Nach der Notenvergabe blieben sie noch ein paar Augenblicke sitzen auf der dunkelblau gepolsterten Bank vor der hellblauen Wand mit den fünf Ringen. "Kiss and Cry"-Ecke wird dieser gut ausgeleuchtete Bereich im Eiskunstlauf genannt, auf den sich nach einer Kür alle Blicke in der Halle richten. Aber selbst für diese extremen Emotionen waren sie zu erschöpft. Minerva Hase legte den Kopf eine Weile auf die Schulter von Nolan Seegert; der Trainer der beiden sprach ihnen leise tröstende Worte zu. Dann standen sie auf und gingen. Olympia - erst Traum, dann Albtraum - war vorbei.
Ihre Wertung war irrelevant an diesem Abend. 149,69 Punkte sind indiskutabel für die versierten Paarläufer Hase/Seegert und sagen nichts aus über das technische und stilistische Vermögen dieses Duos; die Ziffern geben nur einen Hinweis darauf, wie erbarmungslos eine zehntägige Quarantäne in Peking an Nolan Seegert gezehrt hatte; wie viel Kraft, Energie, Spannkraft und Reserven ihm die Isolation in einem kleinen Einzelzimmer entzog. "Irgendwann geht es nicht mehr weiter", sagte er, "egal, wie man versucht, die Koordination noch in den Griff zu bekommen."
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Die vier Minuten der Kür im Schnelldurchlauf: ein schwieriger Wurf, der Twist, zum Auftakt, dann statt einer Sprungkombination ein Einzelsprung, Sturz beim Dreifach-Wurfrittberger, eine abgebrochene Hebung, bei der ein kraftloser Seegert die Partnerin sicherheitshalber wieder auf die Kufen stellen musste. "War schwer!", seufzte Minerva Hase später. Sie hatte während Seegerts Abwesenheit zehn Tage allein auf dem Eis trainieren müssen, und weil sie als Covid-Kontaktperson galt, musste sie sich sogar beim Essen vom Eiskunstlaufteam distanzieren.
Früh angereist hatte Seegert, 29, als erster Athlet der deutschen Olympiamannschaft jene Zwangsmaßnahmen durchlaufen, die das sogenannte Playbook des Organisationskomitees (Bocog) und des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) bei diesen Spielen im Falle eines positiven Corona-Tests nach der Landung in Peking anordnete. "Wir wussten, was uns erwartet, aber natürlich nicht, dass es ausgerechnet die Eiskunstläufer trifft", sagte die Sportdirektorin des Verbandes DEU, Claudia Pfeifer. Sie war fortan bemüht, gemeinsam mit dem Dachverband DOSB eine Verbesserung der Isolationsbedingungen zu erreichen, die der Chef de Mission, Dirk Schimmelpfennig, in einer offiziellen Protestnote "unzumutbar" nannte. Seegerts Zimmer war klein, die Hygiene fragwürdig, die Verpflegung unzureichend, anfangs fehlte eine stabile Internetverbindung zur Kommunikation mit der Welt außerhalb seines Quarantänehotels, das niemand besuchen durfte, auch die Teamärzte nicht. Um sich fitzuhalten für den olympischen Wettkampf hatte der Spitzensportler nur ein Utensil zur Verfügung: eine "Matte auf sehr kleiner Fläche", sagte, "auf der ich alles gemacht habe, was man auf einer Matte machen kann: Situps, Burpees, Liegestütze, Hampelmänner als Konditionsprogramm ...".
Es gelang dem DOSB, ihm ein neues Zimmer zu organisieren, dazu ein Ergometer, das nach einer Woche geliefert wurde, aber auch dieses hat Seegert nicht genutzt, weil er "stringent abgewiesen wurde", wie er erzählte. Seine täglichen PCR-Tests wiesen schwankende CT-Werte aus, die Quarantänemediziner hätten einen kausalen Zusammenhang zwischen Fahrradfahren und Viruslast vermutet, die deutschen Ärzte schlossen dies aus. "Aber da ich mich nicht täglich mit dem Hotelpersonal anlegen wollte, hab' ich es gelassen."
Bei Seegert war "der Akku leer"
Paarlauf ist eine extrem artistische, kraftraubende Disziplin mit komplizierten Würfen und Dreifachsprüngen sowie Hebungen, bei denen der Partner die Partnerin auf den Händen über dem Kopf rotieren lassen muss, alles in Bewegung, im Takt der Musik und auf schmalen Kufen. Nach vier Minuten kommen die Läufer abgekämpft, keuchend vor Anstrengung vom Eis. "Jeder erlebt das anders", sagt Seegert, "manchmal hat man danach schwere Beine, manchmal kann man nicht mehr atmen, manchmal geht die Koordination verloren, und wenn es einen ganz böse erwischt, dann kommt der Mann mit dem Hammer." Und das sind nur Strapazen an normalen Tagen. Am Samstag, in der Olympiakür, spürte er einen Mix aus allem.
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Weil sich Paarläufer Nolan Seegert in Corona-Quarantäne begeben musste, hatten die deutschen Eiskunstläufer im Teamwettbewerb keine Final-Chancen mehr. Nicole Schott glänzt dennoch mit einer technisch anspruchsvollen Kurzkür.
Seegert/Hase sind das beste deutsche Duo, im Winter vor der Pandemie erreichten sie einen dritten Platz beim Grand Prix in Russland und wurden Fünfte der Europameisterschaft. Erst in diesem Jahr konnte Minerva Hase nach einer schweren Fußverletzung wieder vollständig trainieren. Im Sommer verließen sie die langjährige Berliner Trainerin Romy Oesterreich, um sich in Russland, in Sotschi, bei Dimitri Savin den letzten Schliff zu holen, der sie zuvor auch im Berliner Sportforum schon sporadisch mit betreut hatte. Die Trainingsumfänge sehen täglich zweimal eine Stunde auf dem Eis vor, samt jeweils 45 Minuten Aufwärmprogramm, dazu mehrmals in der Woche Athletik, Rudern oder ein anderes Konditionsprogramm. Nichts davon war in Peking möglich. Auch ihre Küren sind sie nach Seegerts Entlassung aus der Isolation vor einer Woche nicht vollständig durchgelaufen, um alle Kraft für den Wettkampf zu sparen. Es hat nicht gereicht, sie kämpften bis zum Schluss, dann war, wie Seegert sagte, "der Akku leer".
Die Kür gewannen am Samstag die Chinesen Sui Wenjing und Han Cong, die ihre lange Karriere mit dem Olympiasieg und 239,25 Punkten krönten; vor vier Jahren in Pyeongchang, als Aljona Savchenko und Bruno Massot die Eiskunstwelt verzauberten, waren sie Zweite gewesen. Silber ging an Jewgenija Tarassowa/Wladimir Morosow aus Russland, Bronze an die russischen Weltmeister Anastassija Mischina/Alexander Galljamow. Den Schlussrang im Klassement nahmen Minerva Hase und Nolan Seegert ein. Sie wollen nun ein paar Tage vergehen lassen und dann versuchen, das Geschehene zu bewerten. Was sie der Welt immerhin zeigten: Wie viel Kraft es braucht, eine Vierminuten-Paarlaufkür durchzuhalten.