Louis van Gaal:Er küsst, er tanzt - und steht im Viertelfinale

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Louis van Gaal fragte einen Journalisten: "Wenn Sie es so langweilig finden, warum fahren Sie nicht nach Hause?" Antwort: "Ich muss bis zum Finale bleiben." Van Gaal: "Dann sehen wir uns dort!" (Foto: Lee Smith/Reuters)

Louis van Gaal coacht die Niederlande zu einem Sieg gegen die USA. Er ist in Katar auch deswegen so erfolgreich, weil er in zwei Dingen exakt das Gegenteil von dem macht, was die Deutschen gemacht haben.

Von Martin Schneider, Doha

Ein Journalist aus Curaçao hatte die letzte Frage. Wie wichtig Denzel Dumfries, dessen Vater ja schließlich von der benachbarten Karibikinsel Aruba stamme, denn für die niederländische Nationalmannschaft sei, fragte er den Bondscoach Louis van Gaal auf der Pressekonferenz nach dem WM-Achtelfinale gegen die USA. "Denzel weiß, wie wichtig er für uns ist", sagte van Gaal zu seinem Spieler, der neben ihm saß. "Vor zwei Tagen hab ich ihm deshalb einen großen Kuss gegeben, ich werde ihm noch mal einen Kuss geben", sagte van Gaal. Und dann gab er seinem Außenverteidiger einen dicken Schmatz.

Louis van Gaal hat bei dieser Weltmeisterschaft schon geknuffelt, also umarmt, er hat seine Frau Truus auf dem Trainingsplatz aufgefordert, ins Hotelzimmer zu kommen, um einen "Wippie" zu machen (was auch immer er damit meinte), und nun verteilt er Küsse an seine Spieler. Am späten Abend ging dazu noch ein Video durchs Internet, man sieht van Gaal leichtfüßig ins Mannschaftshotel tanzen. Die Frühlingsgefühle des Feierbiests im katarischen Winter kommen natürlich daher, dass es richtig gut läuft. Seine Mannschaft steht im Viertelfinale, und das dank eines erschreckend souveränen 3:1-Sieges gegen die USA.

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Nach zehn Minuten ging die Elftal durch Memphis Depay in Führung, Daley Blind erhöhte vor der Pause, nach dem Anschlusstor durch den eingewechselten Haji Wright machte der später geküsste Dumfries alles klar. Doch weniger als die Tore war vor allem der Stil der Niederländer interessant. Die USA waren in allen Statistiken vorne: Torschüsse, Ballbesitz, Pässe. Trainer Gregg Berhalter sagte nach dem Spiel, das Ergebnis sei "hart", weil man "in jedem Aspekt des Spiels überlegen" gewesen sei. In jedem? Wenn er sich da mal nicht täuschte.

Denn nach dem frühen Führungstreffer ließ van Gaals tiefe Fünferkette, umsichtig dirigiert von Kapitän Virgil van Dijk, kaum eine Torchance der jungen US-Mannschaft mehr zu. Die Amerikaner kontrollierten vielleicht den Ball, aber es bestand im Khalifa-Stadion kein Zweifel daran, wer das Spiel kontrollierte. Dieser Stil brachte van Gaal 2014 ins WM-Halbfinale, ein Elfmeterschießen nur war er vom Endspiel gegen Deutschland entfernt. Und genau wie damals provoziert er im Heimatland Diskussionen. "Zwei tolle Tore, der Rest ist zum Heulen", sagte Ex-Nationalspieler Marco van Basten zum USA-Spiel. "Als Fußball-Liebhaber habe ich mich gefragt: Was sehe ich mir da an? Null Initiative."

Dazu muss man wissen, dass den Niederländern ihre offensive 4-3-3-Taktik so heilig ist, dass sie zuweilen sogar per Flugzeugtransparent eingefordert wird. Das schöne Spiel ist im Land von Johan Cruyff Teil der Identität. Als Oranje 2010 versuchte, sich im WM-Finale mit überharten Aktionen gegen Spanien zum Titel zu treten, führte das zu empfindlicher Verstimmung. Nun musste sich van Gaal wieder rechtfertigen und die Spielweise vor dem Achtelfinale gegen den Vorwurf der Langeweile verteidigen - und natürlich tat er das auf seine eigene Art. "Das ist Ihre Meinung, aber ich denke nicht, dass Ihre Meinung die richtige Meinung ist", sagte er zu einem Journalisten. Einen anderen fragte er: "Wenn Sie es so langweilig finden, warum fahren Sie nicht nach Hause?" Antwort: "Ich muss bis zum Finale bleiben." Van Gaal: "Dann sehen wir uns dort!"

Niederländische Taktik: Erst mal hinten sicher stehen und offensiv schauen, was geht

Dabei beherzigt der älteste Trainer der WM (71 Jahre) einfach nur eine der ältesten Weisheiten des Sports: Offensive gewinnt Spiele, Defensive Meisterschaften. Seine Herangehensweise ist beinahe das exakte Gegenteil der deutschen Taktik: Statt voller Offensive und Risiko hinten achtet der General darauf, defensiv erst mal sicher zu stehen, um dann zu schauen, was nach vorne geht. Auch in der politischen Kommunikation machen die Niederlande es genau anders als der DFB. Vor dem Turnier äußerte sich van Gaal sehr kritisch zum WM-Ausrichter Katar, seine Mannschaft veranstaltete in den ersten Doha-Tagen auch ein Training mit Gastarbeitern. Doch mit Beginn der Spiele sagte der Bondscoach bei jeder politischen Frage: Keine Antwort dazu, jetzt geht es um Fußball.

"Unser Spiel gegen den Ball gibt uns Selbstvertrauen, unser Spiel mit dem Ball müssen wir verbessern", lautete van Gaals Analyse nach dem Achtelfinale. Das ist natürlich fußballfachlich korrekt, was auch sonst; allerdings ist der nächste Gegner Argentinien, und gegen den wird seine Mannschaft auch nicht unbedingt das Spiel machen müssen. Tat sie auch im WM-Halbfinale 2014 nicht, aber weil die Südamerikaner damals auch nicht wie die USA diesmal in van Gaals Falle liefen, wurde es eines der langweiligsten Spiele der WM. Argentinien hat heute wie damals zudem den Faktor Messi, der auch die bestorganisierte Fünferkette mit einer Einzelaktion knacken kann. Für van Gaals orange Mauer wird das Argentinien-Spiel die erste große Prüfung des Turniers.

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