NHL-Profi Nico Sturm:Der Mann für die Knochenjobs

Nico Sturm

Überraschungscoup: Nico Sturm mit Stanley Cup.

(Foto: Christian Petersen/AFP)

In Deutschland sah Eishockeyprofi Nico Sturm keine Perspektive für sich. Jahrelang wühlte er sich in Nordamerika durch die unteren Ligen. Seine Belohnung: der Stanley Cup. Und ein Millionen-Vertrag in San Jose.

Von Johannes Schnitzler

Nico Sturm schlenderte durch die Stadt. Er schüttelte Hände, er lächelte. Er lächelte am Brandenburger Tor, er schüttelte Hände in der Mercedes-Benz-Arena. Er flanierte über den Boulevard Unter den Linden. Er saß im dunklen Anzug auf der Tribüne im Stadion. Er tat, was er tun konnte. Aber nicht das, wofür er eigentlich nach Berlin gekommen war: für ein Eishockeyspiel im Trikot der San Jose Sharks, seines neuen Klubs, gegen den deutschen Meister Eisbären Berlin, bevor die Sharks die Saison der National Hockey League an diesem Freitag und Samstag mit zwei Partien gegen Nashville offiziell eröffnen - in Prag.

Die Exkursion nach Europa unter dem etwas verblasenen Label "NHL Global Series Challenge" dient in erster Linie der Imagepflege der besten Eishockey-Liga der Welt. Für Nico Sturm war sie zudem eine Gelegenheit, die Hauptstadt kennenzulernen. Berlin sei für ihn etwas "ganz Neues", hatte der 27-Jährige zugegeben, bei zwei Kurzbesuchen als Nachwuchsspieler habe er von der Stadt nichts zu sehen bekommen.

Zwar betonte Sturm: "In allererster Linie fliegen wir nach Europa, um unsere ersten zwei Saisonspiele zu gewinnen, und nicht, um Touri-Aktivitäten zu machen." Aber als er dann in Berlin war, durfte er nicht gegen die Eisbären mitspielen, weil er im Test davor wohl eine Gehirnerschütterung erlitten hatte. Und so unternahm Sturm, was Touristen eben tun: flanieren, die Sehenswürdigkeiten betrachten. Mit einem kleinen Unterschied: Sturm war selbst eine der Attraktionen seines Berlin-Besuchs.

Kurze Zwischenfrage: Nico Sturm?

Bis vor wenigen Monaten war dieser Nico Sturm, geboren und aufgewachsen in Augsburg, selbst für viele Eishockeyexperten ein unbeschriebenes Blatt. Die Antwort auf die am häufigsten gestellte Frage lautete: Nein, der Stürmer ist mit dem ehemaligen Bundestrainer Marco Sturm weder verwandt noch verschwägert. Nico Sturm (154 Spiele) hat dem deutschen NHL-Rekordler (1006 Spiele) sogar etwas voraus: Er hat den Stanley Cup gewonnen, als fünfter Deutscher erst nach Uwe Krupp, Dennis Seidenberg, Tom Kühnhackl und Philipp Grubauer.

Dank des 2:1-Siegs mit der Colorado Avalanche im sechsten Finalspiel bei Titelverteidiger Tampa Bay steht nun der Name Nico Sturm auf dem begehrtesten Pokal der Eishockeywelt. Und nicht Marco. Auch nicht Leon Draisaitl, 26, der schon Topscorer und wertvollster Spieler der NHL war und von dem jeder erwartet, dass er sich eines Tages auf dem 16 Kilo schweren Monstrum verewigt. Sondern Nico Sturm, der im Halbfinale Draisaitl und die Edmonton Oilers besiegte und von sich selbst sagt: "Ich hatte nicht die Qualität, um in Deutschland Profi-Eishockey zu spielen."

"Wenn wir das Ding gewinnen, kräht doch kein Hahn danach, wie dein Name auf den Pott gekommen ist."

"Als er jünger war, sah es nicht so aus, als würde ihn sein Weg in die NHL führen", bestätigt Draisaitl. Beide kennen sich aus den Schüler- und Jugend-Bundesligen und teilen eine Gemeinsamkeit: Weder Draisaitl noch Sturm haben je ein Spiel in der Deutschen Eishockey Liga bestritten. Während der Weg des Ausnahmetalents Draisaitl ins Eishockey-Mutterland aber früh vorgezeichnet war, bedeutete er für Sturm einen Ausweg. Der mittlere dreier Brüder aus dem Augsburger Stadtteil Neubergheim, die alle beim Augsburger EV das Eishockeyspielen lernten, wechselte als Junior vom ESV Kaufbeuren nach Texas, in der Hoffnung, in den USA irgendwie den Traum von Studium und Eishockey am Leben erhalten zu können.

