Biathlon-Gold für Denise Herrmann:Ein sehr seltener Triumph

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Überglückliche Olympiasiegerin: "Dass ich das heute geschafft habe, macht mich unglaublich stolz und glücklich", sagt Denise Herrmann. (Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Denise Herrmann wird Biathlon-Olympiasiegerin - acht Jahre nach ihrer Medaille im Langlauf. Und das in einem Winter, in dem es lange Zeit überhaupt nicht klappen wollte.

Von Saskia Aleythe, Zhangjiakou

Auf der kalten Matte am Schießstand von Zhangjiakou ruckelte sich Denise Herrmann noch einmal zurecht. Drei Mal hatte sie den Abzug schon gedrückt, beim dritten Mal: Fehler. Schon ein weiterer kann einen in so einem Einzelrennen um alle Chancen bringen, also korrigierte Herrmann ihre Position bei diesem letzten Liegendschießen. Sie wartete, zielte: Treffer. Auch der fünfte Schuss: warten, zielen, Treffer. Und da zuckte der Ellenbogen ein bisschen Richtung Himmel, da wusste sie: Sie war noch dabei, im Kampf um etwas ganz Großes.

Jeder Tag kann der letzte sein, sagt Denise Herrmann, 33: Man weiß ja nie, wann einen das Virus erwischt. Und dann ist Olympia plötzlich vorbei, alle Chancen, die man sich in den vergangenen Jahren erarbeitet hat. Es ist ein Bewusstsein, das ihr geholfen hat, so klar sagt sie es nun, zwei Stunden nach ihrem größten Erfolg. Der hieß dann tatsächlich: Olympiasieg. "Ich hatte eine harte Saison, ich habe nicht zu den Topfavoritinnen gehört", sagte Herrmann, "das ist einfach unglaublich." Da waren ihr schon einige Tränen in die Maske gelaufen.

Völlig ausgepumpt: Denise Herrmann muss im Ziel noch einige Zeit warten, bis ihr Olympiasieg Gewissheit wird. (Foto: Kirsty Wigglesworth/dpa)

Als sie nach 44:12 Minuten über die Ziellinie rutschte und völlig platt auf dem Schnee lag, mit nur einem Schießfehler, da jubelte ihr ein deutscher Block auf der Tribüne zu. Ihre Teamkollegen, die nicht an den Start gegangen waren, schüttelten eine große Fahne. Mit Startnummer acht war Herrmann ins Rennen gegangen, von 89 Starterinnen. Nach ihrer Zielankunft musste sie sich also noch gedulden und schauen, was die Konkurrenz anstellte. "Das war sehr schlimm, da war ich viel nervöser als vor dem Wettkampf", sagte sie und lachte. Aber man wusste ja da schon: Nur wenige konnten sie jetzt noch schlagen. Nach all der Warterei stand die Eins noch immer neben ihrem Namen. Denise Herrmann, Olympiasiegerin.

"Der größte Sieg heute ist der über mich selbst", sagt Herrmann nach ihrem Goldgewinn

Biathlon ist eine Berg- und Talfahrt, sagt Herrmann, und in dieser Saison, da hat sie öfter von unten nach oben geschaut. Im letzten Rennen vor Olympia wurde sie nur 23., mit drei Fehlern im Massenstart, auch ihre Laufleistung erinnerte nicht an die Frau, die für ihre schnelle Zeiten bekannt war. "Was da auf dem Papier stand, ist definitiv nicht meine Leistung", sagte Herrmann. Zu Saisonstart war ihr ein dritter Platz beim Einzel in Östersund gelungen, danach schaffte sie es nicht mehr aufs Podium. Alles andere als ein Mutmacher für die Winterspiele, aber "die Corona-Situation hat mich einiges gelehrt", sagte sie. Sie sei relativ entspannt nach Peking gekommen: "Ich bin derselbe Mensch, auch danach." Egal, ob mit oder ohne Medaille.

Nach ihrem beeindruckenden Lauf im Einzelrennen sinkt Vanessa Voigt völlig erschöpft zu Boden. (Foto: Athit Perawongmetha/Reuters)

Aus ihrem früheren Leben als Langläuferin liegt Staffel-Bronze aus Sotschi von 2014 bei ihr daheim, das war auch schon ein großer Erfolg. Als sie 18 war, wurde Herrmann auf Clenbuterol positiv getestet, sie führte das auf die Einnahme eines Hustensafts zurück, musste ein Jahr Sperre absitzen. Der Triumph jetzt, in zwei Winter-Disziplinen Olympiamedaillen erobert zu haben, ist ein sehr seltener. Susi Erdmann mit Bob- und Rodelplaketten ist das als einziger Deutschen vor ihr gelungen. Auch das hat sie motiviert, sagt die Biathletin, es war auch Thema in ihrem Umfeld, im Sommer schon.

