Biathleten bei Olympia:Ab in den Schafmodus

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"Vor den Fingern habe ich ein bisschen Angst": Biathletin Vanessa Hinz fürchtet die chinesische Kälte. (Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Was ist für die deutschen Biathleten bei Olympia drin? Klare Medaillenfavoriten fehlen, die Bedingungen sind eisig - doch die Lust an Olympia wollen sie sich nicht nehmen lassen.

Von Saskia Aleythe, Zhangjiakou

Erik Lesser hat einen Sack voller Vergnügen mit zu den Olympischen Spielen gebracht. Eine Spielekonsole, ein Schachbrett, Gemeinschaftsspiele. Für den Genuss noch eine Kaffeemühle und Bohnen - was einem so einfällt als Notfall-Paket, wenn man mit dem Schlimmsten rechnen muss. Falls er ins Quarantäne-Hotel muss, "bin ich halt dann ein professioneller Zocker", sagt der 33-Jährige. Es sollen seine letzten Olympischen Spiele sein, eine "vernünftige" Zeit will er noch mal erleben. Was einem einige Energie abverlangt, Gesundheits-Apps befüllen, in Blasen leben, schon Wochen vor der Abreise. Deswegen hat er in den letzten Monaten seinen Freund und einstigen Zimmerkollege Arnd Peiffer beneidet: "Weil er den ganzen Quatsch nicht mehr mitmachen muss."

Erik Lesser hat schon einige Spiele hinter sich, Medaillen und WM-Titel gewonnen, es lief nicht immer ganz rund in der vergangenen Saison für ihn. Nun hofft er, in Zhanjiakou Teil der Männer-Staffel zu sein, Gold ist das ausgerufene Ziel von Bundestrainer Mark Kirchner. Ein ambitionierter Wunsch, den letzten Sieg gab es im vergangenen März, die Konkurrenz aus Norwegen, Russland und Frankreich ist stark. Am liebsten würden sie jetzt nur noch über solche Sachen sprechen, Training, Loipe, Schießstand. Wer Olympiamedaillen gewinnen will, braucht einen klaren Kopf. Wenn das in dieser Zeit mal so einfach wäre.

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Die Einreise haben sie schon mal überstanden, keiner wurde am Flughafen in Peking aus dem Verkehr gezogen. Dafür traf es am Donnerstag die norwegische Mannschaft, Johannes Thingnes Bö und Ingrid Landmark Tandrevold müssen sich als enge Kontakte einer Corona-positiven Person strengeren Maßnahmen unterziehen. Sie dürfen trainieren, müssen aber alleine essen, bis zur Mixed-Staffel am Samstag - für die Bö vorgesehen war - müssen alle Tests negativ ausfallen.

Kühn, der in Hochfilzen im Dezember den Sprint gewonnen hatte, startet verhalten nach Peking

Im deutschen Team hatte es noch vor den Spielen Franziska Preuß und Johannes Kühn getroffen, die in dieser Saison zu den Besten im Team gehörten. "Es sind schon noch viele Fragezeichen da", sagte Preuß am Donnerstag, sie müsse schauen, "was der Körper so hergibt". Am Freitag vermeldete der Verband dann: Sie ist nach ihrer Fußverletzung zunächst noch nicht dabei. In der Mixed-Staffel geht das Quartett Vanessa Voigt, Denise Herrmann, Benedikt Doll und Philipp Nawrath am Samstag (10.00 Uhr/Liveticker SZ.de) an den Start.

Doch so richtige Erfolgsstimmung will noch nicht aufkommen. Kühn, der in Hochfilzen im Dezember den Sprint gewonnen hatte, startete verhalten nach Peking. "Aufgrund der Problematik der letzten Wochen sind meine Erwartungen bei Null. Ich muss einfach gucken, wie es mir geht", sagte der 30-Jährige.

