Mick Schumacher in der Formel 1:Plötzlich im weißen Ferrari

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Konkurrent und Vorbild: Kevin Magnussens (rechts) Karriere in der Formel war Ende 2020 eigentlich schon vorbei nach seinem Abschied vom Team Haas. Nun hat Mick Schumacher (links) in ihm einen sechs Jahre älteren Garagennachbarn gewonnen. (Foto: Jerry Andre/Imago)

In seiner ersten Saison durfte sich Mick Schumacher ohne große Erwartungen entwickeln: Sein Auto war langsam, sein Teamkollege talentfrei. Nun hat sich beides schlagartig geändert - und Schumacher muss zeigen, dass er dem gewachsen ist.

Von Philipp Schneider, Dschidda/München

Manchmal wirkt es, als habe Günther Steiner all das, was es zur Erziehung eines Rennfahrers bedarf, in seiner Jugend gelernt. Aufgewachsen ist der Teamchef des kleinen Rennstalls Haas in Südtirol. Umrahmt von den Dolomiten lernte er dort, dass sich für einen Bergsteiger nach einem Aufstieg nicht nur die Perspektive ändert, sondern auch die Gefahr. "Je höher du kommst, desto dünner wird die Luft", sagte Steiner nach dem Saisonauftakt der Formel 1 in Bahrain: "So ist das Leben."

Und weil er mit diesem Ausflug in den verbalen Alpinismus seinen Fahrer Mick Schumacher meinte, gelang es ihm sogar, dass die Floskel geradezu Tiefgang erhielt. Wie auch eine zweite Weisheit, die Steiner schon in jungen Jahren gelernt haben mag, als er in überaus bürgerlichen Verhältnissen aufwuchs, und das als Nachkomme von Bauern aus den umliegenden Tälern, die in Meran eine Metzgerei gegründet hatten: "Diesen Nachnamen im Rennsport zu haben, ist wie im normalen Leben Adeliger zu sein", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Du trägst diesen Nachnamen und musst zeigen, dass du seiner würdig bist. Mick ist damit aufgewachsen und macht das gut."

Meist reichte die Kraft der Haas' gerade für ein Privatrennen am Ende des Feldes

Es ist erst ein Rennen gefahren in dieser Saison, aber bei Steiner und seinem Team streift die Stimmungslage derzeit die Euphorie. Der Grund ist das neue Auto, das allem Anschein noch besser ist als erhofft. Kevin Magnussen steuerte es in Bahrain auf Platz fünf. Er rauschte tatsächlich gleich hinter den beiden Ferraris und Silberpfeilen ins Ziel. Angesichts dessen, dass die zwei Haas im Vorjahr ihre Saison als Klassenschlechteste beendet hatten, entsprach diese Leistungssteigerung einem kleinen Wunder. Einem, das nun auch abstrahlt auf Magnussens Teamkollegen: Denn Mick Schumacher, der das Pech hatte, von Esteban Ocon auf der Strecke gedreht zu werden, wurde in demselben Auto nur Elfter. Alles halb so wild, sagt Schumacher vor dem zweiten Rennen an diesem Sonntag (19 Uhr MEZ) in Saudi-Arabien: "Im letzten Jahr hätten wir nicht mal von Rang elf zu träumen gewagt."

In der Tat. Und der Grund war ein ungeheuerlich wagemutiges Experiment, das Steiner im Vorjahr veranstaltete. Er ließ zwar seine zwei Rookies Nikita Masepin und Schumacher vordergründig teilnehmen am Wettbewerb. Sie waren physisch anwesend, festgeschnallt auf ihren Sitzen, drehten Kreise, lernten Rundkurse auf der ganzen Welt kennen. Und auch das Rennfahren. Zumindest ein bisschen. Denn meist reichte die Kraft der Haas gerade mal dafür aus, dass Schumacher und Masepin ein Privatrennen am Ende des Feldes veranstalten konnten (das Schumacher fast immer für sich entschied).

Zugleich aber verweigerte Steiner seinen Ingenieuren die Teilnahme am Wettbewerb der Gegenwart. Während die anderen Teams fleißig neue Teile brachten und ihre Autos optimierten, ließ Steiner den lahmen Haas einen lahmen Haas sein. Sämtliche Kräfte bündelte er für die Entwicklung des neuen Autos, das endlich mal ein "weißer Ferrari" sein sollte. So wird der Haas im Fahrerlager spöttisch bezeichnet. Oder gar "Moby Dick" - wie der berühmte weiße Wal aus dem Roman von Herman Melville. Weil Haas nicht nur den nach zwei dürren Jahren neuerdings wieder formidablen Motor in Maranello bezieht - sondern das Team zu Ferrari grundsätzlich eine engere Kooperation unterhält als die anderen Kundenteams zu ihren Zulieferern.

