Olympia: USA gegen Kanada:Die Hassliebe

Lesezeit: 4 min

Was ist da eigentlich zwischen Kanada und den USA los? Das skurrile Binnenverhältnis zwischen den Nachbarn gipfelt nun in der Eishockey-Partie.

Holger Gertz, Vancouver

Von Stephen Colbert, einem amerikanischen Comedian, heißt es, er habe mindestens zwei Schimpfworte als Umschreibung des Kanadiers erfunden, "Syrup-Suckers" und "Icehole", wobei vor allem Icehole in seiner Beiläufigkeit ein besonders hübsches Wortspiel ist. Gerade hat Colbert im Creekside Park eine Show aufgezeichnet, und weil der Creekside Park in Vancouver liegt, saßen vor allem Vancouverites - so nennen sie sich selbst - im Publikum, schauten sich an, wie Colbert einem Stoffelch das Fell kraulte und waren begeistert, weil die Show diesmal nur bedingt auf ihre Kosten ging.

Fans aus Kanada und den USA: Sirup-Schlürfer gegen Elch-Kritiker. (Foto: Foto: AFP/AP)

Colbert war zahm, er war ja zu Gast, normalerweise ist er unter den zahlreichen Kanada-Bashern in Amerika der gnadenloseste. Vor Olympia hatte er die Dosis noch erhöht, Colbert wurde sogar Sponsor der amerikanischen Eisschnelllaufmannschaft und behauptete, die Kanadier würden die Heizung aufdrehen, um die Amerikaner am Training zu hindern: "Sie wollen, dass wir einbrechen." Von Elchen könne man kein anderes Verhalten erwarten, erklärte Colbert, für ihn sind Kanadier grundsätzlich Elche, und er ist mit dieser Ansicht nicht allein.

Fans der grungigen amerikanischen Zeichentrickserie Southpark wird aufgefallen sein, dass das Thema Kanada auch da oft verarbeitet wird. Die Kanadier in Southpark sind kleinköpfige Trottel, aufgewachsen mit Bären und Bibern in einem Land, das ihnen zu viel durchgehen lässt.

Ein Dialogauszug aus der Southpark-Folge "Kanada im Streik", es sprechen miteinander der kanadische Premierminister und Eric Cartman, ein junger, breit gebauter Amerikaner.

Kanadischer Premierminister: "Was ist das erste, das ihr in Amerika mit Kanada in Verbindung bringt?"

Cartman: "Schwulsein."

Gerade geht es wieder los, die amerikanischen Zeitungen schimpfen aus dem Süden, die Detroit News zum Beispiel bezeichnet den olympischen Event als "The Glitch Games", die Pannenspiele - ein Begriff, der lautmalerisch auch den aufgeweichten Zustand vieler Anlagen ganz gut umschreibt. Was die Kommentare im amerikanischen Fernsehen angeht: da sind die in gönnerhafter Tonart vorgetragenen noch die freundlichsten. Sie können es nicht, die Kanadier, finden die Amerikaner. Sie schaffen es, dass ihre Mülleimer bärensicher sind, sonst schaffen sie nichts.

Und die Kanadier schreiben in ihren Zeitungen zurück: Auch wenn die Welt zusammenbricht, so schlimm wie bei den schlimmsten Spielen der Geschichte wird es nicht werden. Das waren - nach Ansicht der Kanadier - die in Atlanta, als alle Stimmung in Coca-Cola-Bottichen ertränkt wurde und auch noch eine Rohrbombe hochging.

Was ist eigentlich los? Man nennt so ein Binnenverhältnis zwischen zwei Ländern, zwei Nachbarn, zwei Rivalen eine Hassliebe. Kanada und die USA sind nicht nur durch eine teilweise schnurgerade Grenze sauber voneinander getrennt, auch durch unterschiedliche Lebensphilosophien. Hier ist alles etwas lässiger, man kann kiffen, abhängen, und es herrscht die Überzeugung vor, dass auch ein Mensch, der nicht jeden Tag in die Kirche geht, ein guter Mensch sein kann.

