American Football:Anders als die knorrigen Knochen

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Mag die Offensive: Mike McDaniel und die Miami Dolphins sind ein heißer Kandidat für den Einzug in das Super-Bowl-Finale im kommenden Jahr. (Foto: Rebecca Blackwell/AP)

Sein Markenzeichen ist der Schlabberpulli, sein Ziel ist der Super-Bowl-Sieg: Mike McDaniel lenkt die Miami Dolphins mit Finesse und Mut - und steht für eine neue Generation an Coaches.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

"Ich weigere mich, das als Realität zu akzeptieren." Das war die Reaktion von Mike McDaniel darauf, dass sich zum US-Gruselfest Halloween Kinder als, nun ja, er verkleidet hatten: Sie trugen Schlabber-Kapuzenpulli und Nerd-Sonnenbrille, wie es der Trainer der Miami Dolphins bei Spielen seines Teams tut, und dann rannten sie, so schnell sie konnten - so wie McDaniel zu Beginn der Halbzeitpause nach dem obligaten TV-Interview zur Umkleidekabine spurtet. Der Satz ist ein typischer McDaniel-Satz: selbstironisch, ein wenig naiv, mit augenzwinkerndem Grinsen. Noch so ein McDaniel-Satz, den er nach einer Niederlage kürzlich sagte: "Ich will das kein schlechtes Spiel nennen, eher: Hut ab vor uns, dass wir eure Erwartungen so weit nach oben geschraubt haben."

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Die Erwartungen sind riesig, die Dolphins sind nicht erst seit dem 30:0 am Sonntag gegen die New York Jets der "Liebling der Neutralen" - also das Team, das jene Fans jetzt anfeuern, die beim Footballschauen oft mit der Zunge schnalzen wollen. In den vergangenen vier Jahren waren das oft die Kansas City Chiefs, die in dieser Zeit zwei Mal den Super Bowl gewannen (2020, 23). Diesmal sind es die Dolphins, und das hat viel mit diesem 40 Jahre alten McDaniel zu tun, der offenbar nicht wahrhaben will, was mit ihm passiert. Der Yale-Absolvent (Hauptfach Geschichte; Abschlussarbeit über die Deals, die aus der US-Profiliga NFL gemacht haben, was sie heute ist) könnte seine Laufbahn mit eben diesem Satz beschreiben: "Ich weigere mich, das als Realität zu akzeptieren."

Als wäre er die ganze Nacht in der Halle - Trainer McDaniel wirkte wie ein Besessener

McDaniel begann 2005, mit 22, als Praktikant bei den Denver Broncos; ein Jahr später wurde er bei den Houston Texans Assistent des damaligen Quarterback-Trainers Troy Cahoun. "Er ist wie ein Schwamm, der nie voll wird", sagt Cahoun nun zur SZ über McDaniel: "Du gehst als Trainer um 23 Uhr heim, und wenn du am nächsten Morgen um sechs auf der Matte stehst, denkst du: 'Ach herrje, der Typ war die ganze Nacht hier!'"

Ein paar Jahre lang tingelte McDaniel als Assistent durch die NFL, bei sechs verschiedenen Teams lernte er von den Trainern Mike Shanahan, Gary Kubiak, Matt LaFleur, Sean McVay, Kyle Shanahan, Mike Pettine und Dan Quinn. Es ist, als würde man einen Schwamm, der niemals voll wird, in einige der nahrhaftesten Gewässer tauchen, die Football zu bieten hat - und spätestens seit 2017, als er fürs Laufspiel der San Francisco 49ers verantwortlich war, durfte er zeigen, was passiert, wenn man diesen Schwamm wieder ausquetscht: Offensiv-Spektakel. 2021 wurde er Offensiv-Chef der 49ers, ein Jahr später holten ihn die Dolphins als Cheftrainer - obwohl er davor noch nie als Head Coach gearbeitet hatte.

