Hertha BSC:Der "Berliner Weg" wird immer länger

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Marco Richter war als Kapitän bei Hertha BSC angedacht, nun hat er sich lieber Mainz 05 angeschlossen. (Foto: Claus Bergmann/Imago)

Der Kaderumbau bei Bundesliga-Absteiger Hertha BSC geht voran - aber nur in eine Richtung. Renommierte Profis wie Lukebakio, Richter und Serdar gehen - und der geplante Königstransfer Diego Demme sagt offenbar ab.

Von Javier Cáceres, Berlin

Vor ein paar Monaten war Diego Demme in Berlin, und er soll vom Empfang durch die Verantwortlichen von Hertha BSC sehr angetan gewesen sein. Nahezu gerührt. Sie hatten eine Schatulle mitgebracht, in der die Spielführerbinde lag. Man habe ihm ein interessantes Projekt zu bieten, und er solle es anführen. Als Kapitän. Man wolle ihn, unbedingt. Das schmeichelte Demme nicht nur, es passte auch in seine Lebensplanung. Zurzeit ist er Spieler der SSC Neapel, und die Liebe, die dort einem Diego entgegengebracht wird, kann sehr erdrückend sein. Doch aus dem Demme-Traum Berlin und dem Hertha-Traum Demme wird aller Voraussicht nach: nichts.

Aus Demmes Umfeld verlautete schon zu Wochenbeginn, dass die Chancen auf einen Wechsel "auf ein Prozent" gesunken seien. Nun heißt es, dass er bereits abgesagt habe - offenbar auch, weil er sich im Fall einer Auflösung seines bis 2024 laufenden Vertrags eine höhere Abfindung versprochen hatte, um die Verluste durch das selbstredend niedrigere Gehalt in Berlin abzufedern. Tja.

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Für Hertha ist diese Nachricht vor dem Spiel gegen die SpVgg Greuther Fürth (Samstag, 13 Uhr) in vielfacher Hinsicht bitter. Sportlich, weil es an zentralen Mittelfeldspielern brutal mangelt. Atmosphärisch, weil der Anhang Herthas sich von Demme ein Diego-Wunder versprach, wie es einst sein Namensgeber Maradona in Neapel bewerkstelligte. Und nun? Klemmt die Eingangstür zur Kabine der eigenen Mannschaft - und die Ausgangstür steht sperrangelweit offen.

In dieser Woche wurden die mutmaßlich renommiertesten Kadermitglieder verabschiedet: Marco Richter, erst vor wenigen Wochen zum Kapitän erkoren und mit der magischen "Nummer 10" versehen, ging zu Mainz 05. Suat Serdar wurde an Hellas Verona verliehen. Und der Belgier Dodi Lukebakio ging zum FC Sevilla. In allen Fällen musste Hertha dramatische Wertberichtigungen verbuchen. Richter war 2021 für sieben Millionen Euro aus Augsburg gekommen und ging nun für kolportierte drei Millionen Euro; Serdar kostete im selben Jahr acht Millionen Euro und konnte nun lediglich verliehen werden; für Lukebakio überwies Hertha 2019 20 Millionen Euro an den FC Watford, jetzt zahlt der FC Sevilla eine Grundablöse von immerhin 8,5 Millionen Euro, auf die eine Million Euro an erfolgsabhängigen Boni draufgeschlagen werden könnten. Dazu kommen zwei Millionen für weitere "Add-One", die als unrealistisch gelten. Dazu: eine zehnprozentige Weiterverkaufsbeteiligung. Positiv für Hertha: Es werden Gehälter eingespart. Negativ: Die Löcher im Kader bleiben.

Zwar beteuerte Herthas Sportdirektor Benjamin Weber am Donnerstag, dass Hertha "immer noch ein großer Verein" sei und es "viele Spieler gibt, die ein Interesse haben", zu Hertha zu wechseln. Aber die Beispiele Demme und Richter spiegeln die Realität wohl etwas besser. Der von Präsident Kay Bernstein ausgerufene "Berliner Weg" - der für die Besinnung auf hehre Werte und Spieler aus der eigenen Akademie steht - wird lang und länger.

