Hertha BSC:Nach dem Abstieg ein Hauch von Apokalypse

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Improvisierte Medienrunde nach Wolkenbruch: Hertha-Trainer Pal Dardai. (Foto: Engler/Nordphoto/Imago)

Ein vom Regen ersäufter Trainingsauftakt, ein noch sehr unförmiger Kader - und große Geldsorgen: Bundesliga-Absteiger Hertha BSC legt einen Stotterstart in eine schwierige Zukunft in der zweiten Liga hin.

Von Javier Cáceres, Berlin

Am Dienstagvormittag nahm Hertha BSC die Trainingsarbeit für die neue Saison auf, und das war deshalb allein schon eine Nachricht, weil der Weg auf den Rasen erst im zweiten Anlauf gelang. Ursprünglich war der Start auf Montagnachmittag terminiert worden, rund 70 Fans waren kurz vor 16 Uhr erschienen. Doch dann grollte es in der Ferne, Blitze fuhren vom Himmel nieder, und ein Platzregen setzte ein, der den Pelz der Spieler nur deshalb nicht nassmachte, weil sie in der Kabine bleiben durften. Die Fans, die auch nach dem Abstieg ein Herz für Hertha haben, flüchteten in den Fanshop, wo Regenschirme - muss man sagen: natürlich? - nicht vorrätig waren. Als sie zur Tür hinausblickten, sahen sie, wie sich die Parkfläche in ein kleines Westend-Venedig verwandelte.

Auf den Abstieg folgte, wenn man so will, ein Hauch von Apokalypse. "Wenn es so anfängt, kann's nur ein besseres Ende geben", sagte Trainer Pal Dardai in einer improvisierten Medienrunde.

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In den Fußballstadien wurde zuletzt viel gezündelt - vor allem junge Fans fühlen sich an Szeneregeln nicht mehr gebunden. Fanvertreter fordern von Politik, Polizei und DFB, "in den Kurven die klugen Köpfe zu stärken".

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Improvisiert war sie insofern, weil sie vom Trainingsplatz in den Pressesaal verlegt werden musste. Und als sich dort alle Kameras positioniert hatten, wurde neuerlich umdisponiert. Denn um zu vermeiden, dass im Rücken des alten und neuen Trainers die alte Sponsorenwand mit Logos abtrünniger Gönner zu sehen ist - für die neue Saison hat Hertha noch keinen Trikotwerbepartner -, wurde Dardai in einen anderen Raum gebeten, mit einem Großformat-Foto, auf dem das Dach des Olympiastadions in den Regenbogenfarben zu sehen ist. Dardai gab sich aufgrund der Gesamtumstände mystisch-religiös und schicksalsergeben: "Trainer plant, Gott entscheidet."

Weitaus größere Probleme als das Wetter bereitet dem Ungarn aber im Moment etwas Anderes: Er weiß nicht, welche und wie viele Spieler zur Verfügung stehen werden, wenn das mitten in der Sanierung steckende Fußballunternehmen Hertha am 28. Juli zum ersten Spieltag der zweiten Liga antritt. Und noch weniger weiß Dardai, wie die Belegschaft am Ende des Sommertransferfensters (1.September) aussehen soll. Denn Hertha hatte bis zum 12. Juni um die Lizenz zittern müssen.

Zurzeit stehen auf dem Papier 40 Profis unter Dardais Kommando. Wegen Abstellungen zu Nationalteams und noch laufender Leihverträge waren zum Saisonstart nur 20 davon da, darunter sechs Torhüter, aber kein etatmäßiger Linksverteidiger, weil Maximilian Mittelstädt nach Stuttgart gewechselt ist und Marvin Plattenhardt wohl auch gehen soll. Andererseits: Was wäre Hertha ohne Kaderunwuchten? Ebent, wie der Berliner sagt.

Er wolle "nicht falsche Hoffnung aufbauen", sagt Trainer Dardai - Stand jetzt sei Hertha kein Wiederaufstiegskandidat

Im Idealfall werden diese Unwuchten noch ausgeglichen, und zwar von "Benny, Tom, Kay und Zecke", wie Pal Dardai sagt, wenn er von Manager Weber, Geschäftsführer Herrich, Präsident Bernstein und vom Lizenzspieler-Abteilungsleiter Neuendorf spricht. Sie alle arbeiteten rastlos an einer Runderneuerung. "Es ist kein Kader, wo du noch ein, zwei Spieler loswerden und zwei, drei dazuholen willst", betonte Dardai, sondern es geht jeweils um ein Vielfaches davon.