In Amerika ist nicht jeder dieser Ansicht. In Amerika ist außerdem der Weißkopfseeadler auf dem Wappen abgebildet, das majestätische Nationaltier. Dieser Adler ist in Teilen Amerikas zwar ausgestorben und kreist lieber über dem für ihn ökologisch reizvolleren Kanada, die Kanadier könnten also mit gewissem Recht den gewaltigen Vogel auch ins Licht setzen. Sie belassen es aber dabei, den selbstvergessen nagenden Biber auf ihre 5-Cent-Münzen zu prägen. Kanada ist Commonwealth-Mitglied, Staatsoberhaupt ist die britische Königin, Kanada ist gefühlt näher an Europa als an Amerika. Amerika ist mächtiger als Kanada, in jeder Hinsicht. Da ist vieles, was die Länder trennt.

Beim amerikanischen Topmoderator David Letterman war in einer Late-Night vor den Spielen der amerikanische Topsnowboarder Shaun White zu Gast, und Letterman empfahl ihm: "Wenn du nach Vancouver fährst - bring deinen eigenen Schnee mit." Dann kicherten die beiden ein bisschen dreckig.

Während viele Amerikaner militärische Grußformeln perfekt beherrschen, verstehen sich die Kanadier darauf, sich am Kopf zu kratzen, man kann das hier bei den Busfahrern in den Bergen wunderbar beobachten, jeden verdammten Tag. Beliebter Slogan, nicht nur bei Busfahrern, deren Bus schon ein wenig scheppert in den Kurven: "If it's not broken, don't fix it."

Sie sind halt ein bisschen schluffig, die mülltrennenden, bärenliebenden, sirupschlürfenden Kanadier, deren Musikhelden außerdem gelegentlich etwas nachlässig frisiert auf der Bühne erscheinen. Avril Lavigne zum Beispiel, oder Neil Young. Wobei Neil Young ein Gott ist, ein Weißkopfseeadler der Rockmusik, was auch kein Amerikaner ernsthaft bestreiten wird.

Das "Spiel der Spiele"

Wie man die Spiele beurteilt, hängt natürlich immer davon ab, was die Athleten aus dem eigenen Land zustande bringen. Die Mäkelei aus Amerika klang spürbar zahmer ab dem Moment, als die Amerikanerin Lindsey Vonn den Abfahrtslauf gewann. "Die US-Medien sind ja schon wesentlich besser drauf", kommentierte die für ihre Lakonie berühmte Vancouver Sun, wies darauf hin, dass Vonns Verletzung vor dem Rennen sowieso ziemlich fadenscheinig gewesen sei und ließ durchblicken, dass es den Amerikanern in Wahrheit um nichts anderes gehe als um die eigenen Medaillen.

Die Klischees lassen sich festschreiben, in die eine wie in die andere Richtung. Aber am Wochenende spielt Kanada Eishockey gegen die USA, und wenn es eine Berechtigung gibt, das Sprachklischee vom "Spiel der Spiele" auszupacken, dann bei diesem Spiel. Team Kanada hat sich zwar mit einem wackligen Shoot-Out-Sieg gegen die Schweiz auf das große Duell eingestimmt, die Eishockeyspieler schlittern auf ähnlich unbefestigten Wegen zum Ziel wie viele hier bei Olympia.

80 Prozent der Kanadier sagen, wenn beim Eishockey die umweltverschmutzenden, arroganten, waffenliebenden Amerikaner gekickt werden, spricht kein Mensch mehr über das, was bisher schiefgelaufen ist. Keiner, außer den Amis natürlich. Aber den Elchen wäre das in dem Fall egal. Holger Gertz

© SZ vom 20.2.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Maria Riesch holt Ski-Gesamtweltcup
:Weltcup gewonnen - Freundin verloren

Erstmals nach 13 Jahren geht der Gesamtweltcup wieder nach Deutschland: Maria Riesch profitiert zum Saisonende von einer Absage - ihre Rivalin Lindsey Vonn zeigt sich als schlechte Verliererin. Es ist bei weitem nicht der erste Titel in Rieschs Karriere.

in Bildern

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: