Hamburger SV:Klub der Machtspiele

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Michael Mutzel, links, ist nicht mehr Sportdirektor. Er soll sich mit Sportvorstand Jonas Boldt, rechts, überworfen haben. (Foto: Oliver Ruhnke/Imago)

Im fünften Versuch soll es beim HSV endlich, endlich klappen mit dem Aufstieg. Doch hinter den Kulissen bleibt es turbulent - wie die Entlassung von Sportdirektor Michael Mutzel zeigt.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Niemand würde leugnen, dass der Hamburger SV ein eher komplizierter Fußballklub ist, dafür gibt es reichlich historische Belege. Manchmal versetzt der HSV sein Publikum aber ins Staunen. Neulich gab es, nur so als Beispiel, einen Mini-Eklat um den neuen Trikotsponsor, der zwar gutes Geld, dummerweise aber die falschen Firmenfarben mitbrachte: Grün und Weiß. Diese Farben sind exakt deckungsgleich mit der traditionellen Dienstkleidung des Nordrivalen Werder Bremen, weshalb dieses Geschäft laut einhelliger Meinung unter Hamburger Anhängern natürlich gar nicht ging.

Also, was tun? Die HSV-Führungskräfte mussten etwas leisten, wofür sie in den vergangenen Dekaden nicht unbedingt bekannt waren. Sie mussten eine Lösung finden, die alle Parteien zufriedenstellt, am besten herbeigeführt mit vertrauensvollen Gesprächen und unter strenger Vermeidung von Beiß- und Kratzattacken unter den handelnden Personen. Et voilá: Das miteinander Reden bei gleichzeitiger Aussparung des übereinander Redens sorgte dafür, dass die Sache schnell erledigt war. Die Versicherungsgruppe willigte ein, dass ihr Firmenlogo einfach in Schwarz und Weiß auf die Leibchen gedruckt wird, und wer die neuen HSV-Trikots gesehen hat, wird in dieser pragmatischen Entscheidung auch ästhetische Vorzüge erkennen.

Der HSV steckt mal wieder am meisten Geld in sein Zweitliga-Team - reicht das diesmal für den Aufstieg?

Siehe da: Der Zorn des HSV-Volkes wurde erfolgreich abgewendet, so einfach kann's manchmal gehen. Ansonsten sind die Dinge aber mal wieder kompliziert beim Traditionsklub.

An diesem Sonntag startet der HSV in Braunschweig (Anpfiff 13.30 Uhr) in sein fünftes Zweitliga-Jahr, was selbst in den Augen neutraler Beobachter fünf Zweitliga-Jahre zu viel sind. Man könnte nun meinen, dass mit dem permanenten Sitzenbleiben allmählich Abnutzungseffekte einsetzten, die den früheren Meister und Europapokalsieger in ernsthafte Gefahr bringen könnten, noch ein bisschen tiefer zu stürzen.

Doch im Gegenteil, auf den ersten Blick wirkten die Startbedingungen selten besser für die Hamburger als diesmal. Sie haben, mal wieder, den mit Abstand höchsten Etat im Teilnehmerfeld und daraus eine Mannschaft gebastelt, die vom HSV-Coach Tim Walter in der Kunst des Ballbesitzfußballs geschult wurde. Die HSV-Spieler lieben Walter, Walter liebt seine Spieler - und gemeinsam verzückt sie sicherlich der Umstand, dass Werder und Schalke die Liga verlassen haben und deren Platz nicht von anderen großen Namen eingenommen wurde. Zudem war der HSV in der Vorsaison in der Aufstiegsrelegation ja nur knapp an Hertha BSC gescheitert. Da müsste es jetzt doch - endlich, endlich - klappen mit der Rückkehr in die Erstklassigkeit?

In der HSV-Führungsetage toben die gewohnten Machtkämpfe und Intrigen

Das Problem ist nur: Auf den zweiten Blick tun sich Abgründe auf, die HSV-Fans für das Werk eines zornigen Fußballgottes halten müssen, der eine Riesenfreude hat, ihnen das Leben schwer zu machen. Vielleicht sind aber mal wieder bloß die HSV-Verantwortlichen Schuld.

