Marco Reus beim DFB:Verhinderter Weltmeister

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Marco Reus: 25 Jahre alt, 22 Länderspiele, verhinderter Weltmeister. "Ich denke über die vergangenen Wochen nicht mehr nach", sagt er. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Wie ein Sechser im Lotto, wenn man den Schein nicht abgegeben hat: Nachdem Marco Reus die WM verpasst hat, will er im EM-Zyklus zu einer prägenden Figur der Nationalelf aufsteigen. Das Qualifikationsspiel in Dortmund bietet dazu die beste Gelegenheit.

Von Ulrich Hartmann, Kamen

Der 6. Juni 2014 war der schlimmste Tag im Leben des Fußballers Marco Reus. "Absolut deprimierend", sagt Reus, der die Öffentlichkeit normalerweise eher nicht in seine Seele blicken lässt. An jenem Freitagabend spielte die deutsche Nationalmannschaft in Mainz gegen Armenien.

Am nächsten Tag ging der Flieger zur Weltmeisterschaft nach Brasilien. Um 21.29 Uhr knickte Reus um. Das Syndesmose-Band in seinem linken Fuß riss, auch das Fersenbein geriet in Mitleidenschaft. Die Nationalspieler fuhren zum Flughafen. Reus musste ins Krankenhaus.

"Jammern hilft nichts"

Einen Monat später wurde Deutschland in Rio de Janeiro Weltmeister, Marco Reus saß daheim in Dortmund. Kurz nach dem Abpfiff machte er den Fernseher aus und ging ins Bett. Er hatte wegen eines einzigen unglücklichen Moments an jenem 6. Juni in Mainz nicht nur seine erste WM verpasst, sondern auch die historische Chance, Weltmeister zu werden. Das ist wie ein Sechser im Lotto - wenn man vergessen hat, den Schein abzugeben.

An diesem Sonntag absolviert Reus sein 23. Länderspiel. Das erste Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft 2016 in Frankreich ist für ihn ein Neuanfang. Es ist sein erstes Länderspiel überhaupt in seiner Heimatstadt Dortmund. Der Weg, der mit der Partie gegen Schottland beginnt, soll im EM-Finale 2016 in Paris enden. Reus will und muss ihn vollständig mitgehen. Es ist eine neue Ziehung, ein neuer Lotto-Schein. "Jammern hilft nichts", sagt er, "ich denke über die vergangenen Wochen nicht mehr nach - das Leben geht weiter." Und er ist ja auch erst 25 Jahre alt.

Reus ist im Dortmunder Stadtteil Körne aufgewachsen. Mit sechs kam er zur Borussia und durchlief zehn Jahre lang sämtliche Juniorenteams des BVB. Doch den Verantwortlichen erschien er zu schmächtig für eine verheißungsvolle Karriere. Also wechselte er 2005 in die A-Jugend von Rot-Weiß Ahlen. Das westfälische Städtchen liegt 50 Kilometer nordöstlich von Dortmund, aber Reus' vielversprechende Entwicklung dort erkannten nicht die Dortmunder, sondern Mönchengladbachs Sportdirektor Max Eberl.

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Er verpflichtete Reus 2009 für eine knappe Million Euro und musste sich dafür rechtfertigen, für einen unbekannten Zweitliga-Fußballer dermaßen viel Geld ausgegeben zu haben. Drei Jahre später verkauften die Gladbacher den frischen Nationalspieler Reus - aufgrund einer Ausstiegsklausel - für 17,5 Millionen Euro an Dortmund.

Der Fußballer Reus (Niederländisch für "Riese") ist seit 2009 eine Aktie mit ständig steigendem Wert. Eine auf 25 Millionen Euro taxierte Ausstiegsklausel soll in seinem aktuellen Vertrag mit Borussia Dortmund formuliert sein. Verraten hat das zumindest Bayern Münchens Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge. Er hat in Dortmund damit einigen Zorn entfacht.

Für 25 Millionen wäre Reus ein Schnäppchen, etwa im Vergleich zu jenen 75 Millionen, für die der Argentinier Ángel di María soeben von Real Madrid zu Manchester United gewechselt ist. Die Dortmunder wollen ihn unter keinen Umständen abgeben. Reus selbst (67 Tore in 161 Bundesliga-Spielen) hält sich bedeckt. Sein Vertrag gilt bis 2017. Treueschwüre an seinen Herzensklub in seiner Heimatstadt formuliert er derzeit vorsichtshalber nicht.

Die Fans werden Reus am Sonntagabend trotzdem einen begeisterten Empfang bereiten. "In diesem Stadion herrscht immer eine phantastische Atmosphäre", sagt er mit leuchtenden Augen. Zum ersten Mal seit dreieinhalb Jahren spielt die deutsche Nationalmannschaft wieder in Dortmund. Mehr als 60 000 Zuschauer werden erwartet. "Wir wissen sehr gut, dass wir am Sonntag besser spielen müssen als letzten Mittwoch gegen Argentinien", sagt Marco Reus. "Die Schotten machen die Räume dicht, das wird nicht einfach für uns, wir werden Geduld brauchen."

Reus ist einer jener Spieler, die diese Räume finden und öffnen müssen. Er wird links oder zentral spielen und er hat das Gefühl, nach seiner mehr als zwei Monate dauernden Verletzungspause schon wieder richtig gut aufgelegt zu sein. Er sieht sich bereits wieder in einer Hauptrolle als Antreiber. "Mit jedem Länderspiel übernimmt man mehr Verantwortung", sagt er und fühlt sich nach den Rücktritten von Philipp Lahm, Per Mertesacker und Miroslav Klose schon als einer der Etablierten.

Seit Freitag ist die Nationalelf in der Sportschule Kaiserau in Kamen, östlich von Dortmund. Gegen Schottland gilt es, das 2:4 gegen Argentinien vergessen zu machen. Der WM-Titel macht die Sache nicht leichter. Einige Spieler sagen, man müsse jetzt ausblenden, dass man Weltmeister sei. Vielleicht ist das ein winziger Trost für Reus: Er ist kein Weltmeister, er muss nichts ausblenden.

© SZ vom 06.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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