USA gegen Niederlande bei der WM:Schwächen im US-Hurra-Fußball aufgezeigt

Lesezeit: 4 min

Die Niederländerin Danielle Van de Donk (vorne) und US-Spielerin Lindsey Horan sind eigentlich befreundet - im WM-Gruppenspiel geraten sie aber aneinander. (Foto: Buda Mendes/Getty)

Im bislang besten Spiel der Weltmeisterschaft zwingen die Niederlande dem Favoriten USA ihren Ballbesitzfußball auf und holen ein 1:1. Trainer Jonker sieht sich in seinem Weg bestätigt - die Amerikanerinnen wirken verwundbar.

Von Felix Haselsteiner, Wellington

Im Duell mit dem Turnierfavoriten trieben es die Niederländerinnen so weit, dass es eine Schlichterin brauchte. Schiedsrichterin Yoshimi Yamashita holte die beiden Spielerinnen mit der Nummer zehn vor einem Eckball in der 62. Minute noch einmal zusammen. Lindsey Horan und Danielle van de Donk sollten sich aussprechen, nachdem sie Minuten vorher nach einem Zweikampf an der Seitenlinie schon aneinandergeraten waren. Und sie stachelten sich immer weiter an, es fielen ein paar nicht jugendfreie Worte: "I got a little pissed at her", sagte Horan später, sie war tatsächlich sauer. 1:0 führten die Niederländerinnen zu diesem Zeitpunkt in einem hitzigen Duell, dem besten Spiel dieser Weltmeisterschaft bislang, nur: Vielleicht hatten sie es kurzzeitig übertrieben mit ihren Provokationen.

Wenige Augenblicke später nämlich flog der Eckball von Rose Lavelle in den Strafraum, und aus der Traube an Spielerinnen stach eine hervor, die gerade ein bisschen arg wütend war: Die US-Kapitänin Horan sprang dem Ball mit so viel Willen entgegen, dass niemand in ihrer Nähe noch hätte einschreiten können, und sie köpfelte ihn zum 1:1 ins Tor.

SZ PlusBundestrainerin im Interview
:"Copy-and-paste funktioniert nicht"

Martina Voss-Tecklenburg erklärt, warum sich die tolle EM-Stimmung aus dem Vorjahr bei der WM nicht einfach wiederholen lässt, spricht über das Ziel Titelgewinn, den kalten australischen Winter - und den erstaunlichen Gerd Müller.

Interview von Anna Dreher

Der Ausgleich rettete den US-Amerikanerinnen ihre Serie von 19 Partien ohne Niederlagen und verschaffte beiden Mannschaften eine gute Ausgangslage fürs Weiterkommen. Vielsagender war jedoch eine andere Statistik: Zum ersten Mal seit dem Viertelfinale 2011 gegen Brasilien lagen die USA am Donnerstag in Wellington in einem WM-Spiel in Rückstand, was eindrücklich beschreibt, dass dieses zweite Gruppenspiel - eine Neuauflage des WM-Finals von 2019 - durchaus das Potential für einen Favoritensturz hatte.

Beim US-Team überwog nach dem Duell zwar Zufriedenheit über das Comeback und die kämpferische Einstellung in der zweiten Halbzeit. "Wir haben die Probleme in den Griff bekommen", sagte Horan. Aber die zweite WM-Partie zeigte auch die Schwächen des US-Hurra-Fußballs auf. Immer wieder verließen sich die Amerikanerinnen auf ihr kongeniales Sturmtrio aus Trinity Rodman, Alex Morgan und Sophia Smith - in der zweiten Halbzeit auch auf die eingewechselte Rose Lavelle. Doch es klappte nicht, als gesamtes Team dominant zu agieren. Schneller laufen, besser schießen und niemals aufgeben, das sind die Kerntugenden der Mannschaft von Trainer Vlatko Andonovski, was gegen kleine Nationen wie Vietnam (3:0 im ersten WM-Spiel) ausreicht.

Gegen die Niederlande jedoch bot sich ein anderes Bild. Die Mannschaft von Trainer Andries Jonker, ehemals Co-Trainer von Louis van Gaal beim FC Bayern und Cheftrainer beim VfL Wolfsburg in der Männer-Bundesliga, spielte über weite Strecken der Partie den besseren, strukturierteren Fußball. "Wir können mit Ballbesitz spielen, das ist unser niederländisches Mittel. Und wir wussten, dass sie Räume bieten", sagte Verteidigerin Dominique Janssen: "In der ersten Halbzeit hat man uns die Freude am Fußball angesehen."

