Leon Draisaitl in der NHL:Rockstar auf der Suche nach dem Nummer-eins-Hit

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Eins, zwei, eins, zwei, drei vier: Leon Draisaitl (links) und Connor McDavid, die beiden erfolgreichsten Stürmer der vergangenen Jahre von den Edmonton Oilers, zählen die neue NHL-Saison ein. (Foto: James Guillory/USA Today Network/Imago)

Die NHL startet in ihre 107. Saison, mit dabei sind sieben Eishockeyprofis aus Deutschland. Fast alle spielen Schlüsselrollen bei ihren Klubs. Doch ausgerechnet der Talentierteste läuft dem großen Erfolg schon am längsten hinterher.

Von Johannes Schnitzler

Um Leon Draisaitl zum Lächeln zu bringen, genügt ein Wort: Köln. Die Erwähnung seiner Heimatstadt ist ein bewährter Eisbrecher, um den Nationalspieler aus der Reserve zu locken. Dann huscht ein Lächeln über sein bärtiges Gesicht, ehe ihm einfällt, dass der FC zurzeit alles andere als Frohsinn verbreitet.

Es ist Montagabend, drei Tage vor dem ersten Saisonspiel für Draisaitls Edmonton Oilers in der nordamerikanischen Eishockey-Liga NHL bei den Vancouver Canucks (Donnerstag, 4 Uhr). Vor den Bildschirmen hat sich eine kleine Medienrunde aus Deutschland versammelt, und die Fragestellerin eines beliebten Senders aus Köln hat noch weitere wichtige Anliegen.

Etwa, wie es Bowie geht, Draisaitls Hund, einem Cavapoo, einer Mischung aus einem Flokati und einem Pfund Zucker mit Knopfaugen, jedenfalls seeehr süß und während der Pandemie zu gewisser Social-Media-Prominenz gelangt als unermüdlicher Trainingspartner in Draisaitls Home-Office ("der härteste Verteidiger, gegen den ich gespielt habe"). Draisaitl sagt, Bowie gehe es gut, vielleicht müsse seine Freundin da mal wieder ran und ein bisschen was posten, "damit die Leute das bekommen, was sie wollen". Regel Nummer eins im Showbiz: give the audience, what the audience wants, da geht es Draisaitl nicht anders als Rockbands, die seit Jahrzehnten auf Tour sind, mit neuem Material, aber die Leute wollen halt immer das gleiche alte Zeug hören.

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Draisaitl scheint sogar froh zu sein über Fragen nach dem 1. FC Köln und nach Bowie. Er ist jetzt 27 Jahre alt, geht in seine zehnte Saison in der besten Eishockeyliga der Welt, und die anderen üblichen Fragen sind: 1. Glauben Sie, dass die Oilers in diesem Jahr reif sind für den Titel? (Subtext: endlich), 2. irgendwas mit Dirk Nowitzki.

In der Vorbereitung haben die Oilers mit dem Meditationscoach von Michael Jordan und Kobe Bryant gearbeitet

Seit Draisaitl mal in einem Interview erwähnt hat, dass er der Eishockey-Nowitzki werden will, das goldglänzende Aushängeschild für Sportler aus Germany, muss er sich erklären, wann es denn nun (endlich) so weit ist. Draisaitl hat so ziemlich alle persönlichen Auszeichnungen gewonnen, die ein Spieler in einer der fünf umsatzstärksten Sportligen der Welt nur gewinnen kann, er war bester Torschütze, wertvollster Spieler (MVP), seit Jahren schießt er mit seinem Sturmpartner Connor McDavid die Liga in kleine Stücke. Vergangene Saison knackte er zum vierten Mal die Marke von 100 Scorerpunkten (Tore und Vorlagen), in den vergangenen fünf Spielzeiten schoss kein anderer Spieler so viele Tore wie er (256), nicht einmal McDavid, 26, der einzige, der ihn zuletzt sogar übertraf. Was Draisaitl allein fehlt: der Titel.

Nichts treibt Draisaitl mehr um als der Gewinn des Stanley Cups, die Trophäe für den Meister der NHL. Es wäre der erste für ihn und der erste für Edmonton seit 1990. In den vergangenen beiden Spielzeiten scheiterten die Oilers an Colorado und den Vegas Golden Knights, jeweils am späteren Champion also. Aber dafür kann Draisaitl sich keinen Meisterschaftsring kaufen. Stattdessen sagt er, was er seit Jahren sagt: "Die Erfahrung aus den letzten beiden Jahren wird uns helfen." Und: "Wir haben gute neue Jungs dazubekommen." Mattias Ekholm vor allem, 33, im März im Trade aus Nashville gekommen. Der Schwede soll helfen, die notorische Schwachstelle der Oilers abzudichten, die Abwehr.

