsweisend: Der Gringo, der Diego Maradona Befehle gab

Die Pochettinos ließen sich auch deshalb überzeugen, weil Stadion und Trainingsgelände der Newell's direkt an der Straße liegen, an der Ruta 33. Mit 16 spielte der Junge schon in der ersten Mannschaft. Einige Jahre später teilte er mal das Zimmer mit Diego Armando Maradona, der sich bei den Old Boys auf die WM 1994 in den USA vorbereitete. Maradona erzählte einmal, er habe verstanden, dass der Kleine Charakter habe, als ihn der aufgefordert habe, den Fernseher auszuschalten: "Der Gringo gab mir Befehle."

Dann wechselte Pochettino zu Espanyol, dem wichtigsten Verein in seiner Spielerkarriere. Er wurde Kapitän und Idol der Anhängerschaft. Sechseinhalb Jahre blieb er da, bevor er für zwei Jahre zum PSG wechselte, vor der Katar-Ära, dann noch kurz zu den Girondins Bordeaux und wieder zurück nach Barcelona, für eine Ehrenrunde bei Espanyol. Dort begann er auch seine Trainerlaufbahn, unkonventionell, als Vizecoach des Frauenteams. Er wollte einfach nicht weg aus Barcelona.

2009, als der Verein abgeschlagen am Ende der Tabelle lag und schon zwei Trainer verschlissen hatte, versuchte man die Karte des Stolzes. Aus Verzweiflung. "Poche", die wandelnde Vereinsstandarte, sollte die Schmach abwenden - mit einem hämmernden Appell an die Eigenliebe der Mannschaft. Espanyol gewann acht der letzten zehn Spiele und beendete die Saison noch auf dem zehnten Rang. Ein ähnliches Wunder gelang ihm einige Jahre später beim FC Southampton, seiner ersten Station in der Premier League.

Im Mythos des Retters steckte vielleicht mehr, sagte man sich bei Tottenham Hotspur und holte ihn 2014 zu sich. Drei Mal in fünf Jahren führte Pochettino die Spurs unter die besten Drei. 2019 trug er sie gar bis ins Finale der Champions League. Nie war Tottenham größer als mit diesem wogenhaft intensiven Fußball Pochettinos: hohes Pressing, totale Offensive - und alle liefen wie Teufel, wenn der Ball verloren ging, auch die Stürmer. Modern eben.

Nur einige Monate später war die Glorie schon verblasst, Pochettino wurde entlassen. Die Parallele mit Tuchel ist frappant, nur dass der Deutsche im Jahr seiner jähen Entlassung, zu Weihnachten ausgerechnet, drei Titel mit PSG gewonnen hatte. Und ins Finale der Königsklasse hatte er die Pariser 2020 ja auch geführt. Da verstehe einer die viel zitierten Regeln des Geschäfts.

Nun also soll Pochettino, der Rückkehrer, die Revolution herbeibringen, die sich der Emir aus Doha so sehnlichst wünschen soll - neben dem Henkelpott. Er kennt den französischen Fußball, die Stadt und das ganze Umfeld des Vereins in Saint-Germain-en-Laye. Die Trainingsplätze und die Umkleiden im Camp des Loges sind zwar etwas aufgehübscht worden seit der Zeit, als er mit langem Haar da als Spieler zugange war. Aber alles ist noch an seinem Platz. Sogar das Restaurant auf der anderen Straßenseite gibt es noch.

Der Umbau stockt: Paris ist nur Zweiter der Ligue 1 und spielt so wenig konstant wie unter Tuchel

Pochettino brachte den Mitarbeiterstab mit, der ihn überall hinbegleitet. Nach seiner Ankunft sprach er viel von Energie und Schwingungen. Ein Spieler, der lieber anonym bleiben wollte, erzählte den französischen Medien, mit Pochettino sei das Aufwärmen so hart wie ein Training. Der alte Mix.

Doch die Operation Umbau stockt, revolutionärer Geist ist schon nicht mehr zu spüren. Paris ist nur Zweiter der Ligue 1, hinter Lille. Das Team spielt so inkonstant wie ganz zum Schluss unter Tuchel, mit denselben Problemen und mit schier unfassbaren Durchhängern. Pochettino, der zum ersten Mal eine Mannschaft mit Superstars trainiert, scheint die hoch bezahlten Profis Neymar, Kylian Mbappé und Angel Di Maria nicht so richtig aus ihrer latenten, bisweilen offen zur Schau getragenen Blasiertheit locken zu können. Die Diven laufen nicht, wie das Harry Kane, Heung-min Son und sogar Dele Alli bei den Spurs taten, hin und her, wie Jo-Jos. So implodiert das Gefüge des PSG regelmäßig. Die Flanken sind oft ungeschützt. Und in der Mitte fehlt die Masse, besonders in diesen Tagen, da auch Marco Verratti wegen Corona ausfällt.

Gegen die Bayern überlegt sich Pochettino deshalb offenbar, für einmal sein sakrosanktes 4-2-3-1 mit vier nominellen Stürmern zu opfern, und stattdessen das Zentrum zu polstern, in einem 4-3-3. Auf Di Maria würde er dann wohl verzichten, zumal auf der rechten Außenbahn auch noch Alessandro Florenzi fehlt, ebenfalls wegen Corona.

Pochettino klagt nun manchmal schon, dass er eben erst zur Hälfte der Saison gekommen sei, dass er ein Projekt geerbt habe, das nicht sein Projekt sei, dass es Lücken gebe im Kader, und dass er, bitteschön, erst beurteilt werden wolle, wenn er dann mal einen Sommer in Paris verbracht habe. Einen Transfersommer. Ein sommerliches Trainingscamp nach Methoden des Sheriffs. Vorher nicht. Außer natürlich, man gewinnt gegen die Bayern.

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