Das Innenleben des Klubs ließe sich am ehesten mit einer Staffel von Game of Thrones vergleichen, nur dass die Akteure glücklicherweise noch davon absehen, ihre Gegner per Dolchstoß zu eliminieren. Ansonsten lassen sich ähnliche Prinzipien wie in der TV-Serie besichtigen: Intrigen, Machtspielchen, Manipulation - und irgendwann wird irgendjemand aus der Geschichte befördert. Am Donnerstag traf es das schwächste Glied im Gefüge, den Sportdirektor Michael Mutzel. Der wurde von seinem Vorgesetzten, dem Sportvorstand Jonas Boldt, freigestellt und bekam als Dank für seine Arbeit eine knappe Pressemitteilung serviert, in der auf jegliche Art von Danksagung verzichtet wurde. Doch auch so ist es eine nicht unbedingt handelsübliche Maßnahme, den Sportdirektor vor die Tür zu setzen, wenn das Transferfenster noch sieben Wochen geöffnet ist.

Wie es dazu kommen konnte? So genau lässt sich das nicht sagen, die Erzählungen unterscheiden sich da. Boldt jedenfalls hat einen Zeitpunkt identifiziert, an dem er sich von Mutzel hintergangen fühlte: der 10. April, als der HSV in der Vorsaison in Kiel verlor und alle Aufstiegshoffnungen beseitigt schienen, ehe die Mannschaft zu einem schwungvollen Schlussspurt ansetzte. Mutzel, heißt es, habe sich intern von seinem Vorgesetzten Boldt, dem Trainer Walter und dem Team distanziert, womöglich, um als Profiteur einer möglichen sportlichen Krise hervorzugehen. Das wird von Mutzel freilich anders erzählt, doch für diese Version spricht, dass Walter und die Spielerkabine das ähnlich aufgefasst und sich öffentlich hinter dem Zwei-Meter-Manager Boldt positioniert haben. Wer je Fußball gespielt hat, weiß: So eine Kabine irrt selten, wenn es um die Unterscheidung zwischen Rücken- und Gegenwind geht.

Der HSV-Sportvorstand Jonas Boldt entmachtete seinen leitenden Mitarbeiter Michael Mutzel

Die öffentliche Meinung ist in diesem Zusammenhang wichtig, denn unter den HSV-Fans gibt es eine klare Mehrheit, den sogenannten "Weg der Entwicklung" weiterzugehen - mit Boldt, Walter und einem jungen Team, das ausgezeichnet Fußball spielen kann. Eine Dimission des beliebten Sportvorstands wäre deshalb kaum zu verkaufen gewesen, was aber wiederum - und jetzt wird's kompliziert - andere HSV-Führungskräfte offenbar gerne gesehen hätten. Denn auch das Verhältnis zwischen Boldt und anderen Parteien - dem Aufsichtsratschef und HSV-Präsident Marcell Jansen und seinem Vorstandskollegen Thomas Wüstefeld - gilt als vorbelastet.

Jansen und Wüstefeld waren sich nach dem besagten Kiel-Spiel offenbar einig, dass das Sportressort eine Neuausrichtung vertragen könnte - unter Leitung des Sportdirektors Mutzel? Zumindest eine Option soll eine Beförderung Mutzels dem Vernehmen nach gewesen sein, und es wundert kaum, dass Boldt von diesem Gedankenexperiment wenig begeistert war. Kurz nach Saisonende schickte der Sportchef seinen leitenden Mitarbeiter dann in eine Art innerbetriebliche Paria und untersagte ihm den Zugang zur Kabine, was in der Lokalpresse stellenweise als "Enteierung" Mutzels interpretiert wurde.

Dass dort parallel auch Aufmacherstorys über den Finanzchef Wüstefeld geschrieben standen, in denen dem Medizinunternehmer fragwürdige Geschäftspraktiken vorgeworfen wurden, rundete das Gesamtbild des Traditionsklubs angemessen ab, zumal der HSV-Anteilseigner eine merkwürdige Rolle einnimmt: Wüstefeld wurde interimsmäßig in den Vorstand entsandt, soll aber im Dezember in den Aufsichtsrat zurückkehren - und könnte dann über die Zukunft Boldts mitentscheiden, mit dem er nicht nur in einigen Sachfragen überkreuz liegt.

Angesichts solcher Vorgänge ist es durchaus erstaunlich, dass die Hamburger ihren Kader im Transfersommer gezielt verstärken konnten. Die Säulen im HSV-Team konnten allesamt gehalten werden und in Spielmacher László Bénes (Borussia Mönchengladbach) und Angreifer Ransford-Yeboah Königsdörffer (Dynamo Dresden) wurden zwei hochbegabte Akteure verpflichtet, die perfekt ins System von Walter passen. Überdies demonstriert das gesamte Sportressort großen Zusammenhalt, es scheint, als habe sich zwischen Mannschaft, Trainer und Sportchef ein Wir-gegen-den-Rest-Gefühl ausgebreitet, das die Hamburger zurück in die erste Liga tragen könnte.

Was da noch schiefgehen kann? Nun ja, es ist und bleibt der HSV.

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