Klaren Kopf bewahren: Biathlet Erik Lesser. (Foto: Oryk Haist/imago)

Die Strecke in der chinesischen Biathlon-Arena ist nun zumindest keine Unbekannte mehr, die Sportler haben sie in den vergangenen Tagen das erste Mal live gesehen - und vor allem gespürt. Auf knapp 1700 Metern wird die Luft eher knapp, "die Höhe macht schon einiges aus", sagte Vanessa Hinz am Donnerstag nach dem Training, "du musst hier einfach brutal arbeiten, und so vermeintlich leichte Anstiege hauen dann schon, glaube ich, rein." Auch die Kälte ist ein Thema, minus 15 Grad zeigte das Thermometer am Donnerstag, dazu kommt ein eisiger Wind. Was nicht zuletzt an den Händen zum Problem werden kann. Wer den Abzug am Schießstand drückt, braucht Gefühl in den Fingern. "Vor den Fingern habe ich ehrlich gesagt schon ein bisschen Angst", sagte Hinz.

Aber nein, das darf jetzt nicht zum Problem werden, "ich darf mich nicht zu sehr mit der Kälte beschäftigen". Sich nicht allzu viele Gedanken zu machen, das war schon immer ihre Einstellung zu ihrem Sport. Und es ist ja auch das, was sie begleiten soll bei diesen Spielen, alle Biathleten: Lockerheit zu bewahren. Der sportliche Leiter Bernd Eisenbichler empfahl ihnen, nach der Einreise "den Schafmodus einzustellen". Alles mitzumachen, "ohne dass man sich groß aufregt oder versucht, etwas zu ändern." Gemeint war damit vor allem die restriktive Corona-Politik. Er werde sich nicht zurückhalten, seine Meinung kund zu tun, sagte Eisenbichler auch, er war selber schon in Tibet, hat "die Restriktionen mitbekommen", verurteilt sie. Aber jetzt soll es um den Sport gehen. Es muss ja.

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Es sind immer noch Olympische Spiele, findet Hinz, "es ist schon ein Wahnsinns-Feeling, was es in einem Sportler auslöst". Die Begeisterung konnte man ihr ansehen, über das Dorf, das diesmal nicht aus Hochhäusern besteht, sondern aus kleineren Anlagen. In der Staffel ist auf sie in der Regel Verlass, in den Einzelrennen sollte es vor allem auf Denise Herrmann und Preuß ankommen. Doch Letztere ist durch ihre Infektion und die erwähnte Verletzung noch gebeutelt, und Herrmann kämpfte nach einem dritten Platz zu Saisonstart zuletzt mit ihrer Form. Im letzten Rennen vor Olympia, dem Massenstart in Antholz, kam sie nur auf Rang 23. "Was da auf dem Papier stand, ist definitiv nicht meine Leistung. So fühle ich mich auch nicht", sagte Herrmann.

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In Pyeongchang vor vier Jahren klappte es noch mit sieben Medaillen für die Deutschen, drei fuhr allein Laura Dahlmeier ein. Den Ausnahmestatus, den sie hatte, besitzt heute niemand mehr im Team. Am nächsten ist aktuell Benedikt Doll an der Weltspitze dran, das letzte Rennen in Antholz entschied er für sich. Nach dem Rücktritt von Peiffer, der im vergangenen Jahr noch WM-Silber im Einzel gewonnen hatte, ist er mit Lesser mehr in den Fokus gerückt, sie sind jetzt die Ältesten im Team. "Bei uns sind jetzt neue Erwartungen da und mit denen muss man umgehen lernen", sagt Doll, der wie viele ein eigenes Kopfkissen dabei hat. "Wenn man gut ausgeschlafen ist, sieht man das ein oder andere Problem ganz anders."

Mit Problemen wollte sich Erik Lesser in Peking eigentlich nicht mehr beschäftigen, doch wie soll man sie verarbeiten, die Eindrücke dieser Spiele? "Es ist wirklich schön hier draußen ... aber zu wissen, wie diese Gegend zuvor ausgesehen hat, macht mich so traurig", schrieb er auf Instagram zu der aus dem Nichts hochgezogenen Anlage: "All das für drei Wochen." Gar nicht so leicht, in den Schafmodus zu kommen.

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