Überfall auf Lyons Mannschaftsbus:Pflastersteine, Blut, blanker Hass

Lesezeit: 3 min

Ungewöhnliches Empfangskomitee: Die Feuerwehr steht bei der Ankunft des Busses von Olympique Lyon bereit - die rechte vordere Scheibe ist zerschmettert. (Foto: Christophe Simon/AFP)

Kurz bevor die Mannschaft von Olympique Lyon im Stadion in Marseille ankommt, geht ein Steinhagel auf den Teambus nieder. Trainer Fabio Grosso wird verletzt - und in Frankreich sind bekannte Reflexe zu beobachten.

Von Oliver Meiler, Paris

Die Bilder von Fabio Grosso werden wohl bleiben, wie ein Fanal - als "Point de non retour", wie die große französische Sportzeitung L'Équipe schreibt, vom Punkt also, von dem es kein Zurück mehr gibt. Tatsächlich? Hat man das nicht schon oft gehört?

Vor dem Fußballspiel zwischen Olympique Marseille (OM) und Olympique Lyonnais (OL) am Sonntagabend im Stade Vélodrome hat eine Gruppe mutmaßlicher Ultras von Marseille den Teambus der Gästemannschaft aus Lyon angegriffen: mit Pflastersteinen, mit Wurfobjekten aller Art. Zwei doppelt verglaste Scheiben auf der rechten, vorderen Seite des Busses zerbrachen, an einem der Fenster saß Grosso, der Trainer der Lyonnais. Das Foto seines blutüberströmten Gesichts sollte gleich darauf um die Welt gehen.

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Als sähe diese Welt nicht schon genug verstörende Bilder von Gewalt und Krieg, stand also einigen sogenannten Fans der Sinn nach einem Überfall aus blankem Hass, nicht zum ersten Mal. Im Vélodrome saßen 65 000 Zuschauer. 600 Gästefans waren auch da, die Behörden hatten ihre Anreise erlaubt, obschon es in Vergangenheit oft Probleme gegeben hatte, gerade mit Steinwürfen.

In Frankreich nennen sie die Begegnung zwischen den zwei Vereinen, die das Olympische in ihrem Namen tragen, "Olympico" - eine lautmalerische Abwandlung vom berühmteren und anderweitig vergebenen "Clásico". OM gegen OL ist auch eine Art Klassiker. Die beiden Städte, die sich um den Titel der zweitgrößten und zweitwichtigsten Stadt im Land messen, weit abgeschlagen von Paris natürlich, leben auch auf den Rängen eine denkwürdige gegenseitige Gehässigkeit aus.

"Das ist nicht Sport, das ist nicht Fußball", sagt der Bürgermeister von Marseille

Diesmal steckte im "Olympico" eine besondere Note. Bei den Marseillais steht alles Kopf, weil die sportlichen Leistungen mal wieder nicht konstant genug die immer überrissenen Ambitionen erfüllen; vor allem aber legt sich ein Teil der Anhängerschaft ziemlich frontal mit der Vereinsführung an, mit absurden Blüten eines verwunderlichen Machtkampfs. Die Lyonnais wiederum, einst sehr erfolgsverwöhnt, wissen gar nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht: OL, das mittlerweile Amerikanern gehört, ist gerade Letzter der Ligue 1. Drei Punkte aus neun Spielen, drei Unentschieden.

Darum haben sie Grosso aus Italien geholt, wo er einige Jahre Frosinone Calcio gecoacht hatte, als hoffnungsfrohen Aufmunterer. Auch OM hört seit Kurzem auf einen Italiener, auf Gennaro "Rino" Gattuso. Der "Olympico" sollte auch das sein, ein kleines Duell zweier Weltmeister von 2006, ein Treffen zweier alter Freunde.

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Grosso saß in einer der vorderen Sitzreihen im Bus, am Fenster, als der nur noch wenige Meter vor dem Stadion entfernt war und der Steinhagel einsetzte. Offenbar traf ihn auch eine Bierflasche. Über seiner linken Augenbraue klaffte eine drei Zentimeter lange Schnittwunde, die sie später mit zwölf Stichen nähen mussten. Auch sein Vize Raffaele Longo wurde verletzt. Zunächst machte es den Anschein, als wollte man die Begegnung trotzdem austragen. Doch drei Minuten vor Spielbeginn, als die Bilder Grossos sich schon über die sozialen Medien verbreiteten, verkündete der Stadionsprecher deren Annullierung.

Grosso war so schockiert über den Vorfall, dass er nicht imstande gewesen wäre, seine Funktion am Rand des Feldes auszufüllen. Eine Weile lang fragte man sich, ob er eine Hirnerschütterung erlitten hatte. "Er war nicht mehr ganz licht", sagte John Textor, der Präsident des Vereins, er habe versucht, mit ihm zu reden. Grosso habe Glasscherben im Gesicht gehabt. Für solche Fälle "psychischer oder physischer" Verhinderung eines Hauptakteurs sieht das Reglement vor, dass Spiele abgesagt werden können. Grosso wandte sich mit viel Verbandszeug um den Kopf an seine Spieler, beruhigte sie und wurde ins Krankenhaus gebracht. Neben den Verantwortlichen von Lyon wurden laut Innenministerium auch fünf Polizisten verletzt.

Lyon-Coach Fabio Grosso sitzt wieder in einem Bus - diesmal frisch verarztet. (Foto: Frederic Speich/MaxPPP/Imago)

Und wieder ist die Empörung groß, auf allen Seiten. Der Bürgermeister von Marseille, Benoît Payan, sagt: "Das ist nicht Sport, das ist nicht Fußball." Frankreichs Sportministerin Amélie Oudéa-Castéra stieß in dieselbe Richtung. "Diese inakzeptablen Taten verleugnen die Werte des Fußballs und des Sports, und ihre Täter müssen alle gefunden und streng bestraft werden", forderte sie in den sozialen Medien. Die Bilder seien empörend. So weit sind sich wohl alle einig. Die Zeitungen schreiben, der französische Fußball untergrabe sein ohnehin nicht sehr positives Image gleich selbst. Es sei ja kein Wunder, dass der Erwerb der Fernsehrechte an der Ligue 1 kaum mehr interessierten, wie man jetzt wieder sieht, wo sie verhandelt werden. Nach dem Wegzug von Lionel Messi und Neymar, die beide für PSG gespielt hatten, verlor die Liga ganz beträchtlich an Appeal.

OL prüft nun, ob es Anzeige erstattet. Der Präsident von OM, Pablo Longoria, gab sich "konsterniert" über den Vorfall, schickte aber auch gleich nach, dass er sich außerhalb des Stadions zugetragen habe - außerhalb der Vereinsverantwortlichkeit. Longoria war schon in der Abwehrhaltung, da erhielt der französische Fußballverband erst den Rapport aus Marseille. Wäre es ein "Point of no return", wie L'Équipe schreibt, müsste man nun eigentlich eine profunde Introspektion erwarten. Und vielleicht eine exemplarische Strafe. Erste Folgen gab es schon: Innenminister Gérald Darmanin berichtete von neun Festnahmen.

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