In Italien gibt es einen Spruch für missliche Lebenslagen, er findet Anwendung bei zerdeppertem Porzellan, verspäteten Zügen und gebrochenen Herzen: Che peccato! Welch ein Jammer.
An diesem Dienstag hätte das italienische Nationalteam in Portugal spielen können, beim Playoff zur Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Es wäre eine Art Gnadenbrot gewesen, der entscheidende Zwischenstopp auf der fest geplanten Fernreise ins Emirat. Doch Italien war schon vorher raus, nach einem 0:1 in der ersten Ausscheidungsrunde gegen das kleine Nordmazedonien, wegen eines Gegentreffers in letzter Minute. Alle Fußballenthusiasten dürfen deshalb jetzt noch mal laut aufheulen, und zwar auch jene, die ihren Wohnsitz nördlich der Alpen oder in anderen Regionen auf dem Globus haben: Che peccato!
Es braucht mehr als ein paar Tage, um das zu verdauen: Eine "Mondiale" ohne Italien? Noch dazu in Katar, was ohnehin ein Thema für sich ist? Das langweilt sogar die stumpfsinnigsten Anhänger des gepflegten Ballsports, denn die müssen jetzt ihre seit der WM 2006 kultivierten Pizzabäcker-Schmähungen in sich hinein grummeln. Tief hinein in den Bauch, also dort, wo sie in Italien momentan wieder die Erklärungen für das Scheitern finden. Die Gazetten sind sich einig, und die Tifosi stimmen mit ein in den Abgesang: Aus, vorbei. Der Calcio, so der Tenor, sei eine alte Rostlaube, überfällig für eine Versenkung auf dem Meeresgrund. Was wiederum gut zu den italienischen Fußballern passt: Squadra Azzurra, ein Name wie der Himmel und das Meer.
Inbrünstiger Gesang und kleine Schwalben - niemand beherrscht das besser
Dieser Defätismus war auch 2017 zu vernehmen, als Italien schon mal die WM verpasste, und er wurde weggespült von Wellen der Euphorie, als die Azzurri entgegen allen Prognosen vor gerade mal acht Monaten Europameister wurden. Fußball ist halt ein irrationaler Sport, die Gefühle verdichten sich auf einen kurzen Augenblick und schreiben so an den irrsten Geschichten mit. Und wer beherrscht diese Disziplin besser als die Italiener? Nicht zu vergessen: Der inbrünstige Gesang der Hymne, die zynische Minimalismus-Taktik und die kleinen Schwalben, die manchmal große Dinge bewirken.
Keine Frage, all das wird fehlen bei der WM. Für Zuversicht sorgt immerhin eine Nachricht vom Montag: Der Trainer Roberto Mancini wird im Amt bleiben, auch dank der vollen Rückendeckung des Verbandspräsidenten Gabriele Gravina. Letzterer startete seine Karriere übrigens in den Neunzigerjahren als Manager bei Castel di Sangro, einem Außenseiterteam, das irgendwie in die zweite Liga gerutscht war. Der Autor Joe McGinnis durfte die Mannschaft damals begleiten und ein wunderbares Buch über diese Zeit schreiben.
Pressestimmen zu Italiens Aus:"Mamma mia!"
Die italienischen Zeitungen betrauern, dass ihre Nationalmannschaft schon wieder nicht zur WM fährt. Aus anderen Ländern kommt Spott. Die Pressestimmen.
Glaubt man der Erzählung, dann fungierte der heutige Verbandsboss Gravina als Adjutant eines filmreifen Provinzpotentaten, der mit dem Klub in sternenferne Höhen aufsteigen wollte. Gravina war dafür nahezu jedes Mittel recht, mitunter auch halbseidene Geschäfte, die seinen persönlichen Aufstieg ermöglichten - und wer sich jetzt Sorgen macht um den Calcio, dem fehlt es vielleicht nur an der nötigen Fantasie.
Bis in vier Jahren, liebe Italiener. Che peccato.