Leichtathletin Bera Wierhake:Mit Spenderorgan zu sieben WM-Titeln

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Bera Wierhake gewann bislang allein sieben Titel bei den Weltmeisterschaften der Transplantierten. (Foto: Wierhake/oh)

Mittelstreckenläuferin Bera Wierhake, 23, fand nach einer Lebertransplantation den Weg in den Leistungssport - und will mit ihrer Geschichte anderen Mut machen.

Von Ewald Walker

Allein eine dreißig Zentimeter lange Narbe am Bauch erinnert an Bera Wierhakes ungewöhnliche Lebensgeschichte. Als Baby litt sie an einem Gallengangverschluss, der bei etwa einer von 30 000 Geburten vorkommt und tödlich verläuft, wenn er nicht behandelt wird. Im Alter von neun Monaten bekam Wierhake eine Spenderleber transplantiert. Erst im dritten Anlauf passte das neue Organ zu ihrem Körper. Heute sagt die 23-Jährige: "Ich lebe ganz gut damit und kann sogar Leistungssport betreiben."

Auch das ist ungewöhnlich, und so spricht Wierhake von großer Dankbarkeit ihren Eltern gegenüber, weil diese sie trotz der schweren Erkrankung "nicht in Watte gepackt haben". Sie förderten den Bewegungsdrang der Tochter, die zum Ballett ging, ritt, Fußball spielte. Mit 15 entdeckte sie ihre Liebe zur Leichtathletik, zu den Langsprints und den Mittelstrecken zwischen 400 und 5000 Metern. Nur wenn man genau hinschaut, sieht man auch dabei ihre Narbe, etwa wenn sie ins Ziel läuft, nicht selten als Siegerin.

Bera Wierhake aus Zweiflingen bei Heilbronn startet für gewöhnlich bei Meisterschaften für transplantierte Athleten, die es von der nationalen bis zur globalen Ebene gibt, den World Transplant Games. Dort gewann sie bislang sieben Titel über 400 bis 5000 Meter und stellte Weltrekorde auf. Immerhin 2500 Transplantierte haben zuletzt bei den World Games in Australien teilgenommen. "Ich würde es bei Wettkämpfen für gesunde Menschen bis zu baden-württembergischen Meisterschaften schaffen", sagt Wierhake. Das Leistungsniveau transplantierter Athleten ist natürlich begrenzter. Ihr Trainingsplan gleicht aber im Kern dem eines gewöhnlichen Leistungssportlers: sechsmal die Woche Dauerläufe, Tempoläufe oder Krafttraining.

"Wenn es keine Organspender geben würde, wären wir alle nicht mehr hier."

"Wir versuchen, die Transplantierten zu motivieren, alles zu machen, was sie körperlich machen können", sagt Ekkehard Sturm, Oberarzt für Kinder-Gastroenterologie an der Kinderklinik der Universität Tübingen: "Leistungssport ist nicht für jeden möglich, aber bei systematischem Training ist nichts einzuwenden." Wierhake sei gewiss ein Fall, bei dem sich vieles füge. Sie wird medizinisch durch ihren Hausarzt und Spezialisten an der Heidelberger Uniklinik begleitet und nimmt regelmäßig Medikamente. In Heimtrainerin Irina Benner und Jens Boyde, dem Landestrainer beim Württembergischen Leichtathletik-Verband, hat sie zudem zwei qualifizierte Trainer an ihrer Seite.

Der VfB Stuttgart stellt seine Leichtathletikzugänge für die kommende Saison vor: hinten von links Marie-Laurence Jungfleisch, Bera Wierhake, Anjuli Knäche, Alina Rotaru-Kottmann, Tabea Eitel, Alina Kenzel; vorn Niko Kappel (links) und Yannis Fischer. (Foto: Robin Rudel/Sportfoto Rudel/Imago)

Wierhake erinnert sich noch daran, wie sie bei ihren ersten World Games in Malaga an der Startlinie stand, erst auf die Tribüne schaute, dann zu ihren Konkurrentinnen auf der Bahn und dachte: "Wenn es keine Organspender geben würde, wären wir alle nicht mehr hier." Seit Jahren herrscht in Deutschland ein notorischer Mangel an Organspendern. Rund 100 Transplantationen werden derzeit jährlich bei Kindern vorgenommen, wie damals bei Wierhake, 748 Lebern wurden 2022 in Deutschland insgesamt transplantiert. 841 Patienten warteten auf ein Spenderorgan.

Bei ihren leistungssportlichen Aktivitäten geht es Wierhake nicht nur um ihre Ergebnisse. "Ich möchte anderen Menschen in derselben Situation Mut machen, dass Aufgeben keine Option ist", sagt sie. Seit Längerem hält sie, neben Training und ihrem Beruf als Einkäuferin im Mode-Einzelhandel, Vorträge zum Thema Transplantation, klärt auf, steht Patienten und deren Familien bei. Als der VfB Stuttgart die Leichtathletin vor Kurzem als Zugang für die kommende Saison präsentierte, neben Topathleten wie Zehnkämpfer Leo Neugebauer, Stabhochspringerin Anjuli Knäsche und Kugelstoßerin Alina Kenzel, verkündete der Verein, dass er die Verpflichtung in einem größeren Rahmen begreife: als "Multiplikator für das Thema Organspende".

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Auch sonst wolle man Wierhake auf ihrem Weg unterstützen. Da die Wettkämpfe der Transplantierten weder unter dem olympischen noch dem paralympischen Dach angesiedelt sind, zahlte Wierhake bis zuletzt rund 5000 Euro pro Jahr selbst, um zu ihren Wettkämpfen reisen zu können, nach Spanien, Italien, England, Australien. Das sei nur möglich, sagt sie, weil sie noch zu Hause bei den Eltern lebt.

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2024 stehen die Europameisterschaften in Lissabon an, 2025 die World Games in Dresden. "Wir erhoffen uns, dass dadurch das Thema Transplantationen in Deutschland stärker ins Bewusstsein rückt", sagt Wierhake. Sie hofft zudem, dass sich die Verbände der Paralympics und der Transplantierten künftig zusammenschließen, dann hätte sie auch Zugang zu den Paralympics (und womöglich zu deren Fördertöpfen). Doch das braucht noch Zeit.

Bera Wierhake wird sich davon nicht entmutigen lassen. Das Fundament für ihr Leben ist ihr christlicher Glaube, ihr größter Mutmacher Psalm 18: "Mit meinem Gott", sagt sie, "kann ich über alle Mauern springen."

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