Lukas Märtens schaute auf die Anzeigetafel, eher suchend, und dann fand er sich: Auf Platz zwei über die 400 Meter Kraul, im ersten Finale der Schwimm-Weltmeisterschaft in der lärmenden Budapester Duna-Arena. Silber also, bei seiner WM-Premiere. Märtens ist damit der erste deutsche Schwimmer seit Bronze-Gewinner Paul Biedermann 2011 in Schanghai, der auf dieser Strecke WM-Edelmetall holt. Er hat also einige Superlative hervorgebracht an diesem Samstagabend, dabei hatten sich vor ein paar Monaten selbst viele Experten noch gefragt: Märtens, wer ist das? Auf der Rechnung hatten ihn da noch die wenigsten.
Der Trainingspartner von Langstrecken-Titelkandidat Florian Wellbrock war dann aber doch aufgefallen mit drei Weltjahresbestzeiten, neben den 400 auch über 800 und 1500 Meter Freistil. Im Frühjahr war er in Stockholm in 3:41,60 Minuten gar bedrohlich nahe an den 400-Meter-Weltrekord von Paul Biedermann herangeschwommen - eine Bestmarke, die Märtens irgendwann brechen möchte. Weltweit war seit fünf Jahren niemand schneller als er gewesen auf dieser Strecke. Am Samstag schlug Märtens dann in immer noch sehr guten 3:42,85 Minuten an.
Der 20-Jährige ballte bei der Siegerehrung kurz die Fäuste - und wirkt ansonsten so cool, als hätte er schon fünf bis zehn WM-Titel gewonnen. Erschöpft wirkte er allerdings auch, in der Mixed-Zone, die die tropfnassen Schwimmerinnen und Schwimmer nach den Rennen im Zickzack durchlaufen müssen auf ihrem Weg in den Athletenbereich, sagte er schwer atmend: "Es ist unbeschreiblich, ich bin super zufrieden mit der Zeit." Irgendwie klang das trotzdem so, als hätte er noch etwas vor bei diesen Titelkämpfen - und als wäre er eben doch nicht ganz zufrieden mit seinem ersten Rennen.
Dort war Märtens mit dem späteren Goldgewinner Elijah Winnington aus Australien vorneweg geschwommen, bei der letzten Wende hatte der Deutsche gar vorne gelegen. Doch auf den abschließenden 50 Metern verließ ihn die Kraft - aber da war der Vorsprung vor den Konkurrenten schon so groß, dass Märtens' Silbermedaille nicht mehr in Gefahr geriet. "Ich wollte nochmal alles reinhauen die letzten 50, aber meine Beine waren komplett zu. Das passiert manchmal auf dem Level, dass man da einbricht. Aber davor war es richtig schnell, richtig gut", sagte der Magdeburger.
Seine Freundin Isabell Gose konnte das nicht von sich behaupten, sie war sehr unglücklich über ihren fünften Platz über die gleiche Strecke, auf der sie eine halbe Stunde später gestartet war. Immerhin konnte sie sich über den Erfolg ihres Lebenspartners freuen: "Erwärmung musste ich nicht mehr machen. Ich bin da auf und ab gesprungen", sagte die 20-Jährige.
Dass Märtens sich so stark entwickelt hat, hängt vor allem mit seiner Trainingsgruppe zusammen, in der nicht nur der Weltmeister und Olympiasieger Wellbrock schwimmt, sondern auch ein anderer Spitzenschwimmer: Michailo Romantschuk, der vor dem Krieg in seiner Heimat Ukraine geflüchtet ist und von Wellbrock trotz der großen Rivalität in die Gruppe aufgenommen wurde. Märtens, der seit drei Jahren zusammen mit Wellbrock trainiert, profitiert enorm von dieser ungewöhnlichen Konstellation. "Ich habe in Magdeburg ein tolles Umfeld", hatte Märtens der SZ noch vor der WM gesagt - und auch sein Vorbild Wellbrock gelobt: "Er hat gesehen, dass ich einen guten Willen und viel Talent habe und mich mitgezogen."
Außerdem hat er seine Lehren aus den Spielen in Tokio gezogen, die keine gute Erfahrung für ihn waren: In allen drei Vorläufen seiner Einzelrennen war Märtens ausgeschieden. In Budapest schwamm er dagegen in 3:45,04 Minuten als Viertplatzierter sicher ins 400-Meter-Finale. Und nach seiner Glanzleistung dort blickte Bundestrainer Bernd Berkhahn schon voraus - für ihn ist Märtens sogar einer für mehr bei diesen Titelkämpfen: "Er hat gerade richtig Schmerzen und soll morgen 200 Meter Kraul schwimmen. Wir müssen ihn also jetzt fit bekommen, und nur darum geht es." Nicht so sehr für die 200 Meter, aber wie Märtens noch sagte, "die 800 und 1500 Meter gehe ich richtig an, dass ich da vielleicht noch mal eine Medaille hole".
Nicht ganz so gut war es derweil für den zweiten DSV-Starter Henning Mühlleitner gelaufen, er war als Elfter knapp im Vorlauf ausgeschieden. Aber es kann eben nicht jeder so auftreten wie Lukas Märtens - jener Mann, den vor ein paar Monaten noch kaum jemand kannte.