Ski Alpin:Der Wilde und der Wind

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Gewinner auf der Saslong: Der Norweger Aleksander Aamodt Kilde am Samstag beim Abfahrtslauf von Gröden. (Foto: Gabriele Facciotti/AP)

In 55 Jahren Skiweltcup hat es intensive Dauerduelle gegeben. Zwischen dem Norweger Aleksander Aamodt Kilde und Marco Odermatt aus der Schweiz zeichnet sich erneut eine packende, nachhaltige Rivalität ab.

Von Korbinian Eisenberger, Gröden/Alta Badia

Er ließe sich ohne weiteres auf ein Drachenboot verfrachten, Wikinger- statt Skihelm, Axt statt Atomic. Es stünde ein Recke aus Vorzeiten der heute weitestgehend friedlichen Norweger bereit. Ein weiteres nordisches Element ist bereits vorhanden, denn der Skirennläufer Aleksander Aamodt Kilde hat nicht nur seine Arbeitsgeräte wachsen lassen, sondern auch sein Gesichtshaar.

Der Schnauzbart ist eine Erwähnung wert, weil der Träger ihn am Samstag auf dem Siegertreppchen im Grödner Tal zu Südtirol präsentierte. Dort hatte Kilde zuvor die Ski-Abfahrt der Männer gewonnen und anschließend im Zielraum erklärt, dass er die soeben bewältigte Saslong-Piste zu seinen Lieblingsstrecken zähle. "Der Flow von ganz oben bis unten macht es so besonders", sagte der Norweger mit einem Lächeln unter dem Oberlippenbart.

Lächeln unter dem Oberlippenbart: Aleksander Aamodt Kilde bei der Siegerehrung. (Foto: Tiziana Fabi/AFP)

Kilde, 30, und sein Schnauzer waren die Attraktion im Zielraum von Gröden. Und so konnte sich ein Mann in Schweizer Skijoppe ähnlich unbehelligt durchs Getümmel bewegen wie zuvor durch die Tore der Saslong-Piste: Marco Odermatt, 25, normalerweise Riesenslalom- und Super-G-Spezialist, war zum ersten Mal bei der Grödner Abfahrt in voller Distanz am Start gewesen - und sogleich auf Platz sieben gefahren. Auf ihn waren nach der Zieleinfahrt ausnahmsweise wenige Kameras gerichtet, er trägt halt auch keinen Schnauzer.

Klassische Duelle: Alberto Tomba gegen Finn Christian Jagge, Hermann Maier gegen Stefan Eberharter, Felix Neureuther gegen Marcel Hirscher

Dafür hat er die Führung im Gesamtweltcup inne, um die geht es beiden ja vornehmlich. Kilde gegen Odermatt: In der vergangenen Saison hatte dieses Dauerduell begonnen - mit dem besseren Ende für den Schweizer, der die große Kristallkugel davon trug, so wie Kilde zwei Jahre zuvor. Die Rennen in Gröden und Alta Badia hinterlassen nun verstärkt Hinweise auf eine Fortschreibung dieses zunehmend disziplinübergreifenden Vergleichs. Duellant Odermatt hat sein Vorhaben umgesetzt, noch häufiger Abfahrten zu bestreiten. Und Duellant Kilde hinterlegte Ambitionen im Riesenslalom, wo er am Sonntag mit Startnummer 32 ins Rennen ging.

Der auffällig drehende Charakter dieses Laufs machte dem Speed-Mann Kilde sichtlich zu schaffen - er schied Mitte des ersten Durchgangs aus. Odermatt indes fuhr im zweiten Durchgang von Rang neun aufs Podium vor. Dass er auf Rang drei landete - und damit nur 60 statt möglichen 100 Weltcuppunkten kassierte - hatte er Kildes Teamkollegen Lucas Braathen (1. Platz) und Henrik Kristoffersen (2.) zu verdanken. Bester Deutscher: Alexander Schmid auf Rang acht.

