Schweden bei der Handball-EM:"Wofür haben wir ein Regelbuch?"

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Elohim Prandi (vorne rechts) feuert den Ball an der schwedischen Abwehrmauer vorbei ins Tor. Aber lief das regeltechnisch alles korrekt ab? (Foto: Eibner/Imago)

Der Frust der Schweden nach dem ungemein sehenswerten, aber möglicherweise irregulären Freiwurftor der Franzosen im Halbfinale ist weiter groß. Der Verband fordert eine Regeländerung.

Von Ralf Tögel, Köln

Da stand er nun, in einem weißen T-Shirt, mit seinen tätowierten, muskelbepackten Oberarmen, dem mächtigen Brustkorb - und einer lustigen Mütze auf dem Kopf, um das lange Haar zu bändigen. Elohim Prandi musste seinen Wurf immer und immer wieder erklären. Diesen schier unglaublichen Kunstwurf, mit dem er dem Olympiasieger das vorzeitige Turnier-Aus erspart hatte. Der französische Rückraumspieler war bei den Medien ein gefragter Mann, schließlich hatte er trotz aller sehenswerten Paraden, Spielzüge und Würfe den Moment bei dieser Handball-Europameisterschaft in Deutschland geliefert.

Als er vor den knapp 20 000 Menschen in der einmal mehr ausverkauften Kölner Arena und den knapp zehn Millionen daheim vor den TV-Bildschirmen diesen direkt geworfenen Freiwurf in das Tor der Schweden hämmerte, als die Spielzeit bereits abgelaufen war. Damit hatte Prandi die Franzosen in die Verlängerung gerettet, in der sich der Olympiasieger gegen den sichtlich entsetzten Europameister letztlich mit 34:30 (27:27, 17:11) Toren durchsetzte.

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Aber verdient? Zumindest Jim Gottfridsson, der schwedische Spielmacher von der SG Flensburg-Handewitt, war da anderer Ansicht: "Wofür haben wir ein Regelbuch? Es gibt den Videobeweis genau für solche Situationen, und dann wird er nicht herangezogen. Das kann doch nicht sein. Es geht mir nicht nur um uns, es geht um den gesamten Handballsport."

Prandi war beim Wurf nach rechts abgeknickt, um an der riesigen schwedischen Spielermauer vorbeizuwerfen, dann jagte er den Ball im Fallen am verdutzten schwedischen Torhüter Andreas Palicka vorbei mit gefühlter Überschallgeschwindigkeit unter die Latte. Der befand zwar, dass so ein Wurf nur ein Mal von hundert Versuchen sein Ziel finde, zur Regelfrage wollte Palicka aber keinen Kommentar abgeben.

Prandis Teamkollege Kentin Mahé dagegen sprach verzückt und nicht unzutreffend von einem "Raketenwurf", den man nicht alle Tage bewundern könne. Der französische Spielmacher erklärte, man solle das Geschehen nun ruhen lassen: "So einen magischen Moment kannst du nicht zurückholen."

Schwedens Verbandspräsident will die Sache nicht auf sich beruhen lassen

Nach Ansicht der Skandinavier aber hatte Prandi mit dem Standbein den Boden verlassen, ein Regelverstoß, den der Protagonist energisch bestritt. Gottfridsson war kurz vor Prandis Wurf ein Schrittfehler unterlaufen, der diesen letzten, entscheidenden Freiwurf überhaupt ermöglicht hatte, was ihm sogar am Tag danach noch Tränen in die Augen trieb: "Ich wollte im ersten Moment nur noch nach Hause." Der schwedische Verband legte Protest ein, die nordmazedonischen Schiedsrichter Gjorgji Nachevski und Slave Nikolov hätten sich den Videobeweis zumindest ansehen müssen, was diese jedoch nach einer kurzen Absprache untereinander als überflüssig erachteten. Die bewegten Bilder dieses Kunstwurfs waren dennoch in der Welt, und damit auch der Belege, dass der Schütze das Standbein angehoben hatte. Es herrschte aber sogar unter Experten Uneinigkeit darüber, ob dies regelwidrig geschah.

Der Protest der Skandinavier wurde jedenfalls erwartungsgemäß abgelehnt, die Titelverteidigung war endgültig perdu. Es liege im Ermessen der Referees, ob sie sich die Szene nochmals anschauen wollen oder nicht. Daran werde auch zukünftig nichts geändert, war aus Kreisen des europäischen Verbands EHF zu hören, es werde bei Tatsachenentscheidungen der Unparteiischen bleiben. Gleichwohl hatte EHF-Präsident Michael Wiederer diese Entscheidung der Schiedsrichter als "klaren Fehler" bezeichnet.

Die Schweden wollen das Geschehen indes mitnichten auf sich beruhen lassen, wie Fredrik Rapp, der Präsident des schwedischen Handballverbands, ankündigte - man fühle sich um einen möglichen Sieg gebracht. Deshalb werde der Verband nach dem Turnier in einem offenen Brief an die EHF fordern, im Sinne des Handballs die Regeln zu ändern: "Damit sie klarer werden und dazu beitragen, dass der Handball noch besser wird". In Zukunft werde man derlei Entscheidungen nicht mehr akzeptieren.

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