OGC Nizza:Ein Klub am Limit

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Er ist es: Dante Bonfim Costa Santos, Champions-League-Sieger mit dem FC Bayern 2013, dirigiert mit 40 Jahren aktuell die stabilste Abwehr Europas. (Foto: Daniel Cole/AP)

Sportlich erlebt Nizza einen Höhenflug, auch dank des ewig jungen Dante, der mit 40 Jahren noch in der Abwehr glänzt. Doch intern muss der reiche Verein schwerwiegende Probleme ganz anderer Art bewältigen.

Von Stefan Galler

Als Lilian Thuram im Jahre 2008 seine weltmeisterliche Karriere beendete und sich der Erziehung seiner Söhne Marcus und Képhren widmete, legte Dante, damals 25, gerade erst los. Der Brasilianer wechselte von Standard Lüttich zu Borussia Mönchengladbach, gewann später mit dem FC Bayern die Champions League, erlebte beim 1:7 mit der Nationalmannschaft im WM-Halbfinale von Maracana gegen Deutschland seinen Karrieretiefpunkt. Und ist jetzt, 2023, immer noch aktiv, und das so gut wie wohl nie. Dante Bonfim Costa Santos, seit vergangener Woche 40 Jahre alt, hat mittlerweile beim OGC Nizza die Rolle eines Übervaters übernommen. Einer seiner Adoptivsöhne ist Képhren Thuram, 22, der zu den größten Talenten im französischen Fußball gehört.

"Ich sage es diesen Kindern immer wieder: Sie haben viel Qualität. Aber der Unterschied zwischen den Guten und den Großen ist, dass die Großen immer den Anspruch haben, 90 Minuten einfachen Fußball zu spielen", sagt Dante und verkörpert diesen Lehrsatz selbst geradezu vorbildlich: Zusammen mit dem früheren Schalker Jean-Clair Todibo bildet er die erfolgreichste Innenverteidigung in Europas Top-Ligen.

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Der frühere Münchner Dante verteidigt in Frankreich regelmäßig gegen den Sturm von Paris. Er erklärt, warum das Rückspiel für die Bayern trotz der Verletzung von Neymar defensiv sehr viel härter werden wird.

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Schnörkellos verteidigt das Duo, vier Gegentore hat Nizza in den ersten neun Saisonspielen kassiert, dabei sechs Mal zu null gespielt und kein einziges Spiel verloren. Am Samstag besiegte der Olympique Gymnaste Club den Süd-Rivalen Olympique Marseille 1:0 und ist nun schon seit 363 Minuten ohne Gegentor. Lediglich Meister Paris Saint-Germain hatte es Mitte September fertiggebracht, den polnischen Torwart Marcin Bulka zwei Mal zu überwinden - und verlor im heimischen Prinzenpark dennoch 2:3.

Den Höhenflug ordnet Methusalem Dante altersweise ein: "Es scheint einfach zu sein, aber man braucht immer große Konzentration, große Disziplin und großen Respekt vor dem Spiel." Das entspricht der Philosophie des italienischen Trainers Francesco Farioli, der erst 34 Jahre alt und damit sechs Jahre jünger ist als der Abwehrboss mit dem Afrolook. Farioli war einst Torwarttrainer unter Roberto de Zerbi in Sassuolo, kam als Chefcoach in der Türkei bei Alanyaspor mit Rang fünf in der Saison 2021/22 groß heraus und ergatterte diesen Sommer den Job in Nizza. Erst vor ein paar Wochen hat er an der Seite der Weltmeister von 2006, Andrea Barzagli und Daniele de Rossi, die Uefa-Pro-Lizenz erworben.

Junger Dirigent: Nizzas Trainer Francesco Farioli. (Foto: Valery Hache/AFP)

Bisher profiliert er sich durch kluge taktische Kniffe und gelungene Auswechslungen: Beim 1:0-Erfolg in Monaco vor vier Wochen wechselte er den Siegtorschützen Jérémie Boga ein, am Samstag gegen Marseille mit Landsmann Gennaro Gattuso als Trainer gelang ihm das gleiche Kunststück mit Joker Evann Guessand. Farioli lässt sich trotz der Erfolgsserie nicht zu kessen Sprüchen hinreißen. Nach dem 1:0 gegen Olympique sagte er: "Wir hatten mehr Glück. Das Spiel war sehr ausgeglichen, das beweisen auch die Daten."

In der Liga ist Nizza nun vorerst Zweiter, eigentlich ein Grund zur Freude, doch gleich mehrere schwerwiegende Probleme belasten den Klub intern. Da ist etwa der Fall des algerischen Rechtsverteidigers Youcef Atal, der vergangene Woche in den sozialen Medien den Post eines palästinensischen Scheichs teilte, der Gott aufrief, "einen schwarzen Tag über die Juden" zu schicken. Die Staatsanwaltschaft Nizza leitete ein Ermittlungsverfahren ein, der Spieler wurde vom Klub vorerst suspendiert. Farioli stellte dazu klar: "Youcef ist ein Junge, den wir alle lieben, ein wichtiger Spieler, der uns am Herzen liegt. Aber als Sportler haben wir zwar Rechte, aber eben auch Pflichten."

Nationaltrainer Didier Deschamps lässt Todibo im Testspiel gegen Schottland auf der Bank schmoren

Auch Dantes Abwehrpartner Todibo war zuletzt massiv in die Kritik geraten. Ihm wurde vorgeworfen, beim EM-Qualifikationsspiel mit Frankreich in den Niederlanden vor einer Woche während der Schweigeminute für die Opfer des Nahost-Konflikts vor der Reservebank stehend "nervös gelacht" zu haben. Der Ethikrat des nationalen Verbandes hat das Thema aufgegriffen und will den Spieler anhören. Todibo entschuldigte sich bereits, so oder so kostete ihn der Vorfall sein zweites Länderspiel: Nationaltrainer Didier Deschamps ließ ihn im Testspiel gegen Schottland (4:1) trotz anderslautender Absprachen auf der Bank schmoren.

Und dann war da noch das Drama um den 22 Jahre alten Mittelfeldspieler Alexis Beka Beka, der sich vor drei Wochen an den Rand einer Autobahnbrücke setzte und drohte, hinabzuspringen. Er konnte gerettet werden, nach einem mehrstündigen Einsatz der Klubpsychologin ließ er von seinem Vorhaben ab.

Als wäre diese gesamte Gemengelage für Nizza nicht schon herausfordernd genug, tauchten auch noch wirtschaftliche Sorgen auf, die immerhin vorerst ausgeräumt sind. Nizzas Hauptaktionär Jim Ratcliffe bemüht sich bekanntlich mit seinem Ineos-Konzern darum, bei Manchester United einzusteigen. Er wird wohl für etwa 1,6 Milliarden Euro 25 Prozent der Anteile übernehmen. Allerdings gab der britische Unternehmer nun ein Bekenntnis ab und untermauerte, dass er den "Aiglons", den Adlern, wie OGC in Frankreich genannt wird, als Geldgeber erhalten bleiben wird. Die Strategie solle sich nicht ändern, man wolle Nizza behutsam zu einer europäischen Spitzenmannschaft aufbauen, ohne unnatürliches Wachstum. Die sportliche Entwicklung gibt diesem Kurs derzeit ja recht.

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