DFB-Pokalsieger Leipzig:Mit dem Gefühl der Genugtuung

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Peter Gulacsi stemmt den Pokal - den ersten in der noch sehr jungen Geschichte des Klubs. (Foto: Martin Rose/Getty)

RB Leipzig reagiert mit einer Mischung aus Trotz und Stolz auf den ersten Titel der Klubgeschichte. Trainer Tedesco liefert sich im Augenblick des Sieges noch ein Scharmützel mit der Freiburger Bank.

Von Javier Cáceres, Berlin

RB Leipzig hatte den ersten Titel seiner Geschichte gewonnen, und das Berliner Olympiastadion wurde von einer seltsam beklommenen Stimmung erfasst. Was nichts mit den Kontroversen rund um den erst vor wenigen Jahren gegründeten Verein zu tun hatte. Sondern damit, dass am Spielfeldrand ein Mann, von Sanitätern mit Decken vor Gaffern geschützt, mit dem Tode rang und die Siegerehrung deshalb ausgesetzt wurde.

Keiner der 74 000 Zuschauer schien gehen zu wollen; das Stadion verharrte eine gute halbe Stunde schweigend. Bis vom Stadionsprecher vermeldet und vom Publikum beklatscht werden konnte, dass der Patient stabilisiert worden sei und ins Krankenhaus transportiert werden könne. Erst danach bekamen die Freiburger ihre Silbermedaillen und die Leipziger den DFB-Pokal überreicht. Sie durften sich zeitversetzt freuen, wie bei einer Videoschiedsrichter-Entscheidung über ein Tor. Es war, als gebe es nichts, was bei RB den Geboten der Fußball-Orthodoxie entspricht. Als schlage das Karma bei Teams, die unter Dehnung des 50+1-Artikels aufgeputscht werden, auf unerwartete Weise zu.

Dabei war es Freude über einen Sieg, der gegen alle Widrigkeiten erzielt wurde, nachdem die Mannschaft eine gute Stunde lang wegen einer roten Karte gegen Marcel Halstenberg (57.) in Unterzahl gespielt hatte, aus einem 0:1-Rückstand noch ein 1:1 gemacht hatte und schließlich im Elfmeterschießen (4:3) gewann. "Auf ewig Teil der großartigen Pokalgeschichte. Gewöhnt euch dran", teilte RB auf seinen sozialen Netzwerken mit, trotzig und stolz. "Dieser erste Titel für den Verein, auch für mich, ist sehr schön. Sehr, sehr schön", sagte Domenico Tedesco, kurz nachdem ein großer Teil der Mannschaft - es fehlte unter anderem der nicht beachtete Angelino - in die Pressekonferenz geplatzt war und ihren Chef mit Bier aus großen Krügen übergossen hatte.

Eine Aktion, die Folgen für die Spieler haben wird: Trainer Domenico Tedesco wird mit Bier geduscht. (Foto: Michael Weber/Imagepower/Imago)

"Bei den 50:50-Entscheidungen hatte ich immer das Gefühl, dass es ein bisschen unfair ist", sagt Tedesco

Tedesco hatte zu diesem Zeitpunkt die Ruhe schon wieder weg, bei Spielschluss war das noch nicht so gewesen. Aus der Ferne wirkte es, als habe Tedesco kurz davorgestanden, sich zu prügeln. Was eine Vorgeschichte hatte, die direkt ins Spiel verwies.

Diese Vorgeschichte hatte nur mittelbar mit dem Führungstreffer der Freiburger aus der 19. Minute zu tun, obwohl er dazu beitrug, dass sich bei Tedesco Emotionen aufzustauen begannen. Ehe Maximilian Eggestein aus 20 Metern einschießen konnte, hatte sein Vorlagengeber Roland Sallai den Ball eindeutig mit der Hand berührt. Viel später, in der Pressekonferenz, hatte Tedesco den Puls schon wieder so weit unten, dass er dem Schiedsrichter Stegemann nichts vorwarf, wohl aber jenen, die sich diese seltsame Handregel ausgedacht hatten, die kein Mensch mehr verstehe. Was gut beobachtet ist: 48 Stunden zuvor hatte es an gleicher Stelle beim Relegationsspiel zwischen Hertha BSC und dem Hamburger SV eine vergleichbare Szene gegeben - mit dem Unterschied, dass da auf Hand entschieden und in der Folge kein Elfmeter für den HSV verhängt wurde. Und der Kamm schwoll bei Tedesco an, je länger das Spiel dauerte. "Bei den 50:50-Entscheidungen hatte ich immer das Gefühl, dass es ein bisschen unfair ist", weshalb er irgendwann "auf 180" war, wie er nach der Partie gestand.