Sich nur darauf konzentrieren wollte Herrmann aber nicht. "Ich habe gemerkt, es gehört mehr dazu, als körperliche Topform und gutes Schießen", sagte sie: "Biathlon ist extrem viel Kopfsache. Man ist nie fertig, man muss es immer neu erarbeiten." Also nahm sie sich nur eines vor für dieses Rennen: "Dass ich bei mir selbst bleibe und mit mir im Reinen bin."

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Bei keiner anderen Disziplin im Biathlon ist die Chance so gut, sich nur auf sich und seine Aufgaben zu konzentrieren, wie beim Einzel. Kein direktes Duell auf der Strecke, am Schießstand ist man zwar auch von Konkurrentinnen umgeben, doch deren Rennabschnitt ist ein völlig anderer. Im Unterschied zum Sprint ist kein schnelles Schießen angesagt, sondern vor allem ein sicheres. Und so ließ sich Herrmann Zeit, schaute nach den Windfahnen, korrigierte an der Waffe. 19 Treffer bei 20 Schüssen, klug und erarbeitet. Auf 79 Prozent Trefferleistung kam Herrmann in dieser Saison sonst nur, jetzt hatte sie auch die drittbeste Laufzeit. "Es war das perfekte Rennen", sagte sie nun. "Dass ich das heute geschafft habe, macht mich unglaublich stolz und glücklich", noch dazu im "traditionellsten Rennen, das es gibt im Biathlon."

Die Französin Chevalier-Bouchet hätte Herrmann den Sieg noch entreißen können - doch sie verfehlt eine Scheibe

2016 war Herrmann vom Langlauf auf Biathlon umgestiegen, der Umgang mit der Waffe war zunächst "tägliche Überforderung", hat sie mal gesagt, "wie ein Kopfsprung ins kalte Wasser". Doch die Erfolge kamen schnell, sie schaffte es nach Pyeongchang 2018, wurde 2019 dann Weltmeisterin in der Verfolgung in Östersund. Es war eine andere Zeit als heute, "da konnte ich befreit an den Start gehen. Ich habe mir erlaubt, immer mal einen Fehler zu machen", sagte sie. Doch mit den Erfolgen kam auch der Hunger nach mehr, "was man schon mal erreicht hat, will man wieder erreichen". Fehler konnte sie sich dann nicht mehr verzeihen, der Druck stieg, und damit auch die Anspannung am Schießstand. Etwas, das ihr immer wieder die guten Resultate vermieste. "Manche Sachen muss man auch mal loslassen und es laufen lassen", sagte sie nun als Olympiasiegerin, sie hat mental an sich gearbeitet, "der größte Sieg heute ist der über mich selbst".

Das Podest nach dem Einzelrennen: die Französin Anais Chevalier-Bouchet, Denise Herrmann und die Norwegerin Marte Olsbu Röiseland (von links) (Foto: Michel Cottin/Agence Zoom/Getty Images)

Die Französin Anaïs Chevalier-Bouchet hätte ihr am Montagabend den Sieg noch entreißen können, doch ihr vorletzter Schuss ging daneben. Sie holte sich schließlich Silber vor Norwegens Marte Olsbu Röiseland mit zwei Strafminuten. Ganz nah dran an der Bronzemedaille war Vanessa Voigt (ein Fehler), der im Ziel nur 1,3 Sekunden fehlten. Es war der erste Einzelstart der 24-Jährigen überhaupt bei Olympia, nachdem sie in der Mixed-Staffel noch mit zwei Strafrunden einen deprimierenden Olympia-Auftakt erlebt hatte. "Im Ziel habe ich mich schon ein bisschen geärgert, wenn man nur eine Sekunde vom dritten Platz weg ist, ist das sehr schade", sagte Voigt, "aber ich kann mega zufrieden sein." Sie ist ja überhaupt erst diese Saison festes Mitglied im Weltcup-Team. Vanessa Hinz landete im Einzel auf Rang 14, Franziska Preuß auf Platz 25. Für die deutschen Frauen war dieser Olympia-Start damit ein phänomenaler, "wir wissen gerade nach dieser schwierigen Saison, wo wir Mädels oft in der Kritik standen, dass wir es einfach draufhaben", sagte Voigt noch.

Herrmann musste erstmal zu Hause anrufen im Erzgebirge, "die können daheim mal den Sektkorken knallen lassen", sagte sie. Am Dienstag gibt es dann die Goldmedaille, sie wird den Tag genießen. Das hat sie sich jetzt, in dieser Corona-Zeit, ganz fest vorgenommen.

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