Eiskunstlauf bei den Olympischen Winterspielen:Tango hinter Stacheldraht

Eiskunstlauf bei den Olympischen Winterspielen: Nicole Schott, 25, am Sonntag im Capital Indoor Stadium von Peking bei ihrer Kurzkür, dem nach ihrer Ansicht "technisch besten Programm, das ich je gelaufen bin".

Nicole Schott, 25, am Sonntag im Capital Indoor Stadium von Peking bei ihrer Kurzkür, dem nach ihrer Ansicht "technisch besten Programm, das ich je gelaufen bin".

(Foto: Grigory Sysoev/imago)

Weil sich Paarläufer Nolan Seegert in Corona-Quarantäne begeben musste, hatten die deutschen Eiskunstläufer im Teamwettbewerb keine Final-Chancen mehr. Nicole Schott glänzt dennoch mit einer technisch anspruchsvollen Kurzkür.

Von Barbara Klimke, Peking

Die Kunst spielt sich bei diesen Spielen hinter einer Festung ab. Südlich vom Olympiapark, eine halbe Autostunde quer durch die Riesenstadt, liegt das Capital Indoor Stadium. Der wuchtige Klotz, 1968 eingeweiht, ist über breite Ringstraßen zu erreichen. Der Bus rauscht auf der für den Olympiaverkehr reservierten Spur an moderneren Fassaden vorbei, an Geschäfts- und Wohnvierteln. Dann biegt er ab und passiert die erste Schranke. In Spiralen, immer ums Areal herum, nähert er sich nun der Hauptstadt-Halle; auf diesem Abschnitt hat China seine Sperranlagentechnik aufgebaut - nahezu die ganze Produktpalette: Sicherheitspalisaden, Stacheldraht, Gitter, Gatter und zum Schluss, von Soldaten bewacht, eine Art Ziehharmonikazaun auf Rollen.

Dann hält der Bus vor einer Tür. Und dahinter ertönen Tangoklänge.

Das Capital Indoor Stadium beherbergt unter anderem die Eiskunstlaufwettbewerbe. Es gehört damit zur Olympia-Blase und ist innerhalb des Bezirks Haidian komplett abgeriegelt. Jeder, der hierherkommt, ob als Läufer, Trainer oder Preisrichter, wird von den Pekinger Behörden als potenzieller Corona-Seuchenherd betrachtet. Umso erstaunlicher, dass es manchen Athleten, wie der deutschen Meisterin Nicole Schott, ausgerechnet an diesem uninspirierenden Ort gelingt, Träume umzusetzen.

Schott präsentierte den Juroren und den Zuschauern, die sich überwiegend aus den Mitgliedern der Eislauf-Delegationen zusammensetzten, am Sonntagvormittag im Teamwettbewerb eine glänzende Kurzkür. Sie sprang einen Dreifach-Flip in Kombination mit einem Dreifach-Toeloop, dazu einen Dreifach-Rittberger und einen Doppelaxel: alles makellos, auf einer Kufe gelandet, und so harmonisch zur Musik, als habe Astor Piazzolla seinen Tango nicht für "Nonino", sondern ausschließlich für sie, Nicole, komponiert. Als sie zum Schluss die Hände vors Gesicht schlug, war das keine gespielte Geste. Den Vortrag wertete sie selbst als "das technisch beste Programm, das ich je gelaufen bin".

Nicole Schott, 25, ist seit Jahren die beste Kufensolistin hierzulande und als sechsmalige nationale Titelträgerin erfahren genug, ihr Können realistisch einzuschätzen; "Weltmeisterin werde ich nicht mehr", hat sie einmal gesagt. Ihre Stärke sind Laufstil und Eleganz, aber sie gilt nicht als Kandidatin für fabelhafte Hüpfer wie etwa die erst 15 Jahre alte Kamila Waljewa aus Russland, die am Sonntag einen dreifachen Axel, den schwersten aller Sprünge mit Dreifach-Rotation, aufs Eis tupfte.

Für diese Winterspiele jedoch hat Schott unter Anleitung ihres langjährigen Oberstdorfer Trainers Michael Huth die Drehzahlen noch einmal nach oben geschraubt. Nie zuvor spickte sie ein Programm mit derartigen Schwierigkeiten. Und auch wenn die Juroren den Vortrag nur als sechstbesten einstuften, so stellte sie mit Freude fest, "dass ich mithalten kann in meinem Alter".

Paarläufer Seegert sitzt weiter in Isolation, seine Partnerin Minerva Hase darf nur allein auf dem Eis trainieren

Für das Finale der besten fünf Teams hat es für die deutschen Eiskunstläufer dennoch nicht gereicht. Aber dazu hätte es nach Schotts Meinung sogar unter besten Voraussetzungen "eines Weltwunders bedurft". Stattdessen wurde das schlimmste Szenario Realität: Der Paarläufer Nolan Seegert, 29, der mit seiner Partnerin Minerva Hase in Berlin ins Flugzeug gestiegen war, wurde am vergangenen Dienstag bei der Landung in Peking positiv auf das Coronavirus getestet. Ein sogenannter Validationstest bestätigte anderntags das Ergebnis.

Seit sechs Tagen ist Seegert, der nach Auskunft der Sportdirektorin des Verbandes DEU, Claudia Pfeifer, keinerlei gesundheitliche Folgen verspürt, nun in einem Quarantänehotel isoliert, etwa eine halbe Stunde vom olympischen Dorf entfernt. Als am Freitag der Teamwettbewerb begann, fehlten Deutschlands Paarläufer. Seegert, so erzählt Pfeifer, hatte zu diesem Zeitpunkt keine Internetverbindung auf seinem Zimmer, ja noch nicht einmal eine Gymnastikmatte, um sich fitzuhalten. Man habe regelmäßigen Kontakt und gemeinsam mit dem DOSB "kontinuierliche Fortschritte gemacht, dass sich die Situation für ihn ändert", sagte Pfeifer. Am Sonntag konnte sie vermelden, dass endlich ein Cardiogerät in die Unterkunft geliefert wurde.

Das Virus, das die chinesischen Olympiaorganisatoren unter anderem mit Maschendraht aus dem Stadtteil Haidian heraushalten wollen, prägt also trotz allem den Eislaufbetrieb. Auch bei einem weiteren Team wurde ein Läufer isoliert. Und Minerva Hase, Nolan Seegerts Partnerin, wurde als Kontaktperson ebenfalls von den Kollegen getrennt und durfte bis Sonntag nur allein auf dem Eis trainieren. "Großen Respekt" hat Pfeifer vor der Selbstdisziplin der 22 Jahre alten Athletin: "Dass es nicht leicht für sie ist, kann man sich ja vorstellen."

Die Paarlaufentscheidungen stehen erst am 18. und 19. Februar im Programm, Nicole Schott hofft für ihre Kollegen, "dass sie bis dahin fit werden für den Event, für den sie ein Leben lang trainiert haben". Sie selbst hat wie die Tänzer Katharina Müller und Tim Dieck den Teamwettbewerb vor allem als einen Testlauf vor der Einzelkür gesehen. Paul Fentz, der nur für den Mannschaftslauf qualifiziert war, aber nicht als Solist, fliegt an diesem Montag bereits nach Deutschland zurück.

Alle anderen werden wiederkommen in die Corona-Festung. Um hinter Maschendraht ihre Kunst zu zeigen.

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