Ein Raunen ging durch die Halle, auch die ein oder andere Augenbraue zuckte nach oben. Hatte Thomas Wüstefeld, Vorstand des Hamburger SV, das gerade wirklich gesagt? In der Tat, das hatte er: Der HSV, verkündete Wüstefeld vor zwei Wochen bei der Mitgliederversammlung des Zweitligisten, werde das aktuelle Geschäftsjahr mit einer "schwarzen Null" abschließen, also erstmals seit zwölf Jahren kein negatives Ergebnis in der Bilanz ausweisen.
Wüstefeld grinste triumphierend, wie ein Illusionist, der gerade eine Zirkusnummer vor seinem Publikum aufgeführt hat. Nur: Das HSV-Publikum ist misstrauisch gegenüber frohen Botschaften geworden, kein Wunder, nach einer Dekade des Abstiegs und der enttäuschten Erwartungen. Und überhaupt, da war doch was: Die Sache mit den 23,5 Millionen Euro, die von der Stadt Hamburg an den HSV überwiesen wurden, damit das Hamburger Volksparkstadion vor der Fußball-Europameisterschaft 2024 auf Vordermann gebracht wird - wo ist es denn nun hin, das Geld?
Die HSV-Mitglieder wussten da schon längst Bescheid: Das Geld ist fast vollständig aufgebraucht, obwohl die Sanierungsarbeiten noch nicht einmal begonnen haben.
Der HSV musste Corona-Verluste mit den EM-Millionen stopfen
Dabei schien ein im September 2020 geschlossener Deal auf den ersten Blick nur Gewinner hervorzubringen: Der HSV, seinerzeit gebeutelt von coronabedingten Umsatzeinbußen und dem zweiten Nichtaufstieg, verkaufte sein Stadiongelände an die Stadt - für jene 23,5 Millionen Euro. Mit dem Erlös, so die Vereinbarung, sollten alle für die EM erforderlichen Sanierungen durchgeführt werden. Das war gut für den HSV, denn eine Modernisierung des in die Jahre gekommenen Volksparkstadions hätte mittelfristig ohnehin angestanden. Das war aber auch gut für die Stadt Hamburg, die sich seit jeher als stolze Sportstadt definiert. Eine EM ohne die hanseatische Millionenmetropole? Kaum denkbar. Überdies konnte die Stadt so verhindern, Geld in ein Stadion zu investieren, das ihr nicht einmal gehört. Im Vergleich zu dieser Variante erschien eine Quersubvention des HSV beinahe schon elegant.
Das Problem war nur: Die Pandemie spülte die Klubkassen leer, mehr als 30 Millionen Euro gingen dem HSV allein durch Zuschauerbeschränkungen verloren. Löcher, die der Klub auch mit den städtischen EM-Millionen stopfen musste.
Seit einigen Wochen nimmt der HSV-Vorstand Wüstefeld, zuständig unter anderem für das Ressort Finanzen, deshalb an einem Krisengipfel nach dem anderen teil, mit der Stadt, aber auch mit dem Fußball-Kontinentalverband Uefa. Seine Argumentationslinie: Der Deal sei von Beginn an ein Minusgeschäft für den HSV gewesen - und das sei es jetzt umso mehr, seit inflationsbedingt die Preise überall steigen. Uefa-nahe Kreise hingegen teilen die Einschätzung der Stadt Hamburg, dass die voraussichtlichen Kosten sich in einem niedrigen, siebenstelligen Euro-Bereich bewegen dürften. Unter anderem sollten das Stadiondach, die Fluchtlichtanlagen, die Anzeigetafel und die sanitären Anlagen erneuert werden. Wüstefelds Strategie sieht nun vor, dass nur das gemacht werden soll, was unbedingt nötig ist. Insbesondere mit der Uefa wurde zuletzt über Details geschachert: Müssen die Toiletten wirklich runderneuert werden - oder reichen vielleicht auch WC-Container vor dem Stadion? Hauptsache, die Kosten gehen runter.
Von der Stadt wird es kein Geld mehr geben - der HSV muss dennoch die Sanierung fristgerecht erledigen
Wüstefeld hatte damit offenbar Erfolg, ein Entzug der fünf EM-Spiele soll laut Uefa kein Thema mehr sein. Allerdings werde es definitiv "keine weiteren Zuschüsse" geben, wie die Stadt Hamburg auf SZ-Nachfrage mitteilt. Es liegt nun also allein am HSV, wie die Sanierungsarbeiten fristgerecht erledigt werden.
Undurchsichtig bleibt, wer Schuld an der Misere hat. Für den HSV verhandelt hatte den Deal damals Frank Wettstein, der Vorgänger Wüstefelds im Vorstand des Traditionsklubs. Aus Vereinskreisen sind geteilte Meinungen über das Wirken des im Januar dieses Jahres ausgeschiedenen Finanzchefs zu hören. Die einen finden, Wettstein sei nichts anderes übrig geblieben, als das EM-Geld für den laufenden Betrieb aufzuwenden. Andere verwenden schon mal das Wort "Veruntreuung", was jedoch rechtlich kaum haltbar ist: Die 23,5 Millionen Euro waren nicht "zweckgebunden". Sollte der HSV die Modernisierung "schuldhaft nicht durchführen", würde deshalb lediglich eine Strafzahlung in Höhe von zehn Prozent des Verkaufspreises des Grundstücks fällig.
Wüstefeld, seit Oktober vergangenen Jahres auch Anteilseigner an der HSV Fußball AG, verweist stets darauf, dass die EM-Millionen bereits vor seinem Eintritt in den HSV-Vorstand fast vollständig aufgebraucht waren. Was der Medizinunternehmer aber noch nicht genauer erklärt hat: Wie war es möglich, in Rekordzeit eine schwarze Null in die HSV-Bilanz zu zaubern?