Mögliche Absprachen bei der Fußball-EM:"Sie schulden uns ein Nasenbein!"

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Erinnerungen an den legendären Nichtangriffspakt von Gijon: Vor den entscheidenden Spielen in Gruppe C diskutieren Italiener und Spanier die Möglichkeit einer Mauschelei zwischen beiden Teams. Die Spanier geben die Saubermänner - aber ein paar alte Rechnungen mit dem alten Rivalen begleichen möchten sie schon.

von Javier Cáceres

Am Wochenende öffnete Spaniens Nationalelf der Presse die Pforten ihres Hotels in Gniewino. Die Reporter durften dabei auch jenen Saal begutachten, in dem Trainer Vicente del Bosque die Teambesprechung abhält. Eine Tafel stand dort, weiß und unberührt, und das konnte Filippo Maria Ricci, Mitarbeiter der Gazzetta dello Sport, so nicht lassen.

Wer hat hier Stress? Spaniens Trainer Vicente del Bosque (mitte) gibt sich betont entspannt. (Foto: dpa)

Nicht am Vorabend der Partie gegen Kroatien. Er griff zum Filzschreiber (blau!) und hinterließ, im Namen seines Heimatlandes, eine knappe, eindeutige Nachricht: "Ihr lieben spanischen Freunde. Bitte, nicht 2:2!" Gezeichnet: "Italia." Das 2:2 wäre eines jener Resultate, das sowohl Spanier als auch Kroaten an diesem Montag in Danzig weiterbringen würde - und das die Italiener aus dem Turnier befördert. Gleiches gilt für jedes Remis mit noch mehr Toren.

Aber ist diese medial geschürte Angst vor einem Abkommen wie bei der WM 1982 zwischen Deutschland und Österreich gerechtfertigt, als im spanischen Gijón die Algerier durch den deutschen 1:0-Sieg ausgebootet wurden? Ist eine Wiederholung jener Verabredung denkbar, die Dänen und Schweden bei der EM 2004 trafen, als sie mit einem 2:2 die Italiener auf Gruppenplatz drei verbannten?

Nicht, dass die Spanier unbefleckt wären: In der EM-Qualifikation 1984 trotzten sie Malta ein punktgenaues 12:1 ab, bei der WM 2010 in Südafrika gingen sie auf den Nichtangriffspakt ein, den ihnen die Chilenen beim Stand von 2:1 (Endstand 2:1) signalisierten.

Diesmal aber dürften die Dinge doch anders liegen. Natürlich sagen alle Spanier, dass sie gegen Kroatien nur auf Sieg spielen werden: "So wie es unserer Philosophie entspricht" (Verteidiger Gerard Piqué). Trainer Del Bosque, der seinen Vertrag bis 2014 verlängert hat, ist fest davon überzeugt, dass der Aufschwung des spanischen Fußballs auch damit zusammenhängt, dass man Seriosität und Sportlichkeit walten lässt, dass die gern als schelmische Gewitztheit verbrämte Hinterlist von einst überwunden wurde.

"Diese Gruppe hat sich stets korrekt verhalten, auf und neben dem Platz", sagt Del Bosque. "Der Stern wird nicht befleckt", titelte die Sportzeitung Marca in Anspielung auf das fünfzackige Ehrenzeichen überm Wappen, das für den WM-Titel von 2010 steht. Doch tief im Innern des spanischen Wesens kollidieren so manche Gefühle, was jetzt auch von Marca genüsslich nach außen gekehrt wurde.

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Die ganz großen Komplexe gegenüber dem viermaligen Weltmeister Italien liegen zwar seit den jüngsten Triumphen (EM 2008, WM 2010) nicht mehr gar so blank wie einst. Aber ein bisschen quälen würden die Spanier die Italiener schon ganz gerne. In einer Online-Umfrage von Marca votierten 60 Prozent für einen italienfeindlichen Pakt, bei einer Erhebung des Konkurrenzblatts As kamen gar 69 Prozent zustande. Das liegt nicht nur an Schlachten der Vergangenheit wie dem WM-Duell von 1994, als Mauro Tassotti dem spanischen Mittelfeldspieler Luis Enrique mit dem Ellbogen ins Gesicht schlug.

Bis heute singen spanische Fans "Luis Enrique, nos deben un tabique", zu Deutsch: "Sie schulden uns ein Nasenbein." Sondern auch an dem ein oder anderen Scharmützel sportpolitischer Natur. Oft halten die Italiener den Spaniern einen Spiegel vor, und da sehen diese nicht immer elegant aus: Jeder in Italien aufgedeckte Wettskandal erinnert die Spanier daran, dass derartige (Selbst-)Reinigungsprozesse in Spanien undenkbar wären.

Ebenso reiben die Italiener den Spaniern unter die Nase, dass diese bei ihren zahllosen Sport-Erfolgen gelegentlich zu unerlaubten Mittelchen greifen dürften. Im Gegenzug gerieren die Spanier sich gern als Erfinder und Gralshüter der einzigen wahren Form der Ausübung des Fußballsports.

Die Spieler Italiens und Spaniens sind von derartigen Erörterungen einigermaßen weit entfernt. Die Italiener beteuern, dass sie den Spaniern trauen, die Spanier betonen, dass sie sich nicht angesprochen fühlen, denn nur die Medien, nicht aber Italiens Fußballer, hätten den Ausflug zum Konditor unternommen. Es sind die italienischen Gazzetten, die jetzt täglich vom "Biscotto", vom Keks schreiben - ein Bild, das historisch darauf zurückgeführt wird, dass auf dem Hippodrom den Pferden präparierte Kekse untergejubelt wurden, damit sie - wie abgesprochen - langsamer liefen.

Die Spanier wiederum führen für eine mögliche Mauschelei die nicht minder hübsche Metapher vom "pasteleo" - weil man ein Ergebnis anrührt wie den Teig für einen Kuchen (pastel). "Natürlich ist im Fußball auch ein 2:2 ein mögliches Resultat", sagte Sergio Busquets, "aber wenn es sich ergeben sollte, dann doch nicht auf Grundlage eines Pakts!"

In der Tat gibt für die Spanier kaum einen Grund, Italien aus dem Turnier zu keksen; es bringt sie nicht weiter. Italiener und Spanier würden sich frühestens im Finale wiedersehen.

© SZ vom 18.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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