Ski Alpin:Milchsuppe im Grödener Tal

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Da ahnt er wohl schon, dass ihm eine neuerliche Pause droht: Thomas Dreßen steht mit lädiertem Oberschenkel im Zielraum von Gröden. (Foto: Leonhard Foeger/Reuters)

Erst fällt Thomas Dreßen aus - dann auch der Super-G von Gröden. Sieben Wochen vor der WM gäbe es bei den DSV-Speedfahrern Anlass zur Besorgnis - wäre da nicht dieses deutsche Luxusproblem.

Von Korbinian Eisenberger, Gröden

Recht sanft klopfte er am Vormittag an, ein wenig kühl und ein wenig feucht, fast höflich zurückhaltend. Dann entfalteten sich die Schleier, verschluckten die Sonne und hatten das Tal zur Mittagsstunde unter einer Südtiroler Milchsuppe begraben. Ein Tal, welches in diesem Moment ein prominentes Skirennen hätte beherbergen sollen.

Kein noch so hartgesottener Schafhirte treibt seine Tiere bei so einem Nebel ins Grödner Tal. Und weil auch der Ski- und Snowboard-Weltverband Fis eine Art Hirtenfunktion für die Sportler hat, landete der für Freitag geplante Super-G der Männer auf der ohnehin nennenswerten Weltcup-Streichliste. Gefreut haben dürfte das niemanden; den deutschen Skirennläufer Thomas Dreßen allerdings hat es von allen womöglich am wenigsten gewurmt. Schließlich hatte der 29-Jährige zu diesem Zeitpunkt bereits reichlich Eindrücke gesammelt, anhand derer er sich anderweitig ärgern konnte.

Abfahrerpech: Der Super-G in Gröden ist bereits das neunte Rennen, das in der noch jungen Alpin-Saison ausgefallen ist. (Foto: Andrea Solero/Zuma/Imago)

Dem Mann vom SC Mittenwald hatte es die Stimmung noch lange vor dem Nebel verhagelt. Beim Auftakt in Gröden, einer verkürzten Abfahrt am Donnerstag, war Dreßen aus dem Zielraum gehumpelt, ehe die Ärzte im Bregenzer Spital einen Muskelfaserriss im Oberschenkel diagnostizierten. Das Skijahr 2022 ist für ihn beendet, die Rennen auf der beinharten Stelvio-Piste in Bormio wird er verpassen, bei den Lauberhornrennen in Wengen (13. bis 15. Januar) könnte er wieder dabei sein. Während die Athleten sich am Freitag für die - nach wie vor geplante - Abfahrt am Samstag vorbereiteten, machte sich Dreßen für weitere Untersuchungen auf den Weg in ein Krankenhaus nach München.

"Dann sind es genau drei Wochenenden, und es fehlen schon wieder Zwei", klagt der Cheftrainer

Das die Stimmung auch im Deutschen Skiverband (DSV) ein wenig ins Nebulöse kippte, deutete der oberste Betriebsleiter Christian Schwaiger an, im DSV auch Chef-Bundestrainer genannt. "Wir haben alle extrem gut über den Sommer gebracht, gesund", erklärte Schwaiger bei einem Gespräch im Teamhotel am Ort. "Und dann sind es genau drei Wochenenden, und es fehlen schon wieder Zwei." Er meinte: Dreßen, den erfolgreichsten deutschen Abfahrer im Weltcup, der nach knapp 1000 Tagen Zwangspause als Achter in Lake Louise eine Wiederauferstehung angedeutet hatte, und den aufstrebenden Simon Jocher, auf Platz 14 und 17 in Lake Louise, der sich Anfang Dezember bei einem Sturz in Beaver Creek eine Gehirnerschütterung sowie eine Lungen- und Rippenprellung eingehandelt hatte.

In der Hotellounge am Donnerstagabend hatte Christian Schwaiger höchstens erahnen können, dass das Grödener Tal tags darauf in besagter Milchsuppe versinken würde, serviert auf gut gesalzenen Straßen samt Rennabbruch. Auf seinem Sessel erfuhr er indes per Handy von Dreßens nicht gerade erheiternder Diagnose. Schwaiger neigt aber offenbar nicht zur Theatralik. Eigentlich freue er sich lieber über die guten Dinge, erklärte der 54-Jährige, etwa über das Kind von Slalom-Ass Linus Straßer, das Stunden zuvor zur Welt gekommen war.

Das ist ja auch Teil der Geschichte: Die deutschen Aussichten in der nebulösen Welt des Skisports sind gerade passabler als es erscheinen mag. Mitverantwortlich für diese These ist seit Donnerstag der Chiemgauer Josef Ferstl, dem nach diversen siebten Plätzen mit Rang sechs auf der Grödener Saslong das beste Abfahrtsergebnis seiner Karriere gelungen war. Und zwar offenbar mit Ansage: "Der hat schon in Amerika immer gesagt, in Gröden muss ich zuschlagen", so Bundestrainer Schwaiger, ehe er in Erinnerung rief, dass der bald 34-jährige Ferstl drei schwere Stürze innerhalb eines Jahrs zu verarbeiten hatte. Als wolle er sagen: Da kommt einer erst in Fahrt. Eventuell wäre die im Februar anstehenden Weltmeisterschaften in Courchevel kein so verkehrtes Ziel, das man mit Höchstgeschwindigkeit ansteuern könnte.

Fünf DSV-Speedfahrer haben die WM-Norm bereits vor Weihnachten erfüllt

Ferstls Fahrt jedenfalls ist eine von inzwischen durchaus zahlreichen erwähnenswerten Auftritten der deutschen Speed-Experten. Mit dem Nebeneffekt, dass fünf von ihnen bereits vor Weihnachten die sogenannte WM-Norm geknackt haben, also zwei Einträge unter den besten 15 eines Weltcups oder einen unter den besten Acht. Neben Ferstl und Dreßen ist dies Dominik Schwaiger, Romed Baumann und Andreas Sander gelungen. Da der DSV in Super-G und Abfahrt nur über vier WM-Startplätze verfügt, könnte es in Frankreich gar DSV-interne WM-Ausscheidungsrennen geben, wie schon 2021 in Cortina d'Ampezzo. Ein sogenanntes Luxusproblem also.

Coach Schwaiger jedenfalls gedenkt, dem Vernehmen nach, nicht zu versinken, weder im Hotelsessel noch in irgendwelchen Südtiroler Suppen. "Es macht Spaß", erklärte er stattdessen. "Es war ja immer mein Ziel, als ich angefangen habe: Ich möchte eine Mannschaft." Die hat er nun, in einer Breite und Qualität, die sie im DSV sehr lange nicht vorfanden. Die offenbar nicht langzeitverletzten Jocher und Dreßen eingerechnet, sind in Schwaigers A-Team derzeit sechs ernstzunehmende Branchenkenner beschäftigt.

Ein A-Team übrigens, deren Mitglieder die Führungsverantwortung gerade je nach Bedarf umverteilen. Es sei einfach gut, dass gerade immer jemand vorangehe, sagt Schwaiger. Mal lässt es der Ferstl krachen, mal der Baumann, der Schwaiger oder Sander. Da können Jocher und sogar ein Thomas Dreßen in aller Ruhe ihre Verletzungssuppe auslöffeln.

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