Motorsport:Oh, Rouge!

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Kurz vor dem Einschlag: Lando Norris kommt die Hochgeschwindigkeits-Passage Eau Rouge hoch, verliert dann die Kontrolle über seinen McLaren und crasht. (Foto: Benoit Doppagne/AFP)

Nach dem nächsten Unfall in der berüchtigten Kurve von Spa kommt Lando Norris mit dem Schrecken davon. 2022 soll sie endlich entschärft werden.

Von Anna Dreher, Spa

Am Abend meldete sich Lando Norris. Er lächelte auf dem Foto, sein linker Arm steckte in einer schwarzen Schiene und von seiner Hand passte gerade noch so viel in den Ausschnitt, dass der Symbolcharakter des Bildes zu erkennen war: Daumen hoch, alles okay. "Großer Unfall, ich fühle mich ein bisschen lädiert, aber mir geht es gut und ich erhole mich, bereit für das Rennen morgen", schrieb er dazu auf Sozialen Medien. Und das war am Samstag nach der Qualifikation zum Großen Preis von Belgien unbestritten die wichtigste Nachricht - dass der 21 Jahre alte Brite, der noch wenige Stunden zuvor in einem Autowrack gesessen hatte, wohlauf ist. Und dass er, mit der Genehmigung des Weltverbands Fia nach medizinischen Untersuchungen, am Rennen teilnehmen konnte.

Die Strecke von Spa-Francorchamps liegt recht malerisch, umgeben von Wäldern und Wiesen, nur regnet es hier im August oft. So war es auch in der Grand-Prix-Woche, die grauen Wolken hingen tief und am Samstag entluden sie sehr viel von dem angesammelten Wasser. Ab und zu machte der Regen Pause, was die Qualifikation für die Teams auf der Suche nach der richtigen Wagen-Abstimmung zu einer Herausforderung machte. Im entscheidenden dritten Durchgang aber war der Asphalt derart nass, dass Sebastian Vettel im Funk vor den Bedingungen warnte und eine Rote Flagge forderte, also die Unterbrechung der Session. Die aber gab es erst, als es zu spät war.

Man rast mit 300 km/h zur Kuppe hinauf, ohne Sicht auf das, was dahinter ist

Norris, der ebenfalls vor Aquaplaning gewarnt hatte, wollte trotz schwieriger Bedingungen seine hervorragende Chance auf die Pole Position nutzen. Die Eau-Rouge-Senke nach der Start-Ziel-Geraden wurde ihm dabei zum Verhängnis. Norris verlor die Kontrolle über seinen McLaren, der in einen Reifenstapel schoss, sich mehrmals drehte und schließlich auf der Strecke zum Stehen kam. Bis auf das linke Vorderrad waren die Pneus abgeknickt, das Auto war total demoliert. Norris hatte Glück, dass gerade so wenig Verkehr war.

Als Vettel davon mitbekam, war er außer sich: "Was zum Teufel habe ich gesagt? Was habe ich gesagt? Rote Flagge! Das ist so unnötig! Ist er okay?" Der viermalige Weltmeister hielt an, um nach Norris zu sehen - der war wohlauf und konnte von seinem Wagen hüpfen, nur sein Ellenbogen schmerzte. Die Qualifikation wurde nach einer Unterbrechung von etwa 45 Minuten fortgesetzt. Doch der Unfall war noch lange ein Thema. Und auch die Schuldfrage stellte sich: Hätte Fia-Rennleiter Michael Masi früher unterbrechen müssen? Wie viel Verantwortung lag bei Norris, der wissentlich ein Risiko eingegangen war? Ist die Eau Rouge zu gefährlich?

Die Eau Rouge ist einer der berühmtesten Streckenabschnitte im Motorsport, hier rasen die Boliden mit einer Geschwindigkeit um die 300 km/h den Berg hinauf - bisweilen selbst im Regen - ohne Sicht darauf, was hinter der Kuppe kommt. Und so faszinierend die Passage ist, so gefährlich kann sie sein. Wenn es hier zu einem Aufprall kommt, landen die Autos von der Begrenzung meist wieder auf der Strecke. Nachkommende Fahrer können nur verzögert reagieren.

Erst am Freitag ereignete sich hier in der W-Series eine Karambolage mit sechs Fahrerinnen, bei der Wagen ineinander knallten und sich teils überschlugen. Glücklicherweise blieben alle unverletzt. Am Samstag krachte es dann auch noch in der Formel 3. Und im Juli kam es hier bei einem 24-Stunden-Rennen zu einem schweren Crash. Jeder Vorfall hatte eine eigene Charakteristik - aber die Gemeinsamkeit der Unfallstelle.

"Bei der Menge der Unfälle müssen wir etwas tun", sagt Daniel Ricciardo

Erinnerungen an den in den vergangenen Jahren tragischsten Unfall an der Eau Rouge kamen auf. 2019 war der Formel-2-Wagen von Anthoine Hubert erst in eine Mauer gekracht, auf die Strecke zurückgeprallt, bevor ihn das Auto von Juan Manuel Correa mit voller Wucht erwischte. Hubert überlebte nicht. Untersuchungen wurden eingeleitet, eine Umgestaltung der asphaltierten Auslaufzone der anschließenden Raidillon-Kurve ist geplant. Sie soll kommendes Jahr abgeschlossen sein. Dadurch soll vor allem mehr Platz geschaffen werden. Eine Option könnten auch Kiesbetten und ein anderer Streckenbegrenzungstyp sein. Die Fahrer konnten die Entwürfe am Freitag einsehen.

"Ich denke, sie sehen sehr gut aus", sagte Red-Bull-Pilot Max Verstappen. "Mit den Veränderungen wird es um einiges besser. Rennfahren wird nie total sicher sein, jeder weiß das. Aber es gibt natürlich schon Dinge bei dieser Kurve, die verbessert werden können." Kritik, die Besonderheit der Eau Rouge würde dadurch womöglich verloren gehen, wies Daniel Ricciardo (McLaren) zurück. "Die Kurve wird immer noch aufregend sein", sagte der Australier. "Aber bei der Menge der Unfälle in letzter Zeit müssen wir etwas tun." So ähnlich äußerten sich auch andere Fahrer. Weltmeister Lewis Hamilton hingegen befand: "Ich denke, sie sollten die Bodenwelle loswerden und Eau Rouge dann so lassen, wie sie ist. Aber sie werden machen, was sie machen. Ich finde nicht, dass man dieses Geld ausgeben muss." Mit dieser Meinung stand er jedoch ziemlich alleine da.

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