McDaniel steht symbolisch für eine neue Generation Cheftrainer in der NFL: Sie sind die Abkehr von knorrigen Knochen wie etwa Bill Belichick (New England Patriots), die das Mantra "Defensive gewinnt Meisterschaften" verkörpern. Leute wie McVay - den die Los Angeles Rams 2017 als 30-Jährigen zum Head Coach machten und die 2022 den Titel holten - und McDaniel stehen für Offensiv-Spektakel, gerne riskant und kreativ. Die Spezialität von McDaniel ist Effizienz beim Laufspiel, und natürlich hat er bei den Dolphins in Veteran Raheem Mostert, 31, und Neuling De'Von Achane, 22, ein nahezu perfektes Paar dafür. In der Statistik "Yards pro Laufspielzug" liegen die Dolphins auf Platz eins.

Diese Effizienz ist die Grundlage fürs Passspiel, da hilft es McDaniel, dass Spielmacher Tua Tagovailoa die Höhe seines Schaffens erreicht hat und sich mittlerweile fast blind - das ist in der NFL auch nötig - mit Tyreek Hill versteht, einem der besten Wide Receiver der Geschichte. Gewöhnlich stellen sich beim Football alle vor Beginn des Spielzugs auf und verharren dort - hin und wieder bewegt sich ein Offensivspieler. "In Motion" nennt man das, und man könnte sagen, dass bei den Dolphins dauernd einer oder mehrere Leute in Bewegung sind. Das erschwert das Timing für die gegnerische Defensive, aber auch die Prognose, was passieren wird.

Als ein Reporter kürzlich anmerkte, wie kompliziert die Spielzüge der Dolphins geworden seien und wie präzise die Ausführung, sagte McDaniel: "Wie toll ist das? Sie wissen, wovon Sie reden!" Als der Reporter noch mehr Details wissen wollte: "Jetzt sind Sie aber am Angeben!"

Die Niederlage der Vorwoche war ein Schlag in die Magengegend - doch nun hatten die Spieler Spaß

Das ist der Stil von McDaniel: fachkundig, freundlich, stets mit einem kleinen Witz und bei allem Denksport in dieser Disziplin mit Verständnis für menschliche Aspekte. Als die Dolphins zu Beginn der Saison 70 Punkte gegen die Denver Broncos erzielt hatten und noch drei weitere zum NFL-Rekord brauchten, ging McDaniel bewusst nicht auf Punktejagd, "weil es keinen Einfluss auf die restliche Saison gehabt hätte". Am Sonntag jedoch drückte er trotz deutlichen Vorsprungs weiter aufs Gas: "Weil diese Niederlage der Vorwoche ein Schlag in die Magengegend war, es gab einige Fragezeichen. Jetzt durften die Jungs Spaß haben am Footballspielen, weil der Druck weg war."

McDaniel hatte auch kein Problem damit, dass Hill gerne ein individuelles Ziel (2000 Yards Raumgewinn) erreichen wollte; am Sonntag ließ er ihn aber wegen des lädierten Knöchels lieber die komplette Spielzeit über auf der Bank, der Rekord ist damit so gut wie unerreichbar geworden: "Er ist so wichtig für uns, da werden wir nichts riskieren."

Das große Ziel ist natürlich der erste Super Bowl seit 50 Jahren. Die Frage vor den letzten Spielen der regulären Saison, allesamt gegen Mit-Favoriten (Dallas Cowboys, Baltimore Ravens, Buffalo Bills): Kann McDaniel nun - wie McVay 2022 die Rams - sein Team zum großen Titel führen? Die Antwort des einstigen Chefs Cahoun: "Ein lautes, ein deutliches: Ja!" Es würde niemanden überraschen, wären die Dolphins im Februar in Las Vegas beim Super Bowl dabei - außer vielleicht McDaniel. Der würde wohl sagen: "Ich weigere mich, das als Realität zu akzeptieren."

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