Sophia Smith bei den USA
:"Sie ist DAS Mädchen"

Vor dem Turnier lag der Fokus im US-Team bereits auf ihrem größten Talent, nach dem Auftakt noch mehr: Sophia Smith besiegt Vietnam im Alleingang - und steht wie keine andere für die gesammelten Hoffnungen auf die nächste Generation.

Von Felix Haselsteiner

Mutig umkurvten die Niederländerinnen das hohe amerikanische Pressing und versuchten, spielerische Lösungen zu finden auf dem Weg nach vorne. So wie beim 1:0 in der 17. Minute: Stürmerin Lieke Martens fand im Mittelfeld eine Lücke und leitete mit einer Körpertäuschung einen Angriff ein, an dessen Ende Jill Roord mit einem guten Abschluss die Führung erzielte. "Das war unser Plan, das ist unsere Qualität, den Ball von orange zu orange zu spielen. Wenn man uns den Ball gibt, sind wir das bessere Team", sagte Jonker, der genau das vermitteln möchte: "Was man außerdem braucht, ist die Überzeugung der Spielerinnen, dass wir das auch gegen die beste Mannschaft der Welt können - das haben wir heute gezeigt."

Die Niederlande finden Lösungen für ihre personellen Probleme

Ein 1:1 gegen die Weltmeister-Mannschaft aus den USA "fühlt sich gut an", sagte Janssen, insbesondere wenn das einzige Gegentor nach einem Eckball fällt - und wenn man eine Halbzeit lang ohne Abwehrchefin spielen muss: Stefanie van der Gragt musste mit einer Verletzung zur Pause vom Platz, in den zweiten 45 Minuten merkte man ihr Fehlen in zahlreichen Situationen, Jonker nannte sie "unersetzlich".

Dasselbe allerdings hatte man auch schon gedacht, als Stürmerin Vivianne Miedema für die WM ausfiel, doch die niederländische Elf scheint gut darin zu sein, Lösungen für personelle Probleme zu finden. Ob und wie lange nun van der Gragt fehlen wird, steht noch nicht fest. Am kommenden Dienstag gegen Vietnam könnte Jonker wohl noch am ehesten auf sie verzichten, dann geht es für die Niederlande um den Gruppensieg, während die USA parallel gegen Portugal um den Achtelfinal-Einzug spielen.

Trotz der bisweilen harten, provokanten Spielweise lobten auch die Amerikanerinnen den Gegner. "Eine der besten Mannschaften der Welt" und "ein sehr kompetitives Team" nannte Horan die Niederlande, auf die die USA im Halbfinale erneut treffen könnten. Dann käme es auch zu einem zweiten Treffen der Zehnerinnen Horan und van de Donk, die bei Olympique Lyon Kolleginnen sind.

Das erste Duell nahm noch ein vorläufig gutes Ende. Kurz nach Abpfiff lagen sich beide schon wieder in den Armen. "Ich weiß, wie Lindsey ist, und wusste, dass wir nach dem Spiel wieder lachen können", sagte van de Donk. Die US-Kapitänin sei eine gute Freundin, aber eben eine höchst ambitionierte Spielerin, da könne so ein Tackling an der Seitenlinie schon mal einen Streit auslösen. "Ich habe den Zweikampf übrigens gewonnen", betonte van de Donk noch in der Medienzone. Sie sagte es besonders laut, versteht sich, sodass Horan, die gerade hinter ihr vorbeiging, den Spruch hörte und ihr einen vielsagenden Blick über die Schulter zuwarf. Einer, aus dem deutlich wurde, dass sich beide ganz gerne noch mal wiedersehen würden bei diesem Turnier - zu einem Zeitpunkt, an dem keine Unentschieden mehr erlaubt sein werden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusAlexandra Popp
:Grüße an den Papa im Himmel

Mit den ersten zwei Toren gibt Kapitänin Alexandra Popp beim 6:0 des DFB-Teams gegen Marokko zum WM-Auftakt die Richtung vor. Wie schon bei der EM wird sie zur entscheidenden Spielerin - und widmet ihren Torjubel ihrem verstorbenen Vater.

Von Anna Dreher

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: