Integration im Sport:Von wegen Problemviertel

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90 Prozent Fußballer mit Migrationshintergrund, eiserne Sprachvorschriften und ein türkischer Braumeister: Beim SV Neuperlach München ist die aktuelle Integrationsdebatte längst Alltag.

Kathrin Steinbichler

Im Münchner Südosten ist seit über 30 Jahren ein Begriff zu Hause, der Norbert Kreitl noch heute ärgert. "Problemviertel" nennen sie in der bayerischen Landeshauptstadt oft die Gegend, die sich zwischen den U-Bahn-Stationen Michaelibad und Neuperlach Süd erstreckt. "Als ob ein Viertel ein Problem sein kann", sagt Norbert Kreitl.

Fußball verbindet: Nicht nur bei der WM, auch im kleineren Rahmen - in unzähligen Sportvereinen. Dem SV Neuperlach München zum Beispiel. (Foto: dpa)

Der weißhaarige Vorsitzende des SV Neuperlach München weiß, dass eine Stadt in Vierteln und Bezirken denkt, anders wäre die Verwaltung nicht zu bewerkstelligen. Auch in die Geschichte einer Stadt hat jedes neu entstandene Quartier seine architektonischen Eigenheiten und seine Bewohner mit eingebracht. Kreitls Viertel, der Stadtteil Ramersdorf-Perlach, der genauso aus Einfamilien- wie aus großen Mietshäusern besteht, kommt in der öffentlichen Wahrnehmung meist nicht vor.

Sondern nur der Teil davon, der im Zuge von Olympia 1972 als städtebauliche Entlastung geplant war und danach wegen seiner engen Bebauung mit vielen Sozialwohnungen im Klischee erstarrte. Es ist der Teil, in dem Kreitl und der SV Neuperlach München seit Jahren das betreiben, was in Gesellschaft und Politik als Integrationsdebatte gerade wieder auflebt.

27,5 Prozent Ausländeranteil

"Arbeit am und mit Menschen", nennt Kreitl das, was er, seine Mitarbeiter und die vielen Übungsleiter im Viertel leisten. Rund 5200 Mitglieder hat der SV Neuperlach München inzwischen, in der Fußball-Abteilung haben 80 bis 90 Prozent davon einen Migrationshintergrund. Mit einem Monatsbeitrag von neun Euro für Erwachsene sowie 5,50 Euro für Kinder und Jugendliche ist der Klub die erste Anlaufstelle im Viertel. Die hellen Wände und die Böden in der Geschäftsstelle strahlen wie neu, "wir achten darauf, das alles sauber ist und auch so aussieht", sagt Kreitl, bei Bedarf "streichen wir einen Fleck sofort über". Die Kosten der Instandhaltung bleiben so geringer, aber die Mitglieder sollen auch merken, das Nachlässigkeit und Lieblosigkeit nicht geduldet sind.

Als kürzlich eine Studie über Migrantenmilieus in München bekannt gemacht wurde, waren die Münchner selbst überrascht: Ausgerechnet ihre Stadt, die als standesbewusst und hochpreisig gilt, liegt mit einem Ausländeranteil von 23 Prozent an der Spitze derartiger Erhebungen in Deutschland, Berlin etwa hat einen Anteil von 14 Prozent. In Ramersdorf-Perlach beträgt der Ausländeranteil 27,5 Prozent, es ist die dritthöchste Quote in München, nirgendwo sonst in der Millionenstadt leben mehr Menschen mit türkischem Hintergrund. Ob das gut ist oder nicht, darüber will Kreitl nicht urteilen. Es ist wie es ist. Und als solches ist der hohe Ausländeranteil im Viertel für Kreitl auch kein Hindernis: "Wenn es ein Problem gibt, was natürlich immer wieder mal vorkommt, dann gibt es das genauso mit einem Deutschen wie mit einem mit Migrationshintergrund."

Einige Themen werden beim SVN auch nicht als Problem wahrgenommen, sondern als zusätzlicher Wunsch. Schon im Frühjahr 2002 etwa suchte die Stadtverwaltung händeringend einen Verein, der einen speziellen Frauenbadetag organisieren kann, an dem auch muslimische Frauen und Mädchen ins Schwimmbad kommen, die aus Scham oder wegen der religiösen Vorschriften des Islam beim normalen Schwimm- und Sportbetrieb freiwillig außen vor bleiben.

Kein Verein wollte das Projekt zu sich holen, nur der SVN sagte zu, und als es im Oktober 2002 so weit war, "wurden wir überrannt", sagt Kreitl, "wir mussten das Bad nach kurzer Zeit schließen und die Frauen wegschicken". Aus dem Tag ist ein Schwimmkurs geworden, der bald als Kopftuch-Schwimmen bekannt war, obwohl längst nicht mehr nur Musliminnen, sondern auch andere Frauen mitmachen, die einfach unter sich sein wollen.

Deutsch als Umgangssprache

Es ist inzwischen Abend geworden, Kreitl schaut vor der Vereinsratssitzung noch beim Training der Fußballer auf der Bezirkssportanlage an der Bert-Brecht-Allee vorbei. Den Rasenplatz, den abgespielten Kunstrasenplatz, einen alten Ascheplatz und zwei Beachvolleyballfelder teilt sich der SVN mit dem SK Srbija München, mit dem ein Verhältnis besteht, das Kreitl als "eher geschäftsmäßig" umschreibt. Es gibt kaum eine Nationalität in München, die nicht ihren eigenen Sportverein hat, doch "ich halte es für einen Fehler, sich abzugrenzen", sagt Kreitl. "Das Modell vom Multi-Kulti, das funktioniert nicht", sagt er, "es muss ein Miteinander sein, kein Nebeneinander". Auf Broschüren und auf der Homepage des SVN ist deshalb zu lesen: "Für uns ist es nicht wichtig, ob ein Spieler Portugiese, Deutscher, Franzose, Italiener Grieche, Türke oder ein anderer Mitbürger ist. Für uns ist der Mensch wichtig."

Damit das Miteinander funktioniert, gibt es eine eiserne Regel im Klub: Die Umgangssprache ist Deutsch. "Nur wenn du die Sprache kannst, kannst du dich austauschen und einbringen", sagt Kreitl, "wenn einer deshalb in seiner Sprache mit einem anderen redet, ist das nicht erlaubt, dann kriegt er einen Verweis". Auf dem Platz, den sich die erste und zweite Mannschaft zum Training teilen, halten sich die Spieler tatsächlich daran.

"Ja, grüß dich", ruft Kreitl plötzlich erfreut und drückt einem Mann mit dunklen Haaren und Brille die Hand. "Habt's a gscheits Festbier gebraut?", fragt Kreitl Serkan Yildirim, den Trainer der C1-Jugend. "Ich glaub' schon", sagt Yildirim und lächelt zurück. Die Wiesn-Zeit beginnt in München, und natürlich geht Kreitl zur Eröffnung, im Trachtenanzug. Für Serkan Yildirim ist die Wiesn neben dem Traineramt eine stressige Zeit - der Türke ist Braumeister bei Paulaner.

© SZ vom 18.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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