Hertha BSC:Auf der Tribüne weint der Präsident vor Glück

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Erstes Saisontor, erster Heimsieg: Mit seinem späten 2:1 verschafft Wilfried Kanga (links, mit Marco Richter und Dodi Lukebakio) den Berlinern einen Moment der kollektiven Ekstase. (Foto: Matthias Koch/Imago)

Wenn das Wollen zum Müssen wird: Hertha BSC darf dank des ersten Heimsiegs gegen Schalke durchatmen - auch weil Stürmer Wilfried Kanga das in ihn gesetzte Vertrauen zurückzahlt.

Von Javier Cáceres, Berlin

Es bedurfte keines Teleobjektivs, um zu sehen, welch ein Druck am Sonntagabend von den Verantwortlichen bei Hertha BSC abfiel. Aber es half.

Der FC Schalke war zu Gast gewesen, hatte sich selbst durch einen absurden Torwartfehler von Alexander Schwolow bei einem Schuss von Lucas Tousart (49. Minute) auf die Verliererstraße gebracht, ehe er durch ein Tor von Florent Mollet (85.) noch ausglich und damit Herthas Geister der jüngeren Vergangenheit heraufbeschwor. Kaum 120 Sekunden später aber vollzog sich doch noch das, was Herthas Kapitän Marvin Plattenhardt "eine tolle Geschichte" nennen sollte: Wilfried Kanga erzielte seinen ersten Saisontreffer, sicherte somit ein 2:1, den ersten Heimsieg der Spielzeit - und stürzte die Schalker in den tiefsten Schacht der Tabelle. Und das Teleobjektiv half, um zu sehen, wie sich in den Augen des Präsidenten der Hertha, in den Augen des einstigen "Ultras" Kay Bernstein, Tränen angesammelt hatten.

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Was sich da Bahn brach, war eine Mischung aus Erleichterung und Bestätigung, und vielleicht auch Dankbarkeit darüber, dass endlich - endlich! - das Früchte trägt, was sie im Berliner Westend schon seit Monaten beschwören: den sogenannten Neuanfang unter Bernstein und dem noch immer neuen Trainer Sandro Schwarz.

Hertha-Trainer Schwarz ist glücklich über einen "dreckigen Sieg"

Die Hertha hatte an den ersten zehn Spieltagen immer wieder mal an Siegen gekratzt und auch viel Anerkennung für immaterielle Errungenschaften wie den erkennbar vorwärts gerichteten Spielstil erfahren. Nur: Am Ende fehlten doch die Siege und damit auch die Selbstsicherheit, was man gegen kratzbürstige und willige Schalker merkte. Die Hertha spielte erkennbar beladen auf. "Wir haben die ganze Woche gesagt: 'Wir wollen gewinnen'; haben aber gemerkt: 'Wir müssen gewinnen!'", sagte Trainer Schwarz, ehe er sich glücklich zeigte "über diesen dreckigen Sieg", es war ja doch ein Spiel aus der Kategorie Trash-Fußball. Das Glücksgefühl galt aber auch dem Umstand, dass Wilfried "Willi" Kanga unter Beweis stellte, dass er ins Tor zu treffen weiß.

Kanga, 24, war im Sommer von den Young Boys Bern zur Hertha gewechselt, was eine kuriose Binnengeschichte mit sich brachte. Herthas Nachbar Union, trotz der Niederlage vom Sonntag Tabellenführer der Bundesliga, hatte sich ja ebenfalls bei "YB" bedient und seinen torgefährlichsten Stürmer der vergangenen Saison, Taiwo Awoniyi, durch Jordan Siebatcheu ersetzt.

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Die Binnengeschichte erzählte ein im Ausland tätiger deutscher Trainer vor einigen Wochen, fast schon amüsiert. Er habe der Hertha vor Jahren zur Verpflichtung von Awoniyi und später auch zu Siebatcheu geraten. Solche Geschichten, dass Klubs Spieler übersehen, die ihnen weiterhelfen können, kommen immer wieder einmal vor, einerseits.

Andererseits war beachtlich, welch tragikomische Dynamik dies entwickelte. Awoniyi macht sich, nachdem er Union in die Europa League schoss, bei Nottingham Forest einen Namen, und Siebatcheu traf für Union seit Ankunft vier Mal in Pflichtspielen. Und Westend-Willi? Wollte zwar. Nur: Er konnte nicht. Immer wieder wurden ihm vom Trainer Schwarz und Manager Fredi Bobic (zu Recht) Fleißkärtchen überreicht, er rieb sich stets zur Zufriedenheit der Vorgesetzten und Kollegen im Kampf gegen Ball und Gegner auf. Aber erst jetzt, am zehnten Spieltag, traf er - nach einem wunderbaren Pass in die Tiefe von Stevan Jovetic, der im kleinen Zeh mehr Fußball hat als die halbe Berliner Mannschaft und nahezu die ganze Schalker Mannschaft zusammen, und überwand Torwart Alexander Schwolow zum 2:1.

Nach seinem Treffer rennt Kanga erst in die Kurve, dann zu seinem Trainer, um Danke zu sagen für das Vertrauen

Kangas erster Weg führte ihn über die Werbebande hinweg in die Ostkurve; der zweite zu Trainer Schwarz, der hinterher nicht mehr wusste, was ihm der franko-ivorische Stürmer gesagt hatte. Wobei die bloße Geste aussagekräftig genug war: Merci. "Ich habe immer Vertrauen gehabt", sagte Kanga hinterher, ähnlich glücklich, wie es Trainer Schwarz nach einem "brutal schweren Spiel" war: "Wir wissen alle, was wir an Willi haben. Es passt zu diesem Tag, der für uns dann natürlich auch perfekt war." Für Schalke auf der anderen Seite eher nicht.

Was eine Reihe von Fragen drängender werden ließ. Interimstrainer Matthias Kreutzer soll möglichst bald von einer Dauerlösung ersetzt werden, am Montag sollten angeblich finale Gespräche mit Thomas Reis stattfinden; er war zuletzt Trainer beim VfL Bochum. "Die Prüfungsphase ist in den letzten Zügen, es wird nicht mehr lange dauern", sagte Schalkes Sportvorstand Peter Knäbel. Bei Bild-TV sagte er, dass man sich einer möglichen Finanzspritze des früheren Schalke-Chefs Clemens Tönnies nicht verschließen würde. Nach dem monumentalen Patzer von Schwolow beim 0:1 dürfte sich die Debatte, ob Schalke einen neuen Torwart gebrauchen könnte, wohl verselbständigen.

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