Zweitliga-Derby in Hamburg:Zwischen Kontrollwut und Wirtshausprügelei

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Mögen sich nicht wirklich: die Hamburger Zweitliga-Trainer Tim Walter (HSV, links) und Fabian Hürzeler (St. Pauli). (Foto: Oliver Ruhnke/Imago)

Vor dem Hochrisikospiel um die Hamburger Stadtmeisterschaft geht der Blick auf die Trainer. HSV-Coach Tim Walter und St. Paulis Fabian Hürzeler sind sich in inniger Feindschaft verbunden - dabei ähnelt sich ihr Fußball-Ansatz.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Hach, Hamburg. Die Hansestadt hält sich in vielen Belangen für den Spitzenreiter der Republik. Ein Selbstverständnis, auf das vor allem Bewohner aus der Hauptstadt Berlin entgegnen dürften: Haha, bei der Anzahl der Regentage vielleicht! Die Hamburger Einschätzung ist aber durchaus von der Realität gedeckt, Wirtschaft und kulturelles Leben brummen, ein funkelnderes Gebäude als die Elbphilharmonie muss erst noch gebaut werden, und mal ehrlich: In Hamburg gibt's mehr schöne Ecken, als das Jahr Regentage liefern kann.

Alles erstklassig also? Nun ja. Fußball wird in Hamburg auch noch gespielt.

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Mit Blick auf die Zweitliga-Tabelle klingt das vielleicht etwas defätistisch, dort steht der FC St. Pauli aktuell ganz oben und der HSV folgt gleich dahinter. Andererseits: zweite Liga. Hamburg ist somit in allen führenden Fußballnationen Europas die einzige Millionenmetropole ohne Erstligaklub, ein doch recht unrühmliches Alleinstellungsmerkmal, das am hanseatischen Selbstbewusstsein nagt. Wobei die Schuldfrage schnell geklärt ist: Die liegt natürlich beim einst riesengroßen HSV, der seit Jahren so tief unter seinen Möglichkeiten durchtaucht, dass er Gefahr liefe, sich den Kopf am Grund der Elbe anzuhauen.

Beim HSV geht es auf dem Platz manchmal wilder zu als bei einer Wirtshausprügelei

An diesem Freitag steht die 110. Hamburger Stadtmeisterschaft an ( 18.30 Uhr im SZ-Liveticker), die Erwartungen sind auf beiden Seiten enorm, die Sicherheitsvorkehrungen sind es auch. Gastgeber St. Pauli hat den Gästebereich mit einem Netz umspannt, damit Wurfgeschosse abgefangen werden, auch der Konsum von Alkohol ist im Millerntorstadion untersagt.

Aus einem Hochrisikospiel soll ein Sicherheitsspiel werden - und so in etwa lässt sich auch zusammenfassen, wofür die beiden Trainer stehen: HSV-Coach Tim Walter und St. Paulis Fabian Hürzeler kennen sich schon ein ganzes Weilchen, sie wären sich mal beinahe an die Gurgel gegangen, als sie vor ein paar Jahren noch die Zweitvertretung des FC Bayern (Walter) und den FC Pipinsried (Hürzeler) in der Regionalliga verantwortet hatten. Seitdem sind sie sich in inniger Feindschaft verbunden, was Hürzeler vor der Partie etwas höflicher formulierte: Man pflege "natürlich keine Freundschaft", sagte er, daraus müsse man "kein Geheimnis machen". Fußballideologisch stehen sie sich dagegen näher, als sie zugeben würden - wenngleich sich ihre Theorie-Modelle doch sehr unterscheiden, sobald sie in die Realität überführt werden.

Walter und Hürzeler verfolgen jeweils kontrollwütige Ansätze, sie wollen den Ball haben und den Gegner permanent mit Kombinationen herausfordern. Der Unterschied besteht in der Anzahl der Sicherheitsnetze, die über den jeweiligen Abwehrverbund gespannt werden: Hürzeler hat bei St. Pauli die mit Abstand beste Defensive der zweiten Liga gebaut, seine Herangehensweise ist so erwachsen und pragmatisch, wie das bei einem gerade mal 30-jährigen Proficoach nur der Fall sein kann.

Walter, 48, verehrt dagegen seinen auf Totaldominanz ausgerichteten "Walterball" so sehr, dass Ballverluste und mögliche Folgen höchstens am Rande mitgedacht werden. Das kann zur kompletten Zermürbung des Gegners führen. Sobald der HSV aber mal die Kontrolle verliert - und das kam in den vergangenen Wochen häufig vor -, neigen die Spiele in anarchische Phasen abzudriften, in denen es zugeht wie bei einer Wirtshausschlägerei.

Bei welchem Ansatz mehr herausspringt, lässt sich an Zahlen ablesen: Hürzeler wurde zu Beginn des Jahres vom Assistenten zum Chefcoach befördert, seitdem hat er mit St. Pauli im Schnitt 2,27 Punkte geholt und nur zwei Spiele verloren - darunter das Stadtderby in der vergangenen Rückrunde (4:3 für den HSV), in dem beide Teams so wild aufeinander losgingen, dass sich sogar Wirtshausschläger schämen würden. Walter wiederum steht in seinen zweieinhalb Jahren als Hamburger Coach bei durchschnittlich 1,87 Punkten und konnte sein hoch und heilig erteiltes Aufstiegsversprechen bislang nicht einlösen.

Der HSV ist bislang immer vor St. Pauli ins Ziel gegangen - wie lange hält die Serie noch?

Über dem HSV könnte sich deshalb eine spannungsgeladene Atmosphäre zusammenbrauen, denn eine (deutliche) Niederlage im Stadtderby würde mit einiger Wahrscheinlichkeit eine Trainerdebatte in Gang setzen, auf die sich der Hamburger Sportvorstand Jonas Boldt bislang nicht einlassen möchte. Doch auch Boldt weiß: Selbst ein Zieleinlauf auf dem zweiten Platz wäre eine Art historische Zäsur in der Hansestadt, sofern St. Pauli an der Tabellenspitze bleibt. Der Kiezklub hat den HSV mehrmals geschlagen, voriges Jahr ist es ihm sogar gelungen, den einst so angsteinflößenden Stadtrivalen mit 3:0 aus dem Millerntorstadion zu schießen - bislang war der HSV am Saisonende aber immer vor St. Pauli gestanden.

Andererseits: Ein Erfolg in der "Königsklasse aller Derbys", wie Walter das Duell nannte, könnte dem Radikalansatz des Trainers neue Legitimität verleihen. Und er könnte von aktuellen Dissonanzen um ein Strategiepapier ablenken, das der HSV-Präsident Marcell Jansen mit dem Ziel verfasst haben soll, seinen Einfluss zu stärken und etwaige Klubgremien zu beschneiden. Eine ziemlich technokratische Angelegenheit, die zeigt: Beim HSV sind nicht mal die Skandale noch das, was sie mal waren.

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