Hertha-Präsident Bernstein attackiert einen Sponsor und Marketingpartner

"Wir haben alles versucht", sagte Dardai zum Fall Richter. Aber er sei nun 25 Jahre, habe Qualität und Angebote, da sei es legitim zu gehen, wenn es nach drei Niederlagen und null Toren aus drei Spielen objektiv so aussieht, als sollte es "vielleicht drei, vier Jahre" dauern, bis Hertha wieder nach oben geht. Und Demme? Dieser Fall steht letztlich auch nur stellvertretend für die steigende Zahl von Spielberatern, die von Hertha abraten. Auch wegen der "wirtschaftlichen Rahmenbedingungen", die Sportdirektor Weber am Donnerstag ein ums andere Mal bemühte. "Wenn ihr einen Sponsor kennt, der 100 Millionen Euro zahlt - sagt Bescheid", rief Dardai am Donnerstag im Pressesaal. Womit man auch schon bei den Negativschlagzeilen wäre. Und ausnahmsweise nicht beim Strafermittlungsverfahren gegen den Torwart Marius Gersbeck wegen schwerer Körperverletzung in Österreich. Sondern zum Beispiel bei der Frage, wie Hertha mit seinen Partnern gerade umgeht, und ob man auf den Teller spucken sollte, von dem man isst, wie der Stürmer Cristiano Ronaldo in anderem Zusammenhang einmal sagte.

Hertha-Präsident Kay Bernstein mag eigentlich keine Wettanbieter als Sponsoren, doch nun werben die Berliner auf ihren Trikots für einen ebensolchen. (Foto: Luciano Lima/Beautiful Sports/Imago)

Denn unter der Woche brodelte es hinter den Kulissen vernehmlich, nachdem Äußerungen von Vereinspräsident Kay Bernstein beim Fantalk "Volksparkett" in Hamburg groß in der örtlichen BZ landeten. Nachdem Bernstein vor einem Jahr gesagt hatte, dass er "kein dreckiges Wettgeld" annehmen wolle, und es eines Vereins wie Hertha "unwürdig" sei zu sagen: "Wir brauchen aber das Geld", landete auf der Brust des Hertha-Trikots: ein Wettanbieter. "Es ist nur ein Jahr, es ist aushaltbar", sagte Bernstein nun, der Verein müsse "Vollgas bei der neuen Suche geben", damit das Logo der Firma Crazybuzzer spätestens im Sommer 2024 wieder vom Trikot verschwinden kann. Auch den Marketingpartner Sportfive, der für Hertha seit 1994 Partner sucht, kritisierte er scharf. Es stelle sich die Frage, "wie gut der Vermarkter gearbeitet hat, wenn es nur die eine Option gab".

Das sind überraschende Breitseiten gegen Firmen, die immerhin für knapp zwei Millionen Euro bürgen. Diese spielten bei der lange am seidenen Faden hängenden Erteilung der Profi-Lizenz eine bedeutsame Rolle. Crazybuzzer reagierte souverän: "Wenn man eine Partnerschaft mit einem Fußballklub eingeht, dann muss das keine Liebesheirat sein. Es ist ein Zweckbündnis, von dem beide Teile Nutzen haben sollen", man werde "mit Gelassenheit und Optimismus" versuchen, "auch kritische Herthaner davon zu überzeugen, dass wir gute Partner sind". Auch Sportfive-Geschäftsführer Hendrik Schiphorst übermittelte eine Stellungnahme, die sich diplomatisch las - aber doch Verärgerung erkennen ließ.

Den Vorwurf, schlecht gearbeitet zu haben, wies Sportfive zurück: "Die Hauptsponsorensuche hat sich in den vergangenen Monaten, auch aufgrund der unklaren Ligazugehörigkeit von Hertha BSC, durchaus anspruchsvoll gestaltet", teilte er mit. Und dennoch: Sportfive sei "sehr stolz, Hertha BSC in der Dotierung einen der Top-5-Verträge der 2. Bundesliga vermittelt zu haben". Über Vertragsinhalte schwieg sich Schiphorst grundsätzlich aus; eines wollte er aber schon loswerden: "Die letztliche Entscheidungshoheit über die Annahme eines Sponsorenangebots liegt immer bei Hertha BSC."

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