"Die drehen daheim völlig durch", beschrieb Robert Weber mit aufgerissenen Augen die Gefühlslage in der Heimat. So gern sich die Österreicher klein machen im Vergleich zum großen Nachbarn, so sehr wussten sie das überraschende 22:22 gegen Deutschland zu feiern. Dabei fiel nicht einmal ins Gewicht, dass es in Wahrheit ein verlorener Punkt war, schließlich lag der Außenseiter 21:16 und wenig später 22:18 in Front. Mehr als 700 000 Zuschauer verfolgten das Spiel in der Alpenrepublik, Handball-TV-Rekord.
Auch hierzulande gibt es Traumquoten, doch zumindest bei Teilen der acht Millionen Zuschauer herrschte Tristesse: Nach dem Remis müssen die deutschen Handballer die ausstehenden Hauptrundenspiele gegen Ungarn (Montag) und Kroatien (Mittwoch, jeweils 20.30 Uhr) gewinnen. Und darauf vertrauen, dass die Franzosen gesteigerten Wert auf den ersten Platz legen, wodurch sie im Halbfinale Weltmeister Dänemark aus dem Weg gehen würden.
Handball-EM:Mehr Fragen als Antworten
Die deutschen Handballer schaffen dank Glück und Torwart Wolff gegen starke Österreicher ein schmeichelhaftes 22:22. Nun darf sich die DHB-Auswahl keinen Patzer mehr leisten - und benötigt für das angepeilte Halbfinale Schützenhilfe.
Klingt einfach, kann kompliziert werden - womit nicht einmal die theoretischen Szenarien gemeint sind. Bei zwei ausstehenden Spielen hat Frankreich sechs Punkte, Ungarn und Österreich je vier und Deutschland drei. Doch die DHB-Auswahl hat berechtigte Zweifel hinterlassen, ob ihre Qualität für das angepeilte Halbfinale reichen kann. Außer Torhüter Andreas Wolff und - mit Abstrichen - Juri Knorr, Julian Köster und Johannes Golla präsentierte sich kein Akteur in einer entsprechenden Verfassung. Andererseits ist nicht anzunehmen, dass Topkräfte wie die Außen Lukas Mertens oder Timo Kastening das Verwerten hundertprozentiger Torchancen nachhaltig einzustellen gedenken. Kurz gesagt: Es ist noch alles drin, eine deutliche Steigerung vorausgesetzt.
Respekt haben die Ungarn vor der deutschen Mannschaft, aber keine Angst
Das sieht der kommende Gegner aus Ungarn naturgemäß anders. Die Magyaren gehen nach dem Sieg gegen Kroatien selbstbewusst in ihr anspruchsvolles Restprogramm gegen Deutschland und Frankreich. Denn der Star ist die Mannschaft: "Wir wachsen als Team von Spiel zu Spiel", sagt Adrian Sipos, der in Köln das Abwehrspiel der Ungarn anleitet und in der Bundesliga das der MT Melsungen. Die Defensive ist das Prunkstück der ungarischen Auswahl, inklusive des starken Torhüters Laszlo Bartucz.
Trainer Chema Rodriguez, einst Weltklasse-Spielmacher für Spanien, hat ähnlich den Deutschen einen Mix aus erfahrenen Champions-League-Kräften und talentierten Nachrückern: Ungarn war Endspielgegner beim WM-Triumph der deutschen U 21. "Wir sind wie eine Familie", erklärt Rodriguez den Höhenflug, nach dem unglücklichen 29:30 gegen Österreich sei man noch enger zusammengerückt. Das Resultat: ein 29:26 gegen Kroatien. Vor Deutschland habe man Respekt, mehr nicht, sagt Spielmacher Egon Hanusz, in der Bundesliga für den TVB Stuttgart tätig: "Das ist der Höhepunkt, darauf haben wir gewartet."