Über Corpus Christi, Austin und Kearney in Nebraska malochte Sturm sich durch die unteren Ligen, bis er 2016 an die Clarkson University im Bundesstaat New York kam. In der College-Liga NCAA spielte er sich als Kapitän in den Vordergrund und erhielt, mit 24, ein NHL-Angebot von Minnesota Wild - als grinder, als Wühler in den hinteren Reihen, die den Gegner durch die Mühle drehen und den Künstlern im eigenen Team den Rücken freihalten sollen. "Er hat Knochenarbeit geleistet, um eine feste NHL-Größe zu werden", sagt Draisaitl.

"Ich war nicht immer ein Arbeiter, das hat sich erst mit 16, 17 Jahren entwickelt", hat Sturm dem Magazin Dump & Chase verraten. Als der Spätberufene im Frühjahr von Minnesota nach Colorado transferiert wurde, erkannte er in dem befristeten Engagement weniger eine Abschiebung als eine einmalige Chance: die Chance auf den Stanley Cup. "Das ist das Größte, was es gibt." Dass er auf dem Weg zum Titel eine eher unscheinbare Rolle spielen würde, störte ihn nicht: "Wenn wir das Ding gewinnen, kräht doch kein Hahn danach, wie dein Name auf den Pott gekommen ist." Im Finale kam er in allen sechs Partien zum Einsatz.

Zu Hause krähen seitdem umso mehr Leute seinen Namen. Als Sturm im August den Cup einen Tag lang in seine Heimatstadt bringen durfte, kamen 2000 Menschen ins Augsburger Curt-Frenzel-Stadion, um diesen Nico Sturm leibhaftig zu sehen. Sturm trug sich ins Goldene Buch der Stadt ein und posierte stundenlang für Fotos mit Fans und Nachwuchsspielern. Sein Bruder Timo trainiert die U 13 des AEV.

In San Jose hat Sturm nun einen Vertrag bis 2025 unterschrieben, Jahresgehalt: zwei Millionen Dollar

"Ich gehe jetzt in mein viertes Profi-Jahr, natürlich will ich den nächsten Schritt in Richtung einer Leadership-Rolle machen", sagt Sturm. Mit einem neuen Vertrag bis 2025, der ihm pro Jahr zwei Millionen Dollar sichert, werde er "versuchen, den Kopf ein wenig abzuschalten und das Eishockeyspielen zu genießen". Um die Arbeitseinstellung des 1,91 Meter großen Stürmers muss sich niemand sorgen. "Nico ist ein großer und kräftiger Angreifer", sagt Mike Grier, der General Manager der Sharks.

"Er hat gezeigt, dass er konstant spielen und Colorado dabei helfen kann, einen Stanley Cup zu gewinnen." Um den Cup wird es mit San Jose kaum gehen, zuletzt verpassten die Kalifornier drei Mal in Serie die Playoffs. Diese zu erreichen, "das ist realistisch", glaubt Sturm. Und womöglich kann er so nebenbei auch die Kollegen Lukas Reichel (20, Chicago Blackhawks) und Leon Gawanke (23, Winnipeg Jets) inspirieren, die von ihren NHL-Klubs vorerst in die zweitklassige AHL entsandt wurden. "Man kann sich immer entwickeln", sagt Sturm - er selbst ist das beste Beispiel.

Reichel und Gawanke wiederum haben Sturm etwas voraus: Beide verfügen über DEL- und sogar WM-Erfahrung. Eine Berufung in die Nationalmannschaft, ja, das wäre noch so ein Ziel, sagt Sturm. Allerdings würde eine WM-Teilnahme im kommenden Frühjahr bedeuten, dass er mit den Sharks nicht allzu weit gekommen ist. Deshalb nimmt er es pragmatisch: "Ich hoffe einfach darauf, am Freitag gegen Nashville in der Aufstellung zu sein. Ich trainiere wieder voll mit und fühle mich zu hundert Prozent fit." Vom Touristen-Dasein hat Nico Sturm genug.

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