Nach außen gibt sich der Coach genügsam: Zum Beginn des Trainingslagers (12. Juli) einen Kader zu haben, mit dem er zielgerichtet arbeiten könnte, würde ihm schon reichen. Er selbst will bei der wirtschaftlichen Gesundung des Klubs helfen ("ich arbeite im Vergleich zu früher für weniger als die Hälfte") - und beim Umbau des Kaders kündigt er an, gnadenlos auszusieben: "Der böse Pal ist hier. Mit faulen Menschen werde ich nicht arbeiten!", warnte Dardai: "Kann sein, dass der eine oder andere sich sehr schnell in der Kabine findet - oder in einer anderen Kabine."

Bislang gestalten sich Ausmusterungen allerdings schwierig - mal davon abgesehen, dass sich Hertha von Akademie-Leiter Pablo Thiam und Mediendirektor Max Jung getrennt hat. Ein paar Spieler, die theoretisch einträglich wären, haben die Berliner ja durchaus auf Lager. Angreifer Dodi Lukebakio zählt dazu, ebenso Lucas Tousart oder Suat Serdar, und auch noch da ist der polnische Stürmer Krzysztof Piatek, der mal mehr als 25 Millionen Euro Ablöse gekostet hat. Sein Vertrag läuft bis 2025, er hatte in der ersten Liga Anspruch auf bis zu 6,7 Millionen Euro brutto pro Jahr, auf die er ungern verzichten würde - was potenzielle Interessenten abschrecken dürfte. Immerhin reduziert sich auch sein Gehalt in der zweiten Liga erheblich.

Schutzlos im Sommer-Unwetter: Fans von Hertha BSC suchen ein halbwegs trockenes Fleckchen. (Foto: Andreas Gora/dpa)

Und manchmal kommt bei Hertha auch Pech dazu: Innenverteidiger Agustín Rogel soll gegen seinen Willen gehen, nun hat er sich aber das Knie dermaßen lädiert, dass er operiert werden musste, womit er vorerst nicht vermittelbar ist. Denn es gibt nicht so viele Vereine auf der Welt, die kniekranke Spieler holen, abgesehen von Hertha natürlich. Verkaufspläne anderweitig desavouiert hat Jean-Paul Boëtius, er kündigte frist- und formgerecht, hinterlässt also keinen Euro in der Hertha-Kasse. U21-Nationalspieler Jessic Ngankam weckt aktuell Interesse, den aber würde Hertha gern behalten. Nur: Ohne Verkäufe keine Einnahmen, ohne Einnahmen keine Aussicht auf namhafte Zugänge, "und wenn wir zum Schluss kein Geld und keine Spieler haben", sagte Pal Dardai, dann werde es mit dem sofortigen Wiederaufstieg schwer.

Dardai findet: "Mit Jugendspielern können wir mit Mentalität ein Haus von unten aufbauen."

Vor ein paar Wochen war dieser vom Verein noch als fundamental bezeichnet worden: "Unter Annahme eines Wiederaufstiegs in die 1. Bundesliga nach einer Saison in der 2. Bundesliga" sei man zuversichtlich, zur Saison 2024/25 ein ausgeglichenes Betriebsergebnis vorlegen zu können, hatte Hertha mitgeteilt, als der Klub bei den Gläubigern einer 40-Millionen-Euro-Anleihe darum bat, die ursprünglich im November fällige Rückzahlung bis 2025 aufzuschieben. Zuletzt sagte Präsident Kay Bernstein jedoch im Kicker-Interview, Hertha BSC würde auch ein zweites Jahr in der zweiten Liga gut vertragen.

Angesichts der Schulden, die sich im Unterhaus schlechter abbauen lassen, könnte diese Einschätzung bei Wiedervorlage zu einem neuen Bumerang für ihn werden - Bernstein ist ja auch schon rege unter die Nase gerieben worden, dass er im Dezember gesagt hatte, Hertha sei "durchfinanziert". Womöglich ging es bei seinen neuen Aussagen nur darum, Druck von Dardai zu nehmen. Der Trainer selbst sagte, er wolle und werde "nicht falsche Hoffnung aufbauen", Hertha sei - Stand jetzt - kein Aufstiegskandidat. "Mit Jugendspielern können wir mit Mentalität ein Haus von unten aufbauen", erläuterte Dardai.

An seinem Urlaubsort in Ungarn habe er Besuch von Hertha-Fans bekommen - und sich darin bestärkt gesehen, dass die ein Team sehen wollten, das sich für die Hertha-Fahne zerreiße. Dabei bauen alle auf Dardai. Der Dauerkartenverkauf hat jetzt schon das Vorjahresniveau übertroffen.

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