Hamburger SV in der zweiten Liga:Gleich mal ein paar Gramm mehr

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Immer wieder Heuer Fernandes: Der HSV-Torwart (rechts) war gut damit beschäftigt, Unzulänglichkeiten seiner Vorderleute auszubügeln, hier gegen Braunschweigs Philipp Strompf. (Foto: Martin Rose/Getty)

Unter der Last der Favoritenrolle tut der HSV einiges dafür, sich einem gelungenen Saisonstart zu verweigern - und siegt dank Stürmer Robert Glatzel doch 2:0 beim Aufsteiger Braunschweig.

Von Thomas Hürner, Braunschweig

Tim Walter trug natürlich wieder seine übliche Dienstkleidung, so tut er das immer, sobald die Temperatur bei mehr als 15 Grad liegt. Kapuzenpulli, Trainingsshorts, riesengroße weiße Turnschuhe - der Trainer des Hamburger SV mag es eben sportlich-leger, wenn schon der ein oder andere TV-Moderator an Zweitliga-Spieltagen so aussieht, als sei er oder sie gerade von der Erstkommunion eines Neffen gekommen. Nun sagt das noch lange nichts über die ideologische Grundhaltung eines Trainers aus, doch Walters Outfit repräsentiert schon auch das, was er von seinen Spielern sehen will: Bewegung und Dynamik, ein bisschen Anarchie und vor allem Pässe, Pässe, Pässe.

Doch was der Trainer sehen will, ist das eine; was er tatsächlich zu sehen bekommt, das andere. Und, nun ja, am Sonntag gab es für den HSV eher eine Begegnung der etwas anderen Art: Der Traditionsklub tat einiges dafür, um sich selbst einen gelungenen Saisonstart zu verweigern - und gewann nach zwei Treffern von Stürmer Robert Glatzel (67., 76. Minute) dennoch 2:0 beim Aufsteiger Eintracht Braunschweig. Es war eines jener Spiele, die immer dann zustande kommen, wenn ein rotzfrecher Außenseiter den Favoriten so lange ärgert, bis dieser sich doch genötigt sieht, einen Gang hochzuschalten. Immerhin: Den Hamburgern gelang ein Sieg, während einige Aufstiegsaspiranten bereits am ersten Spieltag strauchelten.

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Zu wenig war das aus HSV-Sicht dennoch, denn im Kader stehen reichlich Spieler, die nicht nur gerne in diesem Jahr bereits in der ersten Liga gespielt hätten, sondern auch locker die Qualität dafür mitbrächten. Der Torwart Daniel Heuer Fernandes etwa kann nicht nur Bälle halten, sondern diese Bälle auch ausgezeichnet mit seinem Fuß behandeln; doch auch in anderen Teilen der Mannschaft gelten ein paar Akteure als überqualifiziert für die zweite Liga.

Braunschweig war giftig und trotzig und hatte einen ebenso simplen wie effizienten Plan

Angesichts der für Zweitliga-Verhältnisse klangvollen Namen wie Laszlo Benes, Sonny Kittel oder natürlich Glatzel waren sich Experten einig, dass diesem Team in der neuen Saison eine Führungsrolle zuzutrauen ist. Das sehen auch die HSV-Verantwortlichen so: Der Aufstieg, der möge es jetzt doch bitteschön sein im fünften Jahr in der Zweitklassigkeit - dieses Ziel haben der HSV-Coach Walter und der Sportvorstand Jonas Boldt ausgegeben, daran werden sie sich im Mai 2023 messen lassen müssen.

Ein genaues Auge auf den HSV hat freilich auch die Zweitliga-Konkurrenz, die sich laut Meinungsumfragen bereits sicher ist, dass der erste Aufstiegsfavorit in dieser Saison ja nur Hamburg heißen kann. Das meinen die Konkurrenten sicher ernst, sie sind aber auch Taktiker in eigener Sache: Ein HSV, der unter Druck steht, war in der vergangenen Dekade selten ein erfolgreicher HSV.

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Im Spiel gegen den Aufsteiger Braunschweig zeigte sich, dass das HSV-Trikot gleich mal ein paar Gramm mehr wiegt, wenn die Leute viel von den Spielern erwarten, die in diesen Trikots stecken. Der Aufsteiger war giftig und trotzig und hatte einen so simplen wie effizienten Plan: den HSV so lange ärgern, bis in dieser jungen Mannschaft sämtliche aus der Wissenschaftsliteratur bekannten Stress- und Überforderungssymptome ausgelöst werden.

Braunschweig verteidigte größtenteils im hinteren Drittel, bei Ballgewinnen ging es aber in einem so irren Tempo nach vorne, dass die weit aufgerückte HSV-Abwehr um den Kapitän Sebastian Schonlau und Mario Vuskovic wirkte, als habe sie Bremsklötze zwischen den Beinen. Zumindest bei Vuskovic war das erstaunlich, denn der Kroate ist robust und schnell und eigentlich derjenige, der gegen gegnerische Konter absichern soll.

Kein Scherz: Zur Pause hätte die Eintracht 5:0 führen können

Dieses Risiko gehört zur Taktik von Walter, dessen Spielidee vor allem dann gut funktioniert, wenn man trotzdem deutlich mehr Chancen hat als der Gegner. In der ersten Halbzeit hätte es dafür aber ganz schön viele Chancen gebraucht. Braunschweig tauchte immer wieder in guter Position vor Heuer Fernandes auf, der aber alles von der Linie kratzte, was auf ihn zugeflogen kam. Es war eine Wahnsinnsleistung des HSV-Torwarts. Kein Scherz: Es hätte auch locker 5:0 für Braunschweig stehen können. Die Defensivleistung des HSV war mangelhaft, die harmlose Offensive verdiente sich die Note "ungenügend" - und die Eintracht-Fans im altehrwürdigen Stadion an der Hamburger Straße spürten, dass da etwas gehen könnte gegen den Nordrivalen aus Hamburg.

Hamburger Erlösung: Robert Glatzel (2. von rechts) erzielt per Kopf das 2:0 für den HSV (Foto: Susanne Hübner/Imago)

Im fünften Zweitliga-Jahr des HSV ist Walter der erste Coach, der in eine zweite Saison gehen darf, weshalb die Zuversicht groß war, dass die sogenannten Automatismen im Team nur geschärft und nicht komplett neu erfunden werden müssen. Der HSV zeigte sich nach dem Wiederanpfiff zwar verbessert, aber es fehlten die letzte Schärfe und Präzision. Es ergab sich daher ein ähnliches Bild wie in Halbzeit eins, im Fernsehen dürfte es vor allem von Heuer Fernandes ausgefüllt worden sein.

Denn während sich seine Vorderleute ein ums andere Mal in der Eintracht-Abwehr verhedderten, blieb der Torwart damit beschäftigt, deren Unzulänglichkeiten auszubügeln. Selbiges tat auch Stürmer Glatzel, nur eben in anderer Funktion: Mitte der zweiten Halbzeit traf er doppelt, per Rechtsschuss und per Kopf - und die Braunschweiger, die noch die Latte trafen und einen Elfmeterpfiff annulliert bekamen, verstanden ihre kleine Fußballwelt nicht mehr.

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