Krise in Spaniens Frauenfußball:Chaos ohne Ende

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Als Beschuldigter geladen: Ex-Verbandschef Luis Rubiales trifft am Obersten Gerichtshof in Madrid ein. (Foto: Isabel Infantes/Reuters)

Spaniens Frauenfußball bleibt im Bann der Rubiales-Affäre: Der frühere Verbandschef sagt vor dem Obersten Gerichtshof als Beschuldigter aus - 21 von 23 Weltmeisterinnen wollen das Nationalteam boykottieren.

Von Javier Cáceres, Berlin

Keine vier Wochen nach dem Sieg im WM-Finale von Sydney gegen England (1:0) gleicht Spaniens Frauenfußball weiter einem Pulverfass mit diversen Lunten. Fast 40 Topspielerinnen teilten dem Verband RFEF und auch der Öffentlichkeit am Freitag mit, dass sie am Boykott des Nationalteams festhalten wollen, den sie im August, kurz nach Ausbruch der Affäre um den am Montag zurückgetretenen Verbandschef Luis Rubiales, erklärt hatten. Unter anderem wird die Demission des Interimspräsidenten Pedro Rocha verlangt.

Nachdem es noch am Vormittag geheißen hatte, dass der Boykott von allen 23 Mitgliedern des spanischen WM-Kaders mitgetragen werde, scherten dann aber zwei Spielerinnen aus: Athenea del Castillo und Claudia Zornoza (beide Real Madrid) unterschrieben die Mitteilung ihrer Kolleginnen nicht, Zornoza gab außerdem ihren Rücktritt aus der Nationalmannschaft bekannt. Unterdessen wies der Verband die Rücktrittsforderungen gegen Rocha zurück. Rocha werde den Übergang moderieren, teilte der RFEF am Freitagabend mit.

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Auch nach seinem überraschenden Rücktritt als als Fußball-Verbandschef bleibt Spaniens Justiz Luis Rubiales auf den Fersen. Im Verband herrscht Erleichterung - und Verärgerung.

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Parallel dazu musste der am Montag wegen der "Kuss-Affäre" zurückgetretene Rubiales, 46, vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid als Beschuldigter aussagen. Die Staatsanwaltschaft wertete den längst berühmten Kuss, den er der Weltmeisterin Jenni Hermoso, 33, bei der Siegerehrung auf die Lippen gedrückt hatte, als sexualisierten Übergriff und will ihn auf der Anklagebank sehen. Ein weiterer Vorwurf: Nötigung. Rubiales bestritt die Vorwürfe. Ein Untersuchungsrichter entschied am Freitagnachmittag, dass sich Rubiales der Fußball-Nationalspielerin nur noch bis auf 200 Meter nähern darf. Staatsanwaltschaft und Hermosos Anwältin hatten einen Abstand von 500 Metern verlangt. Der Richter lehnte außerdem den Antrag der Staatsanwaltschaft ab, Rubiales zusätzlich zu verpflichten, sich alle 15 Tage bei einem Gericht zu melden. Auch das Vermögen von Rubiales wurde nicht vorsorglich beschlagnahmt.

Dem nun entlassenen Trainer werfen viele Spielerinnen Kontrollwahn und Unfähigkeit vor

Der Freitag war aber vor allem vom Chaos rund um das Frauenteam geprägt - und von den Problemen der neuen Nationaltrainerin Montse Tomé, ein Team für die anstehenden Nations-League-Spiele in Schweden (22.9./Göteborg) und gegen die Schweiz (26.9./Córdoba) zu nominieren. Die ursprünglich für 16 Uhr angesetzte Kaderbekanntgabe wurde am Freitagnachmittag bis auf Weiteres verschoben. In diesen Spielen geht es unter anderem um die Qualifikation für die Sommerspiele 2024 in Paris. Spanien hat noch nie mit einem Frauen-Fußballteam an einem Olympiaturnier teilgenommen.

Zu den Besonderheiten der Lage zählt, dass spanische Staatsangehörige gesetzlich verpflichtet sind, offizielle Rekrutierungen für Nationalmannschaften zu befolgen. Eine Verweigerung patriotischer Dienste kann unter anderem Sperren von zwei bis fünfzehn Jahren, eine Geldbuße von bis zu 30 000 Euro pro Spielerin und auch das Verbot umfassen, Sportstätten zu betreten. Mit diesen Klauseln soll insbesondere möglichen Boykotten spanischer Nationalteams durch Sportler aus Regionen wie dem Baskenland und Katalonien entgegengewirkt werden, in denen es starke separatistische Strömungen gibt.

Spaniens Elitespielerinnen hatten sich am späten Donnerstagabend in einer Videokonferenz getroffen- und sich weit nach Mitternacht angeblich auf ein gemeinsames Manifest geeinigt. Zu den Teilnehmern der Konferenz zählten die 23 Weltmeisterinnen, zwölf Spielerinnen, die vor einem Jahr gegen den Tomé-Vorgänger und späteren Weltmeister-Trainer Jorge Vilda rebelliert hatten und nicht zur WM gefahren waren, weitere Profis sowie Vertreterinnen der Fußballerinnen-Gewerkschaft Futpro. Besagtes Kommuniqué sollte ursprünglich am Freitagmorgen veröffentlicht werden. Doch das verzögerte sich bis in den Nachmittag hinein. Die gemeinsame Front bröckelte.

Die Nationalspielerinnen fordern weitere Konsequenzen im Verband

Die überwältigende Kritik blieb freilich bestehen. Die Weltmeisterinnen sind unzufrieden, wie der Verband die Rubiales-Affäre bislang aufarbeitet. Rubiales hatte erst nach langem Zögern - und unter Lügenvorwürfen gegen Hermoso - am vergangenen Montag eingewilligt, seinen Platz an der Spitze der RFEF frei zu machen. Wenige Tage zuvor hatte Tomé den lange vor der WM umstrittenen Coach Vilda ersetzt. Ihm war im vergangenen Jahr von insgesamt 15 Spielerinnen Kontrollwahn und Unfähigkeit als Trainer vorgeworfen worden.

In ihrem Kommuniqué forderten die Spielerinnen weitere personelle Konsequenzen im Verband - und eine "Null-Toleranz-Politik" gegen jene Personen, die selbst "Haltungen gezeigt, angestachelt, unter den Teppich gekehrt oder applaudiert" haben, die sich "gegen die Würde der Frau richten".

Unter anderem fordern sie neben der Ablösung des Interimspräsidenten die "Restrukturierung" des Frauenfußballs, des Präsidiums und der Kommunikationsabteilung. Sowohl Rocha wie auch Generalsekretär Andreu Camps galten als wichtigste Vertraute von Ex-Präsident Rubiales. Mitarbeiter der Presseabteilung gerieten ins Visier, weil ihnen vorgeworfen wird, Hermoso beschwichtigende Zitate zum berühmten Kuss von Rubiales in den Mund gelegt und ohne ihr Wissen an spanische Nachrichtenagenturen geschickt zu haben. Die betroffenen Mitarbeiter weisen die Vorwürfe zurück.

In jedem Fall seien die bisherigen personellen Veränderungen im Verband nicht ausreichend, um den Spielerinnen das Gefühl zu geben, "an einem sicheren Ort" zu sein, "wo Frauen respektiert werden, auf den Frauenfußball gesetzt wird und wir unsere Leistung maximal abrufen können", hieß es im Kommuniqué.

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