Eiskunstlauf bei Olympia:Artistinnen aus der Drillanstalt

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Zehn Jahre Drill: Die 15 Jahre alte Russin Kamila Walijewa zählt zu jenen jungen Eiskunstläuferinnen, die es ins Scheinwerferlicht geschafft haben. Erst mit Vierfachsprüngen, jetzt mit einer Dopingaffäre. (Foto: Li Yibo /Xinhua/Imago)

In Russlands Eiskunstlauf-Schmieden wird ausgereizt, was der kleine Menschenkörper hergibt. Schaden nehmen die jungen Athleten - und der gesamte Sport. Der Weltverband sollte dringend das Mindestalter erhöhen.

Kommentar von Barbara Klimke, Peking

Wunder gibt es nicht im Sport. Das ist keine These, sondern ein Fakt, der von vermeintlichen Wunderkindern bestätigt wird. "Arbeite! Arbeite viel! Je mehr, desto besser", hat Kamila Walijewa kürzlich zu der Frage gesagt, wie es möglich ist, in jungen Jahren ein derartiges Feuerwerk an Höchstleistungen zu vollführen: "Wenn du wirklich arbeitest, wirst du das auch im Wettkampf zeigen." So spricht eine 15-Jährige, die zehn Jahre Drill in den Knochen hat.

Das Spektakel der russischen Kufenkinder im Eiskunstlauf ist seit Jahren fragwürdig: Winzige Persönchen, die mit Eisenschienen an den Füßen schwierigste Mehrfachrotationen in der Luft vollbringen, bis zu viermal um die eigene Achse. Es hat der Aufdeckung eines Dopingfalls der perfidesten Art bedurft, der Verabreichung eines verbotenen Herzmedikaments an die minderjährige Walijewa, um auch den Eiskunstlauf-Romantikern zu zeigen: In Russlands Talenteschmieden wird ausgereizt, was der kleine Menschenkörper hergibt.

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Morddrohungen, angeblich erkrankte Dopingjäger, Appelle aus dem Kreml: Der Fall um die russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa entwickelt sich für alle Beteiligten zu einer immer größeren und peinlicheren Causa.

Von Johannes Aumüller und Johannes Knuth

Sie fangen früh an, oft fasziniert von Salchows und Seidenkleidchen, von Toeloop und Tüll. Walijewa zog als Sechsjährige mit ihrer Mutter, einer Buchhalterin, von Kasan nach Moskau. Mit zwölf stellte sie sich laut des Magazins Pirouette in der Eislaufschule von Startrainerin Eteri Tutberidse vor. Diese berühmte Drillanstalt bringt Jahr für Jahr Läuferinnen von Weltrang hervor: Athletinnen, die oft nach wenigen Wintern im Scheinwerferlicht wieder in der Obskurität verschwinden. Denn dann rücken die noch jüngeren, auf noch höhere Drehzahl getrimmten Nachfolgerinnen an, mit denen die Älteren nicht mehr mithalten können.

Es unterliegt der Fürsorgepflicht der Verbände, darauf zu achten, dass Athleten an Körper und Seele keinen Schaden nehmen

Eine derartige Fließbandproduktion von Eisartistinnen wäre in westlichen Wohlstandsgesellschaften weder durchzusetzen noch gesellschaftlich zu vertreten. Aber Eiskunstlauf ist in Russland populär, der Glitzersport bietet im Erfolgsfall einen Weg zu Ruhm und Geld. Eine Goldkür reicht: Wer wollte einer Familie, einem hochbegabten Kind diese Perspektive verstellen?

In diesem moralischen Dilemma unterliegt es der Fürsorgepflicht der Verbände, darauf zu achten, dass Athleten an Körper und Seele keinen Schaden nehmen. Kindliche Eisköniginnen hat es auch in der Vergangenheit gegeben, allerdings blieb es bei Einzelfällen. Als die US-Läuferin Tara Lipinski 1997 im Alter von 14 Weltmeisterin wurde, weil sie mit federleichtem Körper besser übers Eis spindelte als die Rivalinnen, hob der Weltverband ISU das Mindestalter für internationale Wettkämpfe an. Lipinski musste sich nach ihrem Karriereende, im Alter von 18 Jahren, einer Hüftoperation unterziehen. Spätestens seitdem sind die mit eissportlicher Frühreife einhergehenden Risiken bekannt. Die Eintrittsschwelle für Seniorenwettkämpfe weiter zu erhöhen, auf 17 oder 18 Jahre, ist das Mindeste, was von der ISU verlangt werden kann, um den Ansturm der Kufenkinder zu bremsen und Athleten vor Verschleiß zu schützen.

Die Trainerin Eteri Tutberidze, rechts, hat auch Kamila Walijewa zur Kufenprinzessin geformt. (Foto: David J. Phillip/AP)

Denn es ist nicht ersichtlich, wem Tutberidse und die Maestros in den konkurrierenden Eisschulen einen Gefallen erweisen durch das Ausbilden und Austauschen immer neuer Eisartistinnen. Der Sport nimmt Schaden. Das Publikum betrachtet das Spektakel mit Unbehagen. Karrieren wie jene von Walijewa werden früh zerstört.

Derweil steht schon die nächste Generation bereit. Kommende Saison dürfte wohl Adelija Petrosian, 14 Jahre alt, in die Meisterklasse aufrücken, die zwei Vierfach-Rittberger hintereinander springen kann. Kein Wunder. Kinderarbeit.

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