NBA-Profi Moritz Wagner:Die Kunst des Umgeranntwerdens

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Moritz Wagner (li.) musste lange üben, bis er gelernt hatte, ein Offensivfoul effizient herauszuholen. Hier ein Versuch aus dem Jahr 2021, als er gegen Torontos OG Anunoby umkippt. (Foto: Nathan Denette/Zuma/Imago)

Der deutsche Basketballprofi Moritz Wagner erlebt die beste NBA-Saison seiner Karriere - weil der Weltmeister aus Berlin aus seiner Einsatzzeit so viel herausholt wie kein anderer Profi derzeit.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt im Basketball eine Aktion, bei der die Zuschauer bisweilen mehr ausrasten als bei krachenden Dunkings, erfolgreichen Dreierwürfen und No-Look-Pässen: weil sie dem, der sie ausführt, oft große Schmerzen zufügt - dem Gegner aber noch mehr, jedoch mental. Sie erfordert Timing, Mut und eine gewisse Lust an der Provokation, und genau deshalb sind NBA-Legenden wie Bill Laimbeer, Dennis Rodman und Draymond Green so beliebt bei den Fans ihrer Vereine und so verhasst bei denen der Kontrahenten. Am Dienstagabend präsentierte der deutsche NBA-Profi Moritz Wagner während der Partie seiner Orlando Magic gegen die Toronto Raptors die perfekte Ausführung dieser Aktion: Er positionierte sich im genau richtigen Moment im Laufweg von Precious Achiuwa unter dem Korb - dann ließ er sich vom 102-Kilo-Hünen umrennen.

Offensivfoul, entschieden die Schiedsrichter. Wagner jubelte, das Publikum johlte, weil es anstatt Dunking und zwei Punkten für Achiuwa bedeutete: Foul Toronto, Ballbesitz Orlando. Es war eine dieser Szenen, die dem Gegner den Wind aus den Segeln nehmen und dem eigenen Team einen Schub verleihen. Und obwohl es viel zu früh ist, den 26 Jahre alten Wagner mit legendären Gegnerfrustrierern wie Laimbeer, Rodman und Green zu vergleichen, lässt sich zu Beginn dieser NBA-Saison, vor allem nach diesem 126:107 unlängst gegen Toronto sagen: Wagner erlebt die beste Zeit seiner Profikarriere, weil er zuverlässig jene Dinge liefert, für die sich andere zu schade sind. Aus seinen Einsatzzeiten holt er dadurch so viel heraus wie aktuell kein anderer NBA-Profi. Die Partie gegen die Raptors steht symbolisch dafür.

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Wagner kam gegen Ende des ersten Viertels aufs Parkett und führte sich damit ein, dass er unter dem gegnerischen Korb einem Spieler der Raptors den Ball stibitzte und ihn per Dunking versenkte. Kurz darauf wurde er beim Rebound gefoult, dann sperrte er den Weg frei für Bruder Franz, der deshalb ungestört abschließen konnte. Danach tippte Moritz Wagner einen Fehlwurf des Kollegen durch den Ring - und ließ sich dann folgenschwer umrennen.

Alles passierte binnen weniger als vier Spielminuten und sorgte für maximalen Frust bei den Raptors, weil deren Trainer Darko Rajakovic die Aktionen von Wagner während der nächsten Auszeit als Tölpeleien der eigenen Akteure anprangerte: Ballverlust oder nicht auszublocken unter dem eigenen Korb, Foul beim Rebound, Offensivfoul. Es ärgerte Rajakovic umso mehr, weil man weiß, dass Wagner so spielt - und die Raptors es dennoch nicht verhindern konnten. "Wenn man Moe im eigenen Team hat, liebt man ihn", sagte Bruder Franz Wagner im vergangenen Sommer zur SZ, "aber wenn er dir gegenübersteht, überlegt man es sich zweimal, ob das Spaß macht."

In Zahlen gegossen sieht das so aus: 15 Minuten spielte Moritz, der vier Jahre ältere Wagner, er schaffte zehn Punkte (bei einer Wurfquote von mehr als 55 Prozent), vier Rebounds und klaute zwei Bälle. Die wichtigste Statistik: Mit ihm auf dem Parkett schaffte Orlando zehn Punkte mehr als die Raptors.

Moritz Wagner führt in dieser NBA-Saison einige Statistiken an

Zwei Dinge sind nicht verhandelbar für Erfolg in der NBA: Es braucht die sogenannten Superstars, die zuverlässig und vor allem in wichtigen Momenten den Ball im Korb versenken. In Orlando, das bislang neun Spiele gewonnen und fünf verloren hat, sind das Franz Wagner (18,4 Zähler pro Partie) und Paolo Banchero (19,1). Und es braucht einen wie Moritz Wagner, der bereitwillig die Drecksarbeit übernimmt und sich auch mal über den Haufen rennen lässt.

"Es ist ein bisschen so, als würde man zum ersten Mal Autofahren: Du hast etwas Angst, voll aufs Gas zu treten", sagt er übers Provozieren von Offensivfouls: "Du musst vor deinem Gegner da sein und akzeptieren, dass es zum Kontakt kommen wird. Zu Beginn meiner Karriere habe ich das viel zu häufig versucht, die Erfolgsquote lag vielleicht bei 20 Prozent. Man muss also effizient sein - wenn es funktioniert, dann ist es natürlich eine Aktion, die Kollegen und Fans elektrisiert."

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Effizient. Das ist auch das Wort, mit dem man Moritz Wagners Spielzeit bislang am besten umschreibt, und natürlich sammeln die statistikverliebten Amerikaner dafür Belegexemplare: Seine Wurfquote von knapp 63 Prozent ist grandios, die Punkteausbeute (11,6 Zähler pro Spiel) die drittbeste aller NBA-Profis, die im Schnitt weniger als 20 Minuten pro Spiel auf dem Parkett sind. Mehr noch: Niemand hat seit Beginn von Wagners Profi-Laufbahn im Jahr 2018 so viele Punkte pro Spiel (8,4) erzielt, der wie Wagner durchschnittlich weniger als 17 Minuten pro Partie gespielt hat.

"Harte Arbeit und Konzentration" nennt Wagner das, was ihn und seine Kollegen bislang erfolgreich sein lässt - also all das, was Jugendtrainer ihren Spielern einbläuen: Ausblocken beim Rebound (Orlando ist Nummer sechs bei Offensiv-Rebounds), schnell zurück in die Defensive (Platz vier bei den wenigsten Fastbreakpunkten der Gegner), nicht zu schade sein für die Verteidigung (viertwenigste kassierte Zähler insgesamt).

Es hilft natürlich, wenn man einen Trainer wie Jamahl Mosley hat, der all das regelmäßig öffentlich lobt - und Fans, die jedes Umgeranntwerden von Wagner feiern wie einen Sieg.

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