Langlauf bei Olympia:So knapp wie 1980 in Lake Placid

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Erschöpft und glücklich: Therese Johaug im Ziel. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Der Zehn-Kilometer-Langlauf der Frauen endet mit einem dramatischen Finale: Die Norwegerin Therese Johaug holt ihr zweites Gold in Peking - der Deutschen Katharina Hennig gelingt ihr bestes Resultat bei den Spielen.

Von Volker Kreisl

Langlauf-Zielräume gleichen manchmal einem Boxring nach dem K.o. - mit dem Unterschied, dass mehrere Athletinnen oder Athleten am Boden liegen, Beine und Körper verdreht, auf dem Bauch oder auf dem Rücken, wobei die Oberkörper noch minutenlang pumpen. Auch im Zielraum des Stadions von Zhangjiakou stauten sich nach dem Zehn-Kilometer-Rennen im klassischen Stil zahlreiche Langläuferinnen, die sich hingeschmissen hatten wegen der Anstrengung, der Kälte, vielleicht auch der trockenen Luft - und zwei von ihnen auch wegen bitterer Enttäuschung.

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Denn Triumph und Niederlage lagen selten so dicht zusammen, genauer gesagt, abwechselnd auf den Positionen eins bis fünf: Vorne lag wieder einmal die norwegische Spitzenläuferin Therese Johaug. Wie schon im Skiathlon, so hatte sie auch in diesem klassischen Format - jeder nacheinander gegen die Uhr und gegen die direkte Konkurrenz, die aber irgendwo vorne oder hinten läuft - offenbar die beste Krafteinteilung. Hinter Johaug kam auf den zweiten Rang die Finnin Kerttu Niskanen, die die Zeit ihrer Teamkollegin und Bronzegewinnerin Krista Pärmäkoski unterbot. Vierte war Natalia Neprjajewa aus Russland, die sich als eine der letztgestarteten Favoritinnen in der Wertung noch an der Oberwiesenthalerin Katharina Hennig vorbeischob.

Katharina Hennigs Handbremsen-Strategie geht voll auf

Soweit das oberflächliche Ergebnis. Dass hier indes Jubel und Fassungslosigkeit herrschten, darauf deuteten besonders die beiden lange liegengebliebenen, zunächst untröstlichen, äußerst schnellen und doch geschlagenen Niskanen und Neprjajewa hin. Die Finnin hatte zwar Silber gewonnen, aber zugleich Gold verloren, und zwar um 0,4 Sekunden, um einen Wimpernschlag nach 28:06,7 Minuten.

Schon das erinnerte an 1980, als bei den Spielen in Lake Placid der Finne Juha Mieto nach 15 Kilometern im Ziel als Erstplatzierter ankam - und dann erlebte, wie ihn der Schwede Thomas Wassberg um eine Hundertstelsekunde schlug, oder auch um 3,3 Zentimeter. Heute wird nur noch in Zehnteln gemessen, und irgendwann stand die Bronzegewinnerin Pärmäkowski auf, die es ja gut hatte. Sie hatte einen in diesem Fall inneren Frieden stiftenden, ordentlichen Rückstand von 31,1 Sekunden, und dann auch noch das sagenhafte Glück, überhaupt auf dem Podest gelandet zu sein. Denn nach ihr, als eine der letzten starken Verfolgerinnen, war ja noch Neprjajewa unterwegs, die alles gab im Kampf gegen die Uhr - und dann um noch weniger, um eine Zehntelsekunde, an Bronze scheiterte.

Das ist das, was ich kann": Katharina Hennig freut sich über Rang fünf. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Mit solchen immer noch großen Gemeinheiten des Schicksals hatte wiederum Katharina Hennig, die seit einigen Jahren beste deutsche Langläuferin, nichts zu tun. Ihr fünfter Platz ist für sie eine Art Nonplusultra, so gut war sie bei Olympia noch nie, mehr noch: Hennig ist nun bei Olympia die Beste in der Langlaufabteilung des Deutschen Skiverbandes seit 16 Jahren; damals hatte Claudia Nystad Silber geholt.

11,9 Sekunden hinter einer Medaille, Hennigs Rezept für diesen Erfolg lag nicht in Kühnheit oder Angriffslust, sondern in Zurückhaltung. Sie ist erfahren genug, um sich nun die Kraft einzuteilen, und während viele ähnlich starke Konkurrentinnen im zweiten Teil des Rennens zurückfielen, hatte Hennig noch Reserven. Ihre Strategie war bewusste Zurückhaltung, oder wie sie sagte, "ich habe versucht, mit angezogener Handbremse zu beginnen", und weil sie dies auch diszipliniert durchhielt, ist ihr gesamter Plan aufgegangen.

Nun weiß sie auch selber exakt, wo sie liegt. Es sei das erste Mal gewesen, erklärte sie später, "dass ich bei einem Großereignis meine Leistung zu 100 Prozent abrufen konnte", und fügte hinzu: "Das ist das, was ich kann." Ähnliches gilt für Hennigs Teamgefährtin Katherine Sauerbrey, 25, auch sie überraschte abermals. Nach dem 13. Platz im Skiathlon landete sie nun auf Rang elf.

Für die beiden Deutschen war der Vormittag also ein voller Erfolg, andere brauchten etwas länger, um mit diesem Wettkampf Frieden zu schließen. Pärmäkowski, die glückliche Bronzegewinnerin, stand dann irgendwann auf und lief hinüber zu ihrer unglücklichen Mitstreiterin im finnischen Team, um diese zu trösten. Kerttu Niskanen lag noch im Schnee und vielleicht war sie gerade schon dabei, sich von Gold zu verabschieden und Silber zu begrüßen.

Jedenfalls half Pärmäkowski ihr dann aus der Bindung, und das Leben ging wie auch damals für Juha Mieto irgendwie weiter. Der freundete sich ja später mit seinem Bezwinger Wassberg an, die beiden trafen sich noch lange regelmäßig einmal im Jahr und erinnerten sich an alte Zeiten, als sie nur ein Sekundenbruchteil trennte.

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