Kaum wiederzuerkennen: Der neue Haas wird im Fahrerlager bereits "Weißer Ferrari" oder "Moby Dick" genannt. (Foto: Carl Bingham/Imago)

Und so gab es eine bohrende Frage, die man sich stellen musste am Ende von Schumachers erstem Jahr in der Formel 1: Wer oder was war eigentlich weniger wettbewerbsfähig - sein Dienstwagen oder sein Teamkollege?

Nikita Masepin war nicht der erste Paydriver in der Formel 1 und er wird auch nicht der letzte bleiben. Reiche Väter, die das fehlende Talent ihrer Söhne mit Geld ausgleichen und ihnen Cockpits und Rennställe kaufen, sind Symptom einer trotz Budgetdeckelung noch immer aufgeblähten Formel 1. Aber die Geschwindigkeit, in der sich Steiner und Rennstallbesitzer Gene Haas nach der Invasion Russlands in der Ukraine erst von Sponsor Dimitri Masepin trennten - der Düngemittel-Milliardär ist so eng verbandelt mit Wladimir Putin, dass er noch nach Beginn des Krieges im Kreise weiterer Lieblingsoligarchen in den Kreml geladen wurde - und dann auch von dessen Sohn als Fahrer, ließ nicht darauf schließen, dass sie russischem Geld oder Fahrkünsten hinterherweinen würden.

Er müsse nun Leistung zeigen, sagt Schumacher, "es gibt noch 22 Gelegenheiten dafür"

So aber kommt es, dass sich Schumacher nun mit dem sechs Jahre älteren Magnussen messen muss. Einem Veteran, der in seinem achten Jahr in der Formel 1 eine dreistellige Zahl an Grand Prix absolviert hat. Zudem einem Veteran der letzten Plätze, was sich schon auch mit seinen stets wenig konkurrenzfähigen Autos entschuldigen lässt. Nicht zu vergessen aber einem Haas-Veteran, den Steiner Ende 2020 eigentlich schon für alle Zeiten fortgeschickt hatte und nun spontan nach einem einjährigen Rennfahrerurlaub wieder zurück holte. Magnussens sportlicher Höhepunkt 2021 war Platz 29 beim 24-Stunden-Klassiker in Le Mans.

Der lahme Haas und der talentfreie Masepin bildeten ein heimeliges Habitat, das wie geschaffen war, um einen jungen Rennfahrer mit rennfahreradligem Nachnamen an die Härten der Formel 1 heranzuführen. Einem Zirkus, der keine Schwäche verzeiht, wenn die Leistung nicht stimmt. Dieser Schutzschild bröckelt. Weil Schumacher jetzt die dünne Höhenluft schnuppert, das ein Auto erreicht, "von dem wir glauben, dass es konstant ist und auch in anderen Rennen zu den Top Fünf gehört". Schumacher weiß selbst, dass er liefern muss. "Ich werde Leistung zeigen müssen", sagt er: "Es gibt noch 22 Gelegenheiten dafür."

Bei seinem Teamkollegen, das hat Schumacher angekündigt, will er sich einiges abschauen. Magnussen besteche durch seine Fähigkeit, mit allem zurechtzukommen, "was er unter dem Hintern hat". Der Däne ist für ihn Bedrohung und Chance zugleich. Denn sollte es Schumacher gelingen, sich nicht dauerhaft von Magnussen vorführen zu lassen, sondern auf Augenhöhe mit ihm zu rasen, so könnte ihm damit eine Bewerbung für andere Cockpits gelingen.

Wobei sein Onkel Ralf schon vor dem Saisonstart im SZ-Interview über die etwas knifflige Karriereplanung seines Neffen gesprochen hatte. Der Weg zu Ferrari, ahnte er, scheint dem 23-Jährigen mittelfristig versperrt, nachdem Teamchef Mattia Binotto nicht nur Charles Leclerc bis einschließlich 2024 an sich gebunden hat, sondern auch Carlos Sainz einen ebenso langfristigen Vertrag angeboten hat. "Aber wer weiß", sagte Ralf Schumacher mit wissendem Lächeln, "vielleicht ist der Haas ja so gut in der Zusammenarbeit mit Ferrari geworden, dass sich die Frage gar nicht mehr stellt. Dann ist es ja nicht schlimm, wenn man das ein paar Jahre lang macht."

So ändern sich die Zeiten. Im Vorjahr war der Haas noch ein Auto, vor dem einer schreiend davonlaufen wollte. Jetzt, da sein Vertrag mit Günther Steiner Ende des Jahres endet, ist er plötzlich ein begehrter Wagen, ein weißer Ferrari, in dem Mick Schumacher sein Talent beweisen kann. Und auch muss.

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