Siebter bei seiner ersten Gröden-Abfahrt in voller Distanz: der Schweizer Marco Odermatt. (Foto: Roberto Tommasini/Zuma/Imago)

In 55 Jahren Ski-Weltcup hat es intensive Dauerrivalitäten gegeben, von denen noch heute gesprochen wird. Alberto Tomba gegen Finn Christian Jagge, Hermann Maier gegen Stefan Eberharter - oder, um zwei konkurrierende Bartträger zu nennen, Felix Neureuther gegen Marcel Hirscher. Um seriös in diese Reihe zu passen, währt der Zweikampf Kilde versus Odermatt zwar noch zu kurz, beide liefern aber seit Oktober 2021 verlässlich Stoff für eine nachhaltige Rivalität: zwischen einem Norweger mit Schnauzer - und einem Schweizer mit Rasierapparat.

"Der Schnauzer bleibt bis Weihnachten dran, dann treffe ich Mikaela wieder und sie kann ihn live sehen."

Odermatt gleitet geräuschlos zwischen den Toren hindurch, fegt über den Hang wie ein Windhauch, niemand sieht ihm an, wie schnell er Distanzen pulverisiert. Kilde indes rauscht im Stile eines wilden Kriegers unnachgiebig über Schläge und Wellen. Hinter der Ziellinie dann verwandeln sich Odermatt und Kilde zurück.

In solchen Momenten hat die Zierde eines Oberlippenbarts eine weitere Funktion, den Unterhaltungswert. Die "Freude am Ausprobieren" habe ihn dazu getrieben, erklärte Kilde bei einer Unterhaltung im Zielraum. Der Bart bleibe dran, so Kilde, weil das Testergebnis seiner Freundin tatsächlich gefallen habe. Diese heißt Mikaela Shiffrin, und die Skirennläuferin war am Wochenende ebenfalls im Einsatz. In St. Moritz gewann sie den Super-G am Sonntag, tags zuvor war sie knapp hinter der Starnbergerin Kira Weidle auf Rang vier gerast. Es siegte - trotz operierten Handbruchs - die Italienerin Sofia Goggia. Kildes Analyse: "Das ist wirklich bad ass", knallhart.

Die deutschen Speed-Asse indes schauten nach dieser zweiten Abfahrt von Gröden drein wie schiffbrüchige Matrosen im Beiboot. Romed Baumann (17.), Andreas Sander (22.) und Josef Ferstl (28.) holten Weltcuppunkte, mehr aber nicht. Bei der verkürzten Abfahrt am Donnerstag war Ferstl noch um die Barthaaresbreite von zwei Hundertstelsekunden hinter dem Fünften Kilde auf Rang sechs gelandet - nun lagen zwischen ihm und dem Norweger zwei ganze Sekunden. Was Kilde anders mache? "Er fährt einfach besser Ski", analysierte Ferstl knapp und unwiderlegbar.

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Der Weltcup-Kapitän Odermatt wurde nach seiner Abfahrt dann doch noch behelligt, schließlich hatte er auf unerprobtem Terrain einen Beitrag von ungeahnter Qualität geliefert: In der zweiten Rennhälfte fuhr er praktisch genauso schnell wie Kilde. "Die letzten Jahre habe ich die Abfahrten hier bewusst ausgelassen, um mich auf die zwei Riesenslaloms in Alta Badia zu konzentrieren", sagte Odermatt. Nun habe er den Fokus so erweitert, dass die Abfahrt von Gröden am Tag vor dem ersten Riesenslalom in Alta Badia auch noch darin Platz findet. In den kommenden Monaten bis zur WM sind solche Beinahe-Überschneidungen nicht mehr vorgesehen - wenngleich Nebel oder Wind schon so manche Fahrpläne durcheinander gewirbelt haben.

Die Alpinfrauen sind inzwischen in der Weihnachtspause, ebenso die Speedrennfahrer der Männer. Für Kilde, Odermatt und andere Ambitionierte im Riesenslalom geht es am Montag zum letzten Mal vor Weihnachten um Weltcup-Punkte. Danach, erklärte Kilde noch im Zielraum von Gröden, gehe es für ihn darum, fern der Schifffahrt zu punkten - genauer bei seiner skifahrenden Freundin Shiffrin. Bisher habe sie ihn und seinen Bart ja nur auf Fotos und Videos zu sehen bekommen. "Der Schnauzer bleibt bis Weihnachten dran, dann treffe ich Mikaela wieder, und sie kann ihn live sehen", erklärte Kilde. Dann aber sei es so weit: Der Bart soll ab.

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