In der Vorbereitung haben die Oilers mit einem Meditationscoach gearbeitet, George Mumford, der einst die Basketball-Stars Michael Jordan und Kobe Bryant stark redete. Die Hoffnung geben sie jedenfalls nicht auf. Nowitzki, sagt Draisaitl, habe ja auch "einen langen Anlauf genommen": Der Würzburger war 32, als er den Titel in der NBA holte, eine Woche vor seinem 33. Geburtstag. Draisaitl hat also noch Zeit. Er wird in zwei Wochen 28.

Der Älteste in der Runde deutscher NHL-Profis: Torhüter Philipp Grubauer (Seattle Kraken) gewann 2018 mit den Washington Capitals den Stanley Cup. (Foto: Ron Chenoy/USA TODAY Sports via Reuters Con)

Was seine Vorreiterrolle angeht, ist er deutlich weiter. Wenn die NHL in der Nacht zu Mittwoch in ihre 107. Spielzeit geht, sind neben Draisaitl sechs weitere deutsche Profis dabei. Nur einer - Torhüter Philipp Grubauer (Seattle Kraken), 2018 Stanley-Cup-Sieger mit Washington - ist älter als er, 31, Nico Sturm (San Jose Sharks) aus demselben Jahrgang. Die anderen sind gerade einmal Anfang 20.

Aber bis auf Lukas Reichel, der auf seine erste komplette NHL-Saison für die Chicago Blackhawks neben Jahrhunderttalent Connor Bedard hofft, sind sie bereits unverzichtbare Stützen ihrer Teams. Allen voran Moritz Seider, 22, WM-Silbermedaillengewinner, der bei den Detroit Red Wings die Abwehr zusammenhält und schon jetzt als einer der besten Verteidiger der Welt gilt, und Tim Stützle, 21, vergangene Saison mit 90 Punkten (39 Tore, 51 Vorlagen) Topscorer der Ottawa Senators. Zum Vergleich: Draisaitl kam in Stützles Alter auf 51 bzw. 77 Scorerpunkte. Dazu kommen in JJ Peterka (Buffalo Sabres) und Sturm zwei weitere WM-Silbermedaillengewinner.

Sturm, der Aufsteiger der vergangenen beiden NHL-Spielzeiten, 2022 Stanley-Cup-Sieger mit Colorado, 2023 Nationalmannschaftsdebütant und sofort Führungsfigur im deutschen Team auf dem Weg zum größten WM-Erfolg seit 70 Jahren, sagt: "Dass wir deutsche Spieler in wichtigen Rollen bei NHL-Klubs haben, ist top. Aber wir müssen auch schauen, dass wir weiterhin junge Talente in dieser Pipeline haben."

WM-Silbergewinner Nico Sturm bekommt in San Jose Konkurrenz durch einen zweimaligen Weltmeister

Wie man sich in die NHL rein- und in ihr durchbeißt, dafür gibt er selbst das beste Beispiel. Nach einer Leisten-OP im Sommer 2022 arbeitete Sturm diesen Sommer zu Hause in Augsburg neben den üblichen Kraft-, Schnelligkeits- und Ausdauerwerten vor allem an seiner Rumpfstabilität. Ende Juli ging er aufs Eis, bereitete sich im August drei Wochen lang mit seinem Skating-Coach in Minnesota vor - und war zwei Wochen vor dem Start des Trainingscamps in San Jose in Wettkampfform. "Meine Fitnesswerte waren die besten, die ich bisher hatte", sagt Sturm. Als Mittelstürmer bei den Sharks bekommt er in dem zweimaligen Weltmeister Mikael Granlund aus Finnland neue Konkurrenz. "Aber ich werde weiter mein Spiel spielen, an meinen Stärken festhalten, an meinen Schwächen arbeiten und mir die Eiszeiten eben erarbeiten müssen", sagt Sturm - eine Blaupause auch für Maksymilian Szuber (Arizona Coyotes) und Leon Gawanke (San Jose), zwei weitere WM-Zweite, die von ihren Organisationen kurz vor Saisonstart erst einmal zu den Farmteams abgestellt wurden.

Auch Draisaitl ist von der neuen deutsche Welle angetan. "Es ist überragend. Wir haben lange gewartet auf Jungs, die ihren Teams auch offensiv viel hinzufügen können." Dass ausgerechnet der wohl talentierteste Spieler, der je aus Deutschland kam, noch immer ohne Titel und Medaille ist, gehört zur Ironie des Sports. Soll aber nicht ewig so bleiben. Seine Mitspieler in Edmonton hätten den Bereich, aus dem heraus er die meisten seiner Treffer erzielt, halbrechts vom Tor, schon mal zur "Rockstar Zone" ernannt, verrät Draisaitl und grinst sein Köln-Grinsen. Mal sehen, ob er am Ende der Tournee 2023/24 eine neue Platte auflegen kann, irgendwas mit Stanley und Cup. Das wäre der Hit, den die Leute sicher gerne hören würden.

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