Am Donnerstagabend versammelten sich ungefähr 15 000 Menschen am St. James' Park, dem Stadion des englischen Fußballklubs Newcastle United. Sie sangen und jubelten, Nebelkerzen wurden gezündet, Bierfontänen in die Luft gespritzt, auf Videos sieht man ausgelassen hüpfende Fans, die feiern, als sei ihr Klub gerade Meister geworden. Newcastle hat in dieser Saison bislang noch kein Spiel gewonnen, United ist verdienter Vorletzter der Tabelle. Aber wen interessiert schon die Gegenwart, wenn die Zukunft plötzlich glamourös vor einem liegt? Die Fans gehen davon aus, dass sie in dieser Zukunft öfter zum Bierduschen zusammenkommen dürfen. Denn ihr Klub gehört jetzt Saudi-Arabien.
Das heißt, offiziell gehört der Klub einem Konsortium aus Saudi-Arabien. Am Freitag teilte die Premier League mit, es gebe eine "rechtlich bindende Versicherung, dass der Klub nicht vom Staat Saudi-Arabien kontrolliert wird". Das genügte der Liga, um dem Deal zuzustimmen, der die Kräfteverhältnisse nicht nur im englischen Fußball in den kommenden Jahren verändern wird.
Für rund 360 Millionen Euro übernimmt eine Gruppe, in der der saudi-arabische Investmentfonds PIF 80 Prozent der Anteile hält, Newcastle United vom britischen Milliardär Mike Ashley. Die restlichen 20 Prozent teilen sich zwei britische Beteiligungskapital-Firmen, sie heißen PCP Capital Partners und RB Sports & Media. Newcastle United steht damit ab sofort an der Tabellenspitze in der Liga der Superreichen: In den seriöseren Einordnungen wird der PIF auf etwa 370 Milliarden Euro taxiert. Die Finanzkraft der katarischen Eigentümer von Paris Saint-Germain soll bei rund 290 Milliarden Euro liegen, das Vermögen des Besitzers von Manchester City, Scheich Mansour aus Abu Dhabi, wird auf 19 Milliarden Euro geschätzt.
Der PIF steht unter der Führung von Kronprinz Mohammed bin Salman - jenem Mann also, den der amerikanische Geheimdienst CIA 2018 als Auftraggeber des Mordes am Journalisten Jamal Khashoggi ausmachte, wobei Bin Salman das abstreitet. Auch sonst wird Saudi-Arabien immer wieder kritisiert für seinen Umgang mit Menschenrechten; Homosexualität etwa steht in dem Staat unter Strafe. Seit Monaten versuchte Mike Ashley den Klub nach Saudi-Arabien zu verkaufen, doch der Widerstand war groß, auch die Premier League hatte Bedenken. Allerdings nicht wegen des Umgangs mit Menschenrechten in Saudi-Arabien, sondern wegen der TV-Rechte: Weil der Halter der TV-Rechte im arabischen Raum, ein Sender aus Katar namens BeIN, in Saudi-Arabien bislang keine Zulassung bekam, fürchtete die Premier League Piraterie. Saudi-Arabien hat nun dafür gesorgt, dass der Bann gegen den Sender aufgehoben wird. Zudem wird nicht der Kronprinz selbst neuer Klub-Chef, sondern Yasir Al-Rumayyan, der Direktor des PIF. Also: Alles gut, nicht wahr?
Die BBC hat am Freitag einen Fan aufgetrieben, der die neuen Besitzer kritisch sieht, einen Mann namens Oskar Avery, der bei einer Videoschalte im Fernsehen sagte, der Vorgang sei "in jeder Hinsicht entsetzlich". Repräsentativ aber ist das nicht. Die Stimmung unter den Fans gab da schon eher ein 80-jähriger Großvater wieder, der dem Guardian sagte: "Die WM findet in Katar statt, einem der schlimmsten Orte in Sachen Menschenrechte", außerdem habe sich doch auch niemand aufgeregt, als Manchester City nach Abu Dhabi verkauft wurde. "Wir sind einfach nur Fußballfans, die sich für Fußball interessieren", sagte der Mann, "that's it."
Teil der Geschichte ist auch, dass Mike Ashley bei den Fans nicht gerade bliebt ist. Ashley kaufte den Klub vor 14 Jahren für ungefähr 65 Millionen Euro, ihm gehört die Sportartikelkette "sports direct", deren riesige Läden überall in Großbritannien günstige Sportartikel verkaufen. Er investierte vergleichsweise kaum in den Klub, entließ reihenweise Trainer. Zweimal in den 14 Jahren unter Ashley stieg Newcastle ab, insbesondere sein Umgang mit den Menschen im Klub wurde ihm immer wieder vorgeworfen.
Financial Fairplay im Fußball:Sanktionen nur auf dem Papier
Vor zwölf Jahren erfand die Uefa das "Financial Fairplay" - spätestens in der Corona-Zeit offenbart sich, dass es gescheitert ist. Nun tobt zum Start der neuen Champions-League-Saison der Kampf um ein neues System.
Das Erbe, das er nun den neuen saudischen Besitzern hinterlässt, hat allerdings eine Fußnote, die ironischer kaum sein könnte. Weil Ashley zuletzt so wenig Geld ausgab, wird dem Klub unter den Financial-Fairplay-Regularien ein Gewinn zugutegehalten, der dazu führt, dass die neuen Besitzer im Januar-Transferfenster im kommenden Jahr ganz legal mehr als 170 Millionen Euro in neues Personal investieren dürften.
Die Regierung mache ja auch Geschäfte mit den Saudis, sagt Klub-Legende Alan Shearer
Dass der aktuelle Trainer Steve Bruce seinen Job bis dahin behält, ist unwahrscheinlich, Bruce selbst macht sich wenig Hoffnung. "Neue Besitzer wollen normalerweise neue Trainer", sagte er dem Telegraph. Die Besitzer wollen kommende Woche mit ihm reden, und es ist wohl davon auszugehen, dass der Trainer von Newcastle kommende Woche nicht mehr Steve Bruce heißen wird, sondern womöglich Antonio Conte, vielleicht auch Steven Gerrard. Auch Alan Shearer, der beste Torschütze in der Klubgeschichte, soll eine Rolle übernehmen, er hat bereits mit den neuen Besitzern telefoniert. Unter Ashley war er schon einmal Trainer.
Er verstehe die Freude der Fans, sagte Shearer der BBC, "mir geht es ja auch so". 14 Jahre lang hatte der Klub "keine andere Ambition als zu überleben", die Fans hätten Besseres verdient. Aber: Saudi-Arabien, die Menschenrechte? Ja, darüber müsse man reden, sagte Shearer, das dürfe man "nicht unter den Teppich kehren". Nur: Die Regierung mache ja auch Geschäfte mit den Saudis.
Die Verlobte des ermordeten Jamal Khashoggi - der im Oktober 2018 die saudische Botschaft in Istanbul betrat, um Dokumente für seine Hochzeit abzuholen, und die Botschaft nie wieder verließ - wurde auch befragt, wie sie den Newcastle-Deal sehe. "Ich bin sehr enttäuscht", sagte Hatice Cengiz. Sie wolle die Fans daran erinnern, dass es "wichtigeres gibt als Geld". Zu sehen, wie die Fans den Kauf bejubeln, das, sagte Cengiz, sei einfach nur "herzzerreißend".