Markante Momente eines Endspiels, das erst nach der ersten Halbzeit auf Touren kam: Während Marcel Halstenbergs Platzverweis unstrittig war (nach seiner wenig subtilen Notbremse gegen Lucas Höler, unten links), gab es erhöhten Diskussionsbedarf nach Nicolas Höflers (gewagter) Grätsche gegen Dani Olmo (oben links). Schiedsrichter Sascha Stegemann behielt in dieser Szene übrigens Recht. Nichts zu beanstanden gab es am 1:1 von Christopher Nkunku (Nummer 18, unten rechts fast auf dem Boden). (Foto: Lucas Perenyi/Imago, Martin Rose/Getty, Ulrich Hufnagel/Imago, Sportfoto Rudel/Imago (von oben links im Uhrzeigersinn))

Der Ärger freilich, der sich nach Spielschluss entlud, folgte auf die Szene, bei der es keinen Diskussionsspielraum gegeben hatte, dem Platzverweis nach Notbremse gegen Halstenberg. "Als es die rote Karte gab, war ein Kollege der Freiburger Bank Richtung meiner Person nicht ganz sauber", holte also Tedesco aus. "Man kann sich über 'ne rote Karte freuen. Aber dann den puren Hass mir gegenüber zu zeigen, 'Jaaaaa!', so, poah!, da hab' ich so meine Probleme, und trotzdem bin ich ruhig geblieben."

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Nach Spielende habe er dann seinen Kollegen Christian Streich gesucht, um ihm die Hand zu reichen, "und dann kam genau diese Person auf mich zu und sagte mir, ich solle mich doch bitte verpieseln und feiern gehen. Da hab' ich dann gesagt: Danke. Danke schön. Daraufhin ist die Bank explodiert. Und da muss ich sagen, das ist einfach schade. Wir haben auch ein Halbfinalspiel (gegen die Rangers in der Europa League; Anm. d. Red.) verloren, so was tut immer weh. Aber dann gibt man sich einfach die Hand, und gut ist." Sein Kollege Christian Streich habe ihm danach vorgehalten, dass man das nicht mache, den Verlierern ein Kusshändchen zuzuwerfen. Doch er habe ihm alle Szenen geschildert, und er ging in der Gewissheit, dass sie einander in die Augen sehen können. Eine Stellungnahme der Freiburger lag nicht vor.

Trainer Tedesco sinnt auf Rache - für die Bierduschen seiner Spieler

Bemerkenswert war freilich auch, dass die Leipziger wohl nur durch die rote Karte ins Spiel fanden. Getreu dem alten Bonmot der 1997 verstorbenen Trainerlegende Helenio Herrera, der mal behauptete, zu zehnt spiele es sich besser als mit elf. Erst nach dem Platzverweis lösten sich die Leipziger aus dem taktischen Korsett Tedescos, das in der ersten Stunde enger geschnürt war als bei manchen Besucherinnen des Kit Kat Club, einer sagenumwobenen Berliner Tanzgaststätte mit lustigen Themenabenden. Erst danach dominierte Leipzig in langen Passagen - trotz der Unterzahl, und auch weil sie ein paar Spieler vom Schlage eines Dani Olmo oder eines Dominik Szoboszlai einwechseln konnten.

Dass RB-Topscorer Christopher Nkunku - wer sonst? - den Ball zum 1:1 nach Kopfballvorlage von Willi Orban aus kurzer Distanz über die Linie drückte (76.), war auch im übertragenen Sinn kein Zufall mehr. Glück hingegen war aus Leipziger Sicht dies: dass die Freiburger noch in den 120 Minuten zwei Mal den Pfosten und einmal die Querlatte trafen, einmal hatte RB-Torwart Peter Gulacsi noch die Fingerkuppen dran. Es folgte das Elfmeterschießen. Es trafen vier von vier Leipzigern, die antraten. Christian Günter und Ermedin Demirovic vergaben für Freiburg.

Ausgerechnet Demirovic, der mal in der Jugend für RB Leipzig gespielt hatte, setzte den letzten Elfmeter an die Querlatte, löste den Leipziger Jubel aus, der so seltsam matt war und dann erst wieder hochgefahren werden musste. Die Party stieg dann doch noch, in einem Westberliner Club namens Pearl, der offenkundig wenig mit dem Kit Kat zu tun hat, und in den RB-Chef Oliver Mintzlaff mit dem wohligen Gefühl der Genugtuung "für all das, was wir ertragen und lesen mussten" fuhr, während Trainer Tedesco auf Rache sann. "Das kriegen die schon wieder", sagte er und gelobte damit, seine Spieler ebenfalls mit